Während die meisten Grossereignisse von Natur aus unvorhersehbar sind, so sind es die Aktienmärkte noch ausgeprägter, schreibt Sandro Occhilupo von Decalia Asset Management in seinem exklusiven Essay für finews.first.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.
Betrachtet man die heutigen autoritären Herrscher wie Trump, Putin, Xi oder Jong-un, mit ihrem egozentrischen Gehabe, dem sich ständig verändernden Netz ihrer Allianzen und ihren bisweilen kuriosen Rollenspielen, hätte man guten Grund zu glauben, dass sich sogar die reale Welt in eine Fantasy-Serie à la «Game of Thrones» verwandelt hat.
Das wiederum hat das «Gespenst» der geopolitischen Risiken an den globalen Finanzmärkten neu herausbeschworen, so dass manche Anleger angesichts verschärfter Krisen und drohender Handelskriege zunehmend nervös werden. Zugegeben, nicht alles wird so heiss gegessen wie es gekocht wurde, doch selbst kleinste Konflikte haben durchaus das Potenzial eine grosse Krise auszulösen.
«Geopolitische Ereignisse bieten Anlegern oftmals günstige Einstiegschancen»
Die jüngere Geschichte zeigt uns allerdings, dass die meisten Konflikte letztlich nur ein derber Krieg der Worte sind, indem es zunächst zu einer rhetorischen Eskalation kommt, die dann abgelöst wird durch mehr oder weniger sinnvolle Aktionen, die wiederum die zuvor noch verfeindeten Protagonisten zu Helden der Versöhnung machen, so dass am Ende beide Seiten mit einer Art «Win-Win-Lösung» nach Hause zurückkehren können.
Interessant ist aus Anlegersicht, dass manche geopolitischen Ereignisse, die sowohl grössere Nervosität als auch höhere Marktvolatilität verursachen, häufig günstige Einstiegschancen für langfristig orientierte Anleger bieten. So kamen mehrere Studien (etwa 2016 eine Untersuchung der Credit Suisse über die wichtigsten geopolitischen Ereignisse der vergangenen 100 Jahre oder eine Umfrage des Online-Brokers Charles Schwab über 37 vergleichbare Ereignisse im Jahr 2017) zu Schluss, dass solche «Events» letztlich vor allem Lärm verursachen, als dass sie eine nachhaltige Auswirkung auf die Märkte haben.
«Auf die feindseligen Ankündigungen folgten schon bald Verhandlungen»
Und selbst in jenen Fällen, als nach bestimmten Ereignissen die Märkte rückläufig waren, beschränkte sich die Baisse im Durchschnitt auf gerade einmal drei Prozent im Zeitraum von nur sieben Tagen. So gesehen war es wirklich keine Überraschung, dass die jüngste militärische Reaktion der Trump-Administration in Syrien die Märkte nicht sonderlich beeindruckte oder gar belastet hat.
Auch die Befürchtungen, wonach zwischen den USA und China ein Handelskriegs ausbrechen könnte, haben sich zwischenzeitlich bereits wieder verflüchtigt, zumal viele Investoren ohnehin davon ausgingen, dass auf die feindseligen Ankündigung früher oder später Verhandlungen folgen würden.
«Die Aktienmärkte florierten selbst in der protektionistischen Ära von Ronald Reagan»
Selbst bei historischen Grossereignissen, wie dem Attentat auf den Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand im Jahr 1914, der Kubakrise 1962, der Irak-Invasion 2003 oder den Terroranschlägen vom 11. September 2001 waren die anfänglichen Kurseinbrüche von bis zu zehn Prozent innerhalb eines Monats wieder absorbiert. Interessanterweise florierten die Aktienmärkte selbst in den 1980er-Jahren in der protektionistischen Ära von US-Präsident Ronald Reagan.
Mit anderen Worten, während die meisten Grossereignisse von Natur aus unvorhersehbar sind, so sind es die Aktienmärkte noch ausgeprägter. Diese Erkenntnis in Kombination mit dem derzeit robusten weltwirtschaftlichen Umfeld und der gesunden Ertragsentwicklung vieler Unternehmen verringert das Risiko geopolitischer Turbulenzen für Anleger noch zusätzlich. Bei langfristig ausgerichteten Aktieninvestoren erwiesen sich Panikverkäufe aufgrund negativer Schlagzeilen noch nie als ein kluger Schachzug.
Im Gegenteil, kurzfristige Marktbaissen bieten vielmehr eine gute Gelegenheit, hochwertige Aktien auf einem attraktiven Niveaus zu kaufen. Im Gegensatz zu «Game of Thrones» glaube ich deshalb nicht, dass «der Winter kommt», und empfehle stattdessen, geduldig und selektiv zu handeln – und nach Schnäppchen Ausschau zu halten.
Sandro Occhilupo ist der Leiter des diskretionären Portfolio Managements und Senior Fund Manager bei Decalia Asset Management in Genf.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Thorsten Polleit, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Didier Saint-Georges, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Katharina Bart, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Beat Wittmann, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Michel Longhini, Frédéric Papp, Claudia Kraaz, James Syme, Peter Hody, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Ralph Ebert, Marionna Wegenstein, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Michael A. Welti, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle und Claude Baumann.