Die historisch beispiellose Alterung der Bevölkerung in grossen Teilen der Welt und die Entkoppelung von Geld und Gold ermöglichten nie gesehene Höhenflüge von Schuld- und Vermögensaggregaten. Jetzt verdeutlichen sich die Anzeichen, dass die Höhenflüge ihren Zenit erreichen und in Disruption münden, schreibt Thomas Signer in seinem Beitrag für finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Wir denken beim Wort «Disruption» oftmals vorab an technologischen Fortschritt oder Naturereignisse. Disruption ist aber auch die natürliche Folge, wenn Feedback-Mechanismen unterdrückt werden, sprich wenn in das Spiel der Marktkräfte eingegriffen wird. Das Unterdrücken von Feedback, respektive Marktprozessen, führt zum Aufbau von Spannung.

Dieser Prozess ist am globalen Kapitalmarkt seit langem am Laufen. Ein geringfügiger Auslöser respektive «Trigger» genügt dann, um die Gemengelage kräftig zu erschüttern. Mit erheblicher Disruption ist besonders in entwickelten Ländern zu rechnen, aufgrund der Veränderung der Wechselwirkung zweier eigentlicher Nova in der Menschheitsgeschichte.

«Das zweite Novum betrifft die fundamentale Veränderung von Geld»

Das eine Novum betrifft die historisch einmalige Alterung der Gesellschaften, die sich mit Ausnahme von zahlreichen afrikanischen und vereinzelten Ländern in Asien und dem Mittleren Osten, praktisch weltweit ab den 1970er-Jahren beschleunigt hat. Inzwischen liegt das Durchschnittsalter der Bevölkerung in vielen Ländern bei mehr als vierzig Jahren. In Japan bereits bei knapp fünfzig Jahren.

Das zweite Novum betrifft die fundamentale Veränderung von Geld, die mit dem Ende des Bretton-Wood-Systems Anfang der 1970er Jahre eintrat. Fast zum selben Zeitpunkt, als sich die Alterung der Gesellschaften zu beschleunigen begann, wurde eine letzte, wenn auch nur mehr indirekte Bindung von Geld an das begrenzte physische Gut Gold aufgehoben. «FIAT-Geld» wurde erneut Realität.

«Dies stellt ein eigentliches Wunder in der Menschheitsgeschichte dar»

In früheren Perioden, in denen FIAT-Geld im Umlauf war, verlor Geld im Allgemeinen schnell an Wert und wurde entsprechend abgelehnt und ersetzt. Nichts dergleichen ist seit Anfang der 1980er-Jahre geschehen. Vor dem Hintergrund fallender Inflation und Zinsen behielt FIAT-Geld seinen Wert erstaunlich gut. Dies stellt ein eigentliches Wunder in der Menschheitsgeschichte dar.

Vieles spricht dafür, dass die rapide einsetzende Alterung im Wesentlichen dieses Wunder massgeblich begründete. Die Alterung wirkte als disinflationäre Kraft über einen langen Zeitraum. FIAT-Geld erlaubte eine enorme Geldschöpfung, was sich in explodierenden Schulden- und Vermögensaggregaten niederschlug. Des einen Schulden sind schliesslich des andern Vermögen.

Finanzkrisen traten in ziemlich regelmässigen Abständen seit dem Crash von 1987 ein. Sie waren durchwegs deflationärer Natur. Sie hätten Schulden- und Vermögensaggregate deutlich reduziert, hätten sie ihren freien Lauf genommen. Die Erfahrung von bleibenden schmerzhaften Verlusten hätte wohl auch die Risikofreude und den Hang zum «Leveraging» im Finanzbereich nachhaltig reduziert.

«Der Goldpreis alleine spricht dazu ein klares Urteil»

Mit besten Absichten wurden Finanzkrisen aber seit Beginn der 1980er-Jahre nie ihrem freien Lauf überlassen. Vielmehr wurde von Seiten Regierungen und Notenbanken kräftig Gegensteuer gegeben. Schliesslich erhöhte die Existenz von FIAT-Geld den Spielraum der Notenbanken, Finanzkrisen mit erhöhten Dosen von neu geschaffenem Geld zu begegnen. Jeweils «erfolgreich».

Nun klaffen Vermögensaggregate und Einkommen historisch auseinander: hier maximale Aktien- und Immobilienpreise, dort stagnierendes BIP und Einkommen. Tatsächlich haben rekordhohe Immobilienpreise wohl auch die Alterung der Gesellschaft beschleunigt. Junge Menschen können sich kaum mehr Wohnraum für eine Familie leisten und halten mit der Umsetzung des Kinderwunsches zurück.

Heutige Ungleichgewichte in der Einkommens- und besonders der Vermögensverteilung erinnern an feudale Epochen respektive an Zeiten der Räuberbarone. Es spricht wenig dafür, dass die Schere durch ein «Catch-up» von Einkommen zu Vermögen, sondern vielmehr durch ein «Catch-down» von Vermögen zu Einkommen erfolgen wird. Der Prozess wird höchstwahrscheinlich sehr disruptiv sein. Es ist zu bezweifeln, dass eine nächste Finanzkrise mit der üblichen Rettungsmassnahme von zusätzlichem neuem Geld zu bewältigen sein wird. Der Goldpreis alleine spricht dazu ein klares Urteil.

«Was in Japan jetzt geschieht, sollte auch in der übrigen Welt genau verfolgt werden»

Japan scheint bereits am «Point of no return» angelangt. Japan ist das Land, das in seiner Alterung den Weg für andere Staaten «vorspurte». Jetzt ist Nippon an einem Scheidepunkt angelangt: erhöhte Volatilität in seiner Währung und am Aktienmarkt deuten auf Disruption respektive auf einen Paradigmenwechsel hin. Was in Japan jetzt geschieht, sollte auch in der übrigen Welt genau verfolgt werden. Es könnte mit zeitlichem Verzug auch dort Schule machen.

Die in den vergangenen Jahrzehnten erfolgte Alterung der Gesellschaften bei gleichzeitiger Beständigkeit von FIAT-Geld ist neu in der Menschheitsgeschichte. Es wäre vermessen zu erwarten, dass das Kollektiv den Herausforderungen gewachsen ist, die sich aus einer Änderung der Wechselwirkung von Alterung und FIAT-Geld ergeben. Kollektives Scheitern ist programmiert, aber durchaus menschlich und verzeihlich.

Für Firmen und Individuen gibt es aber Hoffnung. Beiden ist es möglich, Resilienz zu bilden und vorzukehren. Auf Ebene Individuum scheint im Minimum eine Abkehr vom Fokus auf finanziellen Reichtum hin zu anderen Formen von «Wealth» – Gesundheit und Entwicklung von Human-Kapital zur Sicherung langfristiger Erwerbsfähigkeit – opportun und sinnvoll.


Thomas Signer schloss das Studium der Betriebswirtschaft mit dem MBA an der Carnegie Mellon Universität in den USA 1990 ab. Seine Arbeitstätigkeit für eine japanische und eine amerikanische Investmentbank führten ihn nach Zürich, London und New York. Seit rund zwei Jahrzehnten ist er selbständiger Finanzgutachter und Lehrbeautragter in seinem Heimatland Schweiz. Er lehrt Finanzfächer im MBA-Programm der SBS Swiss Business School in Zürich. Er beschäftigt sich seit langem mit den Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Finanzmärkte. Seine zwei Bücher handeln von den zeitversetzten Parallelen zwischen Wirtschafts- und Finanzmarktentwicklungen in Japan und USA und weisen auf die Demografie als zentrale Erklärungskomponente hin.


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