Vor einem Monat hat Beat Wittmann auf finews.first die Demontage des Armeechefs Thomas Süssli durch den Bundesrat vorweggenommen. Inzwischen erlebt die Schweiz eine besorgniserregende Krise, die genügend Stoff für eine Netflix-Serie abgeben würde. In dieser verfahrenen Situation gebe es nur einen zielführenden Weg vorwärts, kommt Wittmann in seinem neusten Beitrag zum Schluss.

Innert weniger Wochen erlebt und leistet sich die Schweiz mit den vorzeitigen Rücktritten der Verteidigungsministerin, des Armeechefs und des Chefs des Nachrichtendiensts des Bundes (NDB) eine innenpolitische Krise.

Die nationale Sicherheit der Schweiz – notabene die äussere und die interne Sicherheit – war indessen bereits vor diesem Debakel nicht gewährleistet und steht jetzt vor dem Kollaps. Direkt in der Verantwortung steht der Gesamtbundesrat mit seiner fortlaufenden sicherheitspolitischen Realitätsverweigerung und seinem eklatanten Führungsversagen.

Damit aber nicht genug – die sicherheitspolitische Diskussion in der Schweiz bleibt geprägt von einer sich ausweitenden Schlammschlacht um Intrigen, Schuldzuweisungen, Partikularinteressen, Vendettas und Leaks, die jederzeit den Stoff für eine Blockbuster-Serie auf Netflix abgeben würde.

Europa und die Schweiz – konfrontiert durch Trump und Putin

Der Lagebericht des NDB «Sicherheit Schweiz 2024» vom 22. Oktober 2024 hält korrekt und treffend fest: «Das sicherheitspolitische Umfeld der Schweiz verschlechtert sich von Jahr zu Jahr weiter» und weiter «Es gilt, Bedrohungen und relevante Veränderungen im strategischen Umfeld der Schweiz rechtzeitig zu identifizieren und zu beurteilen und anschliessend die notwendigen präventiven Massnahmen zu ergreifen.»

Unterdessen hat sich die US-Administration unter Donald Trump nicht nur vom Multilateralismus, sondern von der Europäischen Sicherheitsarchitektur verabschiedet, hasst die EU als Wirtschafts-und Regulierungsmacht und hat sich auf die Seite des militärischen Angreifers Russland geschlagen. Und wie anlässlich der Münchener Sicherheitskonferenz die Schweizer Bundespräsidentin, Karin Keller-Sutter, im Anbiederungs-Modus der Anti-Europa und Pro-Russland Rede des US-Vizepräsidenten JD Vance positives abgewinnen konnte, schädigt die Glaubwürdigkeit und Interessen der Schweiz.

Die Schweiz im Auge des Sturms?!

Die Schweizer Politik gibt sich weiterhin einer trügerischen Ruhe und sicherheitspolitischen Nabelschau hin. Die eskalierende Aussenrealität ist aber nicht nur radikal anders, sondern verschlechtert sich auch für die Schweiz fortlaufend, und zwar politisch, wirtschaftlich und militärisch.

Die direkte und unmittelbare Folge der sicherheitspolitischen Abkehr der USA von Europa resultiert in der Notwendigkeit von rasch und massiv höheren Ausgaben und Investitionen in europäische Verteidigung von aktuell durchschnittlich 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) auf mindestens 3 Prozent und bis zu 5 Prozent des BIP.

Die Schweiz, als globalisierter Kleinstaat, ist geographisch mitten in Europa und macht sich mit ihren Verteidigungsausgaben von zurzeit nur 0,8 Prozent des BIP zur krassen Aussenseiterin und zur mit Abstand grössten sicherheitspolitischen Trittbrettfahrerin in Europa – was bald eine völlig unhaltbare Position sein wird.

Europas Verteidigung mit oder ohne USA

Friedrich Merz, der deutsche Wahlsieger und nächste Bundeskanzler hat klar und unmissverständlich kommuniziert, dass ein von den USA unabhängiges Europa seine «absolute Priorität» ist und, dass sich Europa mit oder ohne die USA gegen Russland verteidigen können muss.

Die Nato, Deutschland, Polen, Dänemark und die baltischen Staaten beurteilen einen russischen Angriff auf ein europäisches Land als möglich innerhalb von nur drei Jahren. Die EU wird diesen März ein White Paper zur Zukunft der europäischen Verteidigung publizieren und im Anschluss daran verschiedene relevante Initiativen lancieren mit dem Fokus auf gesamteuropäische Finanzierung und Beschaffung von Rüstungsgütern.

