Lange Zeit galt der Erwerb einer zusätzlichen Wohnsitzniederlassung oder einer Staatsbürgerschaft als delikate Angelegenheit, weil sie für gewisse Medien und Politiker vordergründig insinuierte, dass jemand etwas verbergen wollte. Diese Wahrnehmung hat sich spätestens seit dem Ausbruch der Pandemie vor drei Jahren gründlich geändert, wie finews.ch-Herausgeber Claude Baumann feststellt.
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Die mit einem Schlag eingeführten Restriktionen, unter anderem in der Bewegungsfreiheit, haben viele wohlhabende Menschen selbst in westlichen Staaten dazu bewogen, sozusagen einen Plan B zu entwerfen, der ihnen eine legale Möglichkeit bietet, sich – und der eigenen Familie – eine grössere geographische Bewegungsfreiheit zu ermöglichen.
Darüber hinaus erleichtert eine möglichst ungehinderte Mobilität auch den Besuch von erstklassigen Ausbildungsstätten auf der ganzen Welt, sie vereinfacht es, das Vermögen zu diversifizieren und erleichtert ganz generell viele Geschäftsaktivitäten; last but not least sind manche Länder als Wohndomizil auch aus Sicherheitsüberlegungen attraktiver als andere, was für vermögende Personen immer wichtiger wird – mittlerweile sogar für Menschen in westeuropäischen Staaten.
Mit den Füssen abgestimmt
Die grossen geopolitischen Umwälzungen der vergangenen Jahre – der Krieg in der Ukraine ist dabei bloss das jüngste Beispiel – veranlassen immer mehr Menschen sich über ihre Lebenssituation Gedanken zu machen und neue Optionen zu prüfen. «Dies vor allem, je besser sie ausgebildet sind», erklärt Daniel Duric, Managing Director bei Passport Legacy, einem in Dubai ansässigen Beratungsunternehmen für Niederlassungsbewilligungen und Staatsbürgerschaften, gegenüber finews.ch.
Diese Entwicklung bestätigt auch der neuste «Henley Private Wealth Migration Report 2023», der die Migrationsströme der Superreichen analysiert. Sowohl der Brexit als auch der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine haben in den vergangenen Jahren unter anderem dazu geführt, dass Tausende von in Grossbritannien respektive in Russland ansässige Millionäre im wahrsten Sinne des Wortes mit den Füssen abgestimmt haben und ein neues Wohn- und Lebensdomizil oder gar eine neue Staatszugehörigkeit gewählt respektive erworben haben.
Reisepässe wie Vielflieger-Programme
Insofern vollzieht sich heute ein Paradigmenwechsel, der auch damit zu tun hat, dass mittlerweile wesentlich mehr Informationen über die staatlichen Investitionsprogramme für Wohnsitzbewilligungen und Staatsbürgerschaften verfügbar sind. Oder anders formuliert: In einem Geschäft, das lange Zeit dem Generalverdacht ausgesetzt war in Grauzonen zu operieren, hat eine bisher nie dagewesene Transparenz Einzug gehalten. Dies wird nicht zuletzt dadurch beschleunigt, dass viele Informationen, Daten und Vergleiche heute direkt und online verfügbar sind.
Das Umdenken lässt sich, ohne zu übertreiben, als radikal taxieren, was auch der indisch-amerikanische Politikwissenschaftler und Publizist Parag Khanna mit der Feststellung auf den Punkt bringt, dass Reisepässe heute Vielflieger-Programmen immer ähnlicher würden. Doch der Wandel geht weiter, zumal die Duldung doppelter oder gar mehrerer Staatsbürgerschaften den Menschen die Möglichkeit gibt, sich innerhalb der internationalen Hierarchie zu verändern.
Weniger globale Ungleichheit
«Unseren Kundinnen und Kunden ist gemeinsam, dass sie Staatsbürgerschaften besitzen, die beim Reisen nicht besonders hilfreich sind. Es sind Menschen, die unfreiwillig in Ländern mit schwachen Rechtssystemen, autokratischen Regierungen und oftmals auch ethnischen Spannungen leben», resümiert Philippe May, Managing Director des Beratungsunternehmens EC Holdings. «Jede zusätzliche oder alternative Staatsbürgerschaft verringert unter diesen Prämissen bis zu einem gewissen Grad die globale Ungleichheit.»
Diesem hehren Anspruch werden allerdings nur jene Firmen gerecht, die sich zu internationalen Standards bekennen, die wiederum sicherstellen, dass Kundinnen und Kunden transparent, professionell und juristisch korrekt bei ihrer Bewerbung um einen Reisepass oder eine Wohnsitzniederlassung beraten werden.
Wichtige Einnahmequelle für das Haushaltsbudget
Die führenden Unternehmen in der Branche sind im internationalen Verband des Investment Migration Council (IMC) in Genf organisiert. Er legt Branchenstandards fest und gibt einen Ethik- und Berufskodex heraus, an den sich die Mitglieder halten müssen, um ein bestimmtes Mass an Qualität und Selbstregulierung zu gewährleisten.
finews.ch hat die Anforderungen und Prozesse, die bei einer Antragstellung für Staatsbürgerschaft durch Investition Anwendung finden, genau geprüft und einen ganzen solchen Prozess durchlaufen. Hier sind die Erkenntnisse. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu erwähnen, dass es nicht die Beratungsfirmen selbst sind, die Pässe oder Niederlassungsbewilligungen ausstellen, sondern die jeweiligen Staaten, die dank dieser Investitions-Migrationsprogramme respektive der daraus resultierenden Einnahmen einen teilweise substanziellen Teil ihrer Haushaltsbudgets bestreiten.
