In den vergangenen Tagen gab es in der öffentlichen Diskussion mehrere Schätzungen darüber, was es kosten würde, die Infrastruktur und den Wohnungsbestand der Ukraine nach dem Krieg wiederherzustellen. Bezahlen müsste dies fairerweise Russland, findet Dieter Wermuth in seinem Beitrag auf finews.first.
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen
Die Schätzuzngen für den Wiederaufbau der Ukraine reichen bis zu einer Grössenordnung von 1'000 Milliarden Euro. Das ist deutlich mehr als das ukrainische Bruttoinlandprodukt (BIP) des vergangenen Jahres von 168 Milliarden Euro, würde aber natürlich nicht auf einmal aufzubringen sein, sondern über einen längeren Zeitraum.
Bezahlen müsste das fairerweise Russland, das Land, das den Krieg provoziert und ohne plausiblen Grund vom Zaun gebrochen hat und daher für die Zerstörungen verantwortlich ist. Da Russland militärisch nicht von der Ukraine besiegt werden kann, also nicht bedingungslos kapitulieren wird, wird es sich zunächst weigern, für die Schäden aufzukommen.
«Russland lebt unter seinen Verhältnissen und häuft Reserven an»
Finanziell wäre dies kein Problem, denn das russische Nettoauslandvermögen ist sehr gross und hat bis zuletzt weiter zugenommen. In ihrer Frühjahresprognose hat die EU-Kommission geschätzt, dass es 2022 in der russischen Leistungsbilanz zu einem Überschuss von 13,7 Prozent des BIP kommen wird, als Folge der Energiepreis-Explosion und der Wirtschaftssanktionen des Westens, die das Importieren in diesem Jahr sehr erschweren.
Ein solcher Überschuss entspricht der Zunahme der Nettoforderungen gegenüber dem Ausland. Kaum ein anderes Land hat, relativ zur Wirtschaftsleistung, ein so grosses Auslandvermögen wie Russland. Nur Deutschland, China und Japan haben in den vergangenen Jahren netto mehr Kapital exportiert. Russland lebt unter seinen Verhältnissen und häuft entsprechend Reserven an.
«Niemand im Westen braucht Angst davor zu haben, dass Russland den Gashahn zudreht»
Wenn die Wirtschaftssanktionen gegen Russland und seine Führungsschicht noch eine Weile beibehalten und die bereits gefassten Beschlüsse tatsächlich in vollem Umfang und von allen umgesetzt würden, könnte es am Ende doch gelingen, Russland zur Kasse zu bitten – denn wir haben es mit einem wirtschaftlich kleinen Land zu tun, das um ein Vielfaches mehr vom Westen abhängt als umgekehrt.
Das BIP der Nato ist etwa 25-mal so gross wie das von Russland, selbst die EU ist neunmal grösser. Niemand im Westen braucht Angst davor zu haben, dass Russland den Gashahn zudreht – der Weltmarkt ist gross und flexibel, und es gibt viele Alternativen.
«Es fängt an wehzutun»
Sollte es zu einem Rüstungswettlauf kommen, wird es daher nur einen Sieger geben. Für Russland liefe er auf einen dramatischen und systemgefährdenden Rückgang des Lebensstandards hinaus – der ohnehin schon sehr niedrig ist: Das Sozialprodukt pro Kopf liegt bei weniger als ein Drittel des EU-Niveaus. Es geht weiter abwärts: Nach der EU-Prognose wird das reale russische BIP bereits in diesem Jahr um 10,5 Prozent niedriger sein als 2021, das Niveau der Konsumentenpreise dagegen um etwa 20 Prozent höher. Es fängt an wehzutun.
Wenn der Westen weiter zusammenhält, wird das Regime in Moskau am Ende grössere Konzessionen gegenüber der Ukraine machen müssen als es sich dies zurzeit vorstellt. Dazu gehören vermutlich nicht nur der komplette Rückzug der Truppen aus der Ukraine, sondern auch beträchtliche Reparationszahlungen für den Wiederaufbau.
Je länger der Krieg dauert, desto wirksamer werden die Sanktionen. Leider bedeutet das allerdings erst einmal noch mehr Leid und Zerstörung, und Tausende von Toten.
Dieter Wermuth ist Ökonom und Partner bei Wermuth Asset Management (WAM). Das Unternehmen ist ein Family Office, das auch als Bafin-regulierter Anlageberater tätig ist. Es hat sich auf klimawirksame Investitionen über alle Anlageklassen hinweg spezialisiert. Jochen Wermuth gründete WAM 1999. Er ist zudem Mitglied des Investitionsstrategie-Ausschusses des 24 Milliarden Euro schweren Deutschen Staatsfonds (KENFO).
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Rolf Banz, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Marionna Wegenstein, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Gilles Prince, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Marionna Wegenstein, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Brigitte Kaps, Thomas Stucki, Neil Shearing, Claude Baumann, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Niels Lan Doky, Karin M. Klossek, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Bernardo Brunschwiler, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Andrew Isbester, Florin Baeriswyl, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler, Hui Zhang, Michael Bornhäusser, Reto Jauch, Angela Agostini, Guy de Blonay, Tatjana Greil Castro, Jean-Baptiste Berthon, Dietrich Grönemeyer, Mobeen Tahir, Didier Saint-Georges, Serge Tabachnik, Vega Ibanez, David Folkerts-Landau, Andreas Ita, Teodoro Cocca, Michael Welti, Mihkel Vitsur, Roman Balzan, Todd Saligman, Christian Kälin, Stuart Dunbar, Carina Schaurte, Birte Orth-Freese, Gun Woo, Lamara von Albertini, Philip Adler, Ramon Vogt, Andrea Hoffmann, Niccolò Garzelli, Darren Williams, Benjamin Böhner, Mike Judith, Grégoire Bordier, Jared Cook, Henk Grootveld, Roman Gaus, Nicolas Faller, Anna Stünzi, Thomas Höhne-Sparborth, Fabrizio Pagani, Taimur Hyat, Ralph Ebert, Guy de Blonay, Jan Boudewijns, Sean Hagerty und Alina Donets, Sébastien Galy, Lars Jaeger, Roman von Ah, Fernando Fernández, Georg von Wyss, Stéphane Monier, Beat Wittmann, Stefan Bannwart, Andreas Britt, Frédéric Leroux, Nick Platjouw, Rolando Grandi, Philipp Kaupke, Gérard Piasko und Brad Slingerlend.