Keine nationale Sicherheit ohne Finanzierung und internationale Kooperation

Die Schweiz ist in einem sich dramatisch verschlechternden geopolitischen Umfeld gefährlichen exogenen Risiken ausgesetzt, die sie nur wenig bis gar nicht beeinflussen kann. In diesem Kontext ist es besonders gravierend und verantwortungslos, dass der Bundesrat weder eine nationale Sicherheitsstrategie noch eine Wachstum- und Fiskalstrategie formuliert hat und verfolgt.

Damit nimmt die Regierung ihre gesamtheitliche Verantwortung nicht wahr und bewirtschaftet anstatt dessen ihre jeweilig eng definierten Departements-Interessen. Dies betrifft im Zusammenhang mit der nicht ausgerüsteten, einsatzbereiten und kampffähigen Armee vor allem die Finanzierungsfrage und die internationale Kooperation mit der EU und Nato.

Wehranleihen wären einfach und attraktiv

Die disruptive und normative Kraft des Faktischen wird diktieren, dass die Schweiz deutlich schneller und wesentlich mehr finanzielle Mittel für die Armee wird aufbringen müssen als die aktuell geplanten 1 Prozent des BIP per 2032. Dafür wird der Gaillard-Sparplan bei weitem nicht ausreichen und somit gilt es die Schuldenbremse zu reformieren und den Kapitalmarkt zu nutzen, wie dies über die Emission von Defense Bonds (Wehranleihen) einfach und attraktiv möglich wäre.

Der neue Sicherheitskonflikt in Europa ist transnational und umfasst traditionelle sowie hybride Kriegsführung. Die Schweiz ist ein integraler Teil der westlichen Werte- und Interessensgemeinschaft und unabdingbar auf enge Kooperationen mit der EU und der Nato angewiesen.

PUK wegen Sicherheits- und Vertrauenskrise

Die Gewährleistung der nationalen Sicherheit ist Verfassungsauftrag und die Regierung und das Parlament erfüllen diesen nicht und gefährden damit die Souveränität, den Wohlstand und die Zukunftsperspektiven der Schweiz.

Doch damit nicht genug - nachdem es national-konservative Politiker geschafft haben die Armee über drei Jahrzehnte kaputt zu sparen und zu demontieren und die aktuelle Verteidigungsführung bis zu deren Rücktritten zu zermürben, wird weiterhin ziellos und strategielos auf das Prinzip Abschottung, Polit-Geschacher, Aussitzen und Durchwursteln gesetzt.

Gravierende Missstände bei der Ruag

In dieser verfahrenen Situation gibt es nur einen zielführenden Weg vorwärts, nämlich Transparenz bezüglich der Ursachen und Gründe zu schaffen und die Verantwortlichen zu identifizieren und zur Rechenschaft zu ziehen. Der Bericht der Finanzkontrolle zu einem skandalösen Betrugsfall und gravierenden Missständen im Rüstungskonzern des Bundes (Ruag) ist ein überfälliger und richtiger Schritt.

Die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) ist notwendig, denn nur so wäre es einerseits möglich, verlorenes Vertrauen in den existenziell wichtigen staatlichen Sicherheitsapparat wiederherzustellen und andererseits die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rehabilitierung der Landesverteidigung zu schaffen.

In diesem Zusammenhang sei an die Mirage-Affäre zu Beginn der 1960er-Jahre erinnert, welche durch die erste PUK in der Schweizer Geschichte aufgearbeitet wurde und dazu führte, dass drei der PUK-Mitglieder, Kurt Furgler, Rudolf Gnägi und Pierre Graber spätere Bundesräte wurden. Es gilt festzuhalten, dass die heutigen Missstände wesentlich gravierender sind als damals und dementsprechend herrscht unmittelbarer und grosser Handlungsbedarf.


Beat Wittmann hat viele Jahre als Offizier (Oberstleutnant) im Militärischen Nachrichtendienst (MND) im Armee-HQ in Bern gedient.

Beruflich ist er seit gut acht Jahren Chairman und Partner der in Zürich ansässigen Finanzberatungs-Gesellschaft Porta Advisors. Der Bündner blickt auf eine mehr als 30-jährige Karriere im Schweizer Bankwesen zurück, die ihn unter anderem zu den Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse sowie zu Clariden Leu und Julius Bär führte. Von 2009 und 2015 war er zunächst selbständig und danach für die Schweizer Raiffeisen-Gruppe im Asset Management tätig.