Jährlich mehr als 700'000 Einbürgerungen in der EU
Vor diesem Hintergrund sind die regelmässigen Ankündigungen einzelner Länder zu relativieren, die das Ende von bestimmten Programmen ankündigen. Oftmals haben solche Verlautbarungen eine Halbwertszeit bis zum nächsten Regierungswechsel, oder sie werden durch neue, ähnliche Angebote ersetzt. Generell ist zu beobachten, dass die Zahl und der Umfang dieser Programme global gesehen laufend zunehmen.
Tatsache ist auch – und das wird oft übersehen in den Diskussionen hierzu –, dass die regulär über ein sogenanntes Citizenship-by-Investment-Programm vollzogenen Einbürgerungen und die Anzahl der erteilten Niederlassungsbewilligungen verschwindend klein sind im Vergleich zu den beispielsweise mehr als 700'000 jährlichen sonstigen Einbürgerungen in der EU. Einbürgerungen notabene, die in den meisten Fällen nie den strengen Due-Diligence-Bestimmungen gerecht werden, denen sich ein Bewerber oder eine Bewerberin eines entsprechenden Investitions-Staatsbürgerschaftsprogramm unterziehen muss.
Undokumentierte Immigranten
Insofern relativiert dies auch die in den vergangenen Jahren aufgekommene Frage, welche Migrations- respektive Einbürgerungspraktiken den grösseren politischen und wirtschaftlichen Schaden anrichten: Die echten Probleme verursachen nicht die relativ wenigen, sehr gut geprüften Neubürger, die über Investitionsprogramme zu ihrem Pass gekommen sind, sondern die viel grössere Zahl an undokumentierten Immigranten und hunderttausenden von Einbürgerungen die unter anderem in Europa ohne genauere Prüfung vergeben werden.
Claude Baumann ist Gründer und CEO von finews.ch sowie von finews.asia in Singapur und finewsticino.ch im Tessin. Er arbeitete zuvor als Wirtschaftsredaktor für «Die Weltwoche» und «Finanz und Wirtschaft». Er war ebenfalls Mitgründer des Literaturverlags Nagel & Kimche und lancierte das Geschäftsreisemagazin «Arrivals». Darüber hinaus hat er mehrere Bücher über die Finanzbranche publiziert, zuletzt eine Biographie über Robert Holzach.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Rolf Banz, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Gilles Prince, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Thomas Stucki, Neil Shearing, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Niels Lan Doky, Karin M. Klossek, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler, Hui Zhang, Angela Agostini, Guy de Blonay, Tatjana Greil Castro, Jean-Baptiste Berthon, Dietrich Grönemeyer, Mobeen Tahir, Didier Saint-Georges, Serge Tabachnik, Vega Ibanez, David Folkerts-Landau, Andreas Ita, Michael Welti, Mihkel Vitsur, Roman Balzan, Todd Saligman, Christian Kälin, Stuart Dunbar, Carina Schaurte, Birte Orth-Freese, Gun Woo, Lamara von Albertini, Ramon Vogt, Andrea Hoffmann, Niccolò Garzelli, Darren Williams, Benjamin Böhner, Mike Judith, Jared Cook, Henk Grootveld, Roman Gaus, Nicolas Faller, Anna Stünzi, Thomas Höhne-Sparborth, Fabrizio Pagani, Ralph Ebert, Guy de Blonay, Jan Boudewijns, Sean Hagerty, Alina Donets, Sébastien Galy, Roman von Ah, Fernando Fernández, Georg von Wyss, Stefan Bannwart, Andreas Britt, Frédéric Leroux, Nick Platjouw, Rolando Grandi, Philipp Kaupke, Gérard Piasko, Brad Slingerlend, Dieter Wermuth, Grégoire Bordier, Thomas Signer, Gianluca Gerosa, Michael Bornhäusser, Christine Houston, Manuel Romera Robles, Fabian Käslin, Claudia Kraaz, Marco Huwiler, Lukas Zihlmann, Nadège Lesueur-Pène, Sherif Mamdouh, Harald Preissler, Taimur Hyat, Philipp Cottier, Andreas Herrmann, Camille Vial, Marcus Hüttinger, Ralph Ebert, Serge Beck, Alannah Beer, Stéphane Monier, Ashley Semmens, Lars Jaeger, Claude Baumann, Shanna Strauss-Frank, Bertrand Binggeli, Marionna Wegenstein, George Muzinich, Jian Shi Cortesi, Razan Nasser, Nicolas Forest, Jörg Rütschi, Reto Jauch, Bernardo Brunschwiler, Charles-Henry Monchau, Nicolas Ramelet, Philip Adler, Brigitte Kaps, Ha Duong, Teodoro Cocca, Beat Wittmann, Jan Brzezek, Florin Baeriswyl, Nicolas Mousset, Beat Weiss, Pascal Mischler, Andrew Isbester, Konrad Hummler, Jan Beckers, Martin Velten und Katharine Neiss.