Es ist immer wieder beeindruckend, wie stark der Mensch, insbesondere der männliche Investor, seine vergangene Performance falsch liest, schreibt Christina Böck in ihrem exklusiven Essay für finews.first.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.
Seit Beginn des Jahres hat der Eurostoxx 50 eine deutlich negative Performance erbracht und auch der Schweizer Aktienindex SMI liegt klar im roten Bereich. Die globalen Aktienmärkte haben bei den Anlegern durch Seitwärtsbewegungen und Kurskorrekturen das vormalige Sicherheitsgefühl gedämpft und die Nervosität an den Börsen steigt.
Die Finanzpresse bringt Warnungen vor der kommenden Marktwende. So werden Auguren zitiert, die für 2020 die nächste US-amerikanische Rezession vorhersehen, und allerorten werden Absicherungsstrategien empfohlen.
«Diese drei Jahre muss man durchhalten können»
Wer ein ungemütliches Kribbeln in der Magengegend verspürt angesichts einer kommenden grossen Korrektur, der sollte seine strategische, langfristige Anlageallokation überdenken – nicht taktisch, sondern grundsätzlich. Denn diese ist wahrscheinlich strukturell nicht richtig, wenn zum Beispiel ein hoher Aktienanteil Angst macht.
Ein Bärenmarkt kann gut und gerne drei Jahre dauern. Diese muss man durchhalten können, ohne in der Zwischenzeit verkaufen zu müssen. Besonders ist es wichtig, nicht im Moment des schwächsten Marktes durch äussere Einflüsse zur Risikoreduktion gezwungen zu sein – für viele heisst dies, dass man sich der Durchhaltekraft von Kunden und Hierarchie sicher sein muss.
«Jede Analyse kann man genauso gut widerlegen»
Jede einzelne der Analysen der Ökonomen und Strategen scheint grossen Sinn zu machen. Oft sind diese Texte rhetorisch sehr gut geschrieben. Aber jede einzelne Analyse kann man genauso gut widerlegen, indem man anderen Argumenten mehr Gewicht gibt. Der eine findet, dass die Anzeichen einer Zyklusabschwächung in China einen sehr grossen Einfluss weltweit haben werde. Der andere urteilt, dass die ängstlichen Analysen der Wirtschaft verfärbt seien, weil der Wirtschaftszyklus seit der Globalen Finanzkrise eine absolute Sondersituation darstellt, in der jedes Wachstum schwächer aber länger ist, also ganz anders beurteilt werden muss.
Es ist immer wieder beeindruckend, wie stark der Mensch, insbesondere der (männliche) Investor, seine vergangene Performance falsch liest – immer erinnert er sich nur an die guten Coups, wenn er genau am Tag vor der Korrektur verkauft hat. Obwohl dies nur ein- aus zehnmal passiert und die anderen neun Male vergessen gehen.
«Das einzige Resultat sind unnütze Transaktionskosten»
Seit Sharpe gibt es viele Studien zur Performance von Portfolio-Managern. Und das Phänomen des Übervertrauens (Overconfidence, also die Überschätzung der eigenen Urteilskraft) ist schon für die verschiedensten Personengruppen und für alle Arten von Anlageentscheidungen bewiesen worden. Das einzig fassbare Resultat des häufigen taktischen Handels aufgrund von Selbstüberschätzung sind deutlich höhere, aber unnütze Transaktionskosten.
Gegen taktisches Handeln wird oft das Argument der verpassten zehn Tage angeführt. Nach dieser Rechnung hätte ein Investor in den Standard & Poor's zwischen 1995 und 2014 bei durchgehender Investition eine Rendite von 555 Prozent verdient, aber nur 191 Prozent, wenn er an den zehn Tagen mit der besten Performance nicht im Markt investiert gewesen wäre.
«Ohne Risiko ist die Risikoprämie nicht zu haben»
Die Folgerung daraus ist, dass man immer investiert sein sollte, um nicht das Risiko einzugehen, diese zehn besten Tage zu verpassen. Allerdings greift diese Analyse zu kurz, denn extreme Tage treten in Clustern in den volatilen Zeiten auf, das heisst empirisch in Zeiten von sinkenden Kursen. Viele Banken werben nun gerade damit, dass sie diese volatilen Perioden vorherbestimmen können und somit für ihre Kunden die Performance deutlich verbessern. Der Beweis dieser Fähigkeit steht noch aus.
Der wirkliche Grund, warum man auch bei heute angeblich grösserem Risiko weiterhin an seiner strategischen Allokation festhalten sollte ist, dass das Wort Risikoprämie seinem Namen gerecht wird – man kann sie nur verdienen, wenn man auch das Risiko trägt. Aktien haben eine rechte Risikoprämie gegenüber Cash und Obligationen, aber dafür muss man auch wirklich in ihnen investiert bleiben. Ohne Risiko ist die Risikoprämie nun einmal nicht zu haben. Anders gesagt: Der Gratislunch ist leider immer noch nicht gefunden worden.
Christina Böck war über viele Jahre Chief Investment Officer (CIO) bei Axa Investment Managers sowie bei der Sammelstiftung Profond und hat in Deutschland, England und in Frankreich studiert, wo sie einen Master in Management an der H.E.C. in Paris erlangte.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Oliver Berger, Rolf Banz, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Thorsten Polleit, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Didier Saint-Georges, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Katharina Bart, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Beat Wittmann, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Peter Hody, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Ralph Ebert, Marionna Wegenstein, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Claudia Kraaz, Will Ballard, Michael Bornhäusser, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Michel Longhini, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul und Claude Baumann, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Karin M. Klossek und Michael A. Welti.