Bisherige Texte von: Rudi BogniRolf BanzWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan Gerlach, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Martin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard Guerdat, Mario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech Vizard, Maya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Armin JansNicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio QuirighettiClaire Shaw, Peter FanconiAlex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Ursula Finsterwald, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Gilles Prince, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Thomas Stucki, Neil Shearing, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Niels Lan Doky, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Mark Urquhart, Bruno Capone, Peter Hody, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler, Hui Zhang, Angela Agostini, Guy de Blonay, Tatjana Greil Castro, Jean-Baptiste Berthon, Dietrich Grönemeyer, Mobeen Tahir, Didier Saint-Georges, Serge Tabachnik, Vega Ibanez, David Folkerts-Landau, Michael Welti, Mihkel Vitsur, Roman Balzan, Todd Saligman, Stuart Dunbar, Carina Schaurte, Birte Orth-Freese, Gun Woo, Lamara von Albertini, Ramon Vogt, Andrea Hoffmann, Niccolò Garzelli, Darren Williams, Benjamin Böhner, Mike Judith, Jared Cook, Henk Grootveld, Roman Gaus, Nicolas Faller, Anna Stünzi, Thomas Höhne-Sparborth, Fabrizio Pagani, Guy de Blonay, Jan Boudewijns, Sean Hagerty, Alina Donets, Sébastien Galy, Roman von Ah, Fernando Fernández, Georg von Wyss, Stefan Bannwart, Andreas Britt, Frédéric Leroux, Nick Platjouw, Rolando Grandi, Philipp Kaupke, Gérard Piasko, Brad Slingerlend, Dieter Wermuth, Grégoire Bordier, Gianluca Gerosa, Michael Bornhäusser, Christine Houston, Manuel Romera Robles, Fabian Käslin, Claudia Kraaz, Marco Huwiler, Lukas Zihlmann, Sherif Mamdouh, Harald Preissler, Taimur Hyat, Philipp Cottier, Andreas Herrmann, Camille Vial, Marcus Hüttinger, Serge Beck, Alannah Beer, Stéphane Monier, Ashley Semmens, Lars Jaeger, Shanna Strauss-Frank, Bertrand Binggeli, Marionna Wegenstein, George Muzinich, Jian Shi Cortesi, Razan Nasser, Nicolas Forest, Jörg Rütschi, Reto Jauch, Bernardo Brunschwiler, Charles-Henry Monchau, Nicolas Ramelet, Ha Duong, Teodoro Cocca, Jan Brzezek, Nicolas Mousset, Beat Weiss, Pascal Mischler, Andrew Isbester, Konrad Hummler, Jan Beckers, Martin Velten, Katharine Neiss, Claude Baumann, Daniel Roarty, Kubilaqy Yalcin, Robert Almeida, Karin M. Klossek, Marc Taverner, Charlie T. Munger, Daniel Kobler, Patrick Stauber, Anna Rosenberg, Judith Wallenstein, Adriano Lucatelli, Daniel Goleman, Val Olson, Brice Prunas, Frances Weir, Luis Maldonado, Nadège Lesueur-Pène, Massimo Pedrazzini, Eric Sarasin, Dina Ting, Christopher Gannatti, Shaniel Ramjee, Mihkel Vitsur, Nannette Hechler-Fayd'herbe, Ralph Ebert, Mark Denham, Francesco Mandalà, Mariolina Esposito, Maryann Umoren Selfe, Christian Kälin, Nadège Dufossé, Benjamin Melman, Florin Baeriswyl, Marc Reinhardt, Thomas Holderegger, Bruno Cavalier, Gary Burnison, Louise Curran, Adrian Cox, Philip Adler, Serge Fehr, Marc Lussy, Axel Brosey, Colin Vidal, Vivien Jain, Ralf Zellweger, Maria Vassalou, Nico Fiore, Gary Burnison, Thomas Signer, Andreas Ita, Leon Curti, Remo Badertscher, Alexis Marinof, Olivier Kessler, Beat Wittmann, Jacques Aurélien Marcireau, Patricia Ordody, Marc Palahi, Francesco Magistra, George Muzinich, Beat Wittmann, Tanvi Singh, Brigitte Kaps und Dominik Gerster.