Der japanische Aktienmarkt verzeichnet seit einigen Jahren einen kräftigen Aufschwung. Ist angesichts der Historie nun Vorsicht angebracht?, fragt sich Carlo Capaul in seinem Essay für finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Es waren einst goldene Zeiten: Vor knapp 30 Jahren, bis 1989, wuchs Japan zur zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt heran. Aktien- und Immobilienpreise stiegen in schwindelerregende Höhen. Das Wirtschaftswunder fand jedoch Ende Dezember 1989 sein jähes Ende.

Denn an diesem Punkt notierte der japanische Aktienmarkt bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 51,1 nachdem er zu Beginn der 1970er-Jahre nur ein moderates KGV von 11,1 aufgewiesen hatte. Natürlich konnte das nicht viel länger gut gehen. Innerhalb nur eines Jahres fiel der Nikkei-225-Index von 38'916 auf 23'849 Punkte. Im Jahr 2002 notierte er gar nur noch bei 8'579 Punkten. Ein historisch beispielloser Absturz.

«Lange Phasen der Underperformance erscheinen weniger wahrscheinlich als früher»

Im Zuge des kräftigen Aufschwungs seit 2012 kam der japanische Aktienmarkt jedoch wieder zu Kräften und steuert aktuell auf die 24'000-Punkte-Marke zu. Ist angesichts der Historie nun Vorsicht angebracht?

Eher das Gegenteil ist der Fall. Wir haben es mit einem völlig anderen Investmentumfeld zu tun als 1989. Der Markt befindet sich an einem attraktiven Einstiegspunkt für strategische Investoren. Dafür sprechen sowohl die Verschiebung von Sektorrisiken als auch aktuelle Fundamentaldaten und Bewertungskennziffern.

Anleger in japanische Aktien sind heute völlig anderen Sektorrisiken ausgesetzt als am Höhepunkt des Marktes. Finanz- und IT-Unternehmen sind ausserdem wesentlich unbedeutender als Ende der 1980er-Jahre, während die Sektoren Industrie, zyklische Konsumgüter, Basiskonsumgüter und Telekommunikationsdienste an Bedeutung gewonnen haben.

Zudem ist eine grosse Zahl führender japanischer Unternehmen jetzt viel stärker in die Weltwirtschaft integriert als Anfang der 1990er-Jahre. Infolgedessen weist der japanische Aktienmarkt heutzutage eine wesentlich höhere Korrelation zum globalen Aktienmarkt auf. Lange Phasen der Underperformance erscheinen deshalb weniger wahrscheinlich als in der Vergangenheit.

«Es steht ausser Zweifel, welcher dieser beiden Märkte attraktiver bewertet ist»

Aus fundamentaler Sicht führt die Höhe dieser Korrelation sogar zu einer Unterschätzung der Performance japanischer Unternehmen. In den vergangenen zehn Jahren sind die Reingewinne kotierter Unternehmen pro Jahr um 9 Prozent gestiegen und damit fast doppelt so stark wie bei US-Unternehmen. Interessanterweise notiert der US-Markt derzeit mit einem nachlaufenden Kurs-Gewinn-Verhältnis von 21 und Japan nur mit 13. Obwohl US-Aktien ihre Widerstandsfähigkeit im Jahr 2018 erneut bewiesen haben, steht ausser Zweifel, welcher dieser beiden Märkte attraktiver bewertet ist.

Im Vergleich zu globalen Aktien ergibt sich für Japan ein ähnliches Bewertungsargument. Trotz des verheerenden Einbruchs des japanischen Aktienmarktes zu Beginn der 1990er-Jahre waren japanische Aktien in der Zeit danach zumeist noch teuer bewertet. Dies ist jedoch heute nicht mehr der Fall. Auch nach anderen Bewertungsmassstäben notieren japanische Aktien mit einem Abschlag, und das schon seit Ende 2013. Interessanterweise fällt diese Zeit mit einer kräftigen Rally japanischer Aktien zusammen. Das zeigt, dass die steigenden Aktienkurse einfach nicht mit der rasanten Verbesserung der Fundamentaldaten Schritt halten konnten.

«Die Differenz der Eigenkapitalrendite zum globalen Aktienmarkt ist derzeit sehr niedrig»

Im historischen Vergleich lag die Dividendenrendite des japanischen Index am Höhepunkt des Marktes im Jahr 1989 bei 0,5 Prozent. Die globale Dividendenrendite bewegte sich zu dieser Zeit mit 2,4 Prozent in etwa auf dem gleichen Niveau wie heute, während die Dividendenrendite japanischer Aktien im gleichen Zeitraum auf 2,2 Prozent gestiegen ist.

Obwohl Japan gemessen an diesem Indikator tatsächlich mit einem Aufschlag notiert, ist dieser praktisch nicht existent. Ausserdem ist eine magere Dividendenrendite für die Anleger heute nicht mehr so abschreckend wie früher. Vor allem aber hat sich die Rentabilität in dieser Zeit erheblich verbessert. Die Differenz der Eigenkapitalrendite zum globalen Aktienmarkt ist im Vergleich zu den Niveaus der vergangenen drei Jahrzehnte derzeit sehr niedrig.

«So ist leicht zu verstehen, warum sich der Markt an einem attraktiven Einstiegspunkt befindet»

Aus fundamentaler Sicht könnten die Gewinne japanischer Unternehmen trotz der anhaltenden Handelskonflikte und Instabilitäten an den Finanzmärkten der Schwellenländer auch in den nächsten Jahren um rund 8 Prozent jährlich wachsen. Die von den Unternehmen gewonnenen Daten deuteten insgesamt darauf hin, dass sich der stetige Wachstumskurs fortsetzen dürfte.

Zusammen mit den historisch niedrigen Bewertungskennziffern ist leicht zu verstehen, warum sich der Markt an einem attraktiven Einstiegspunkt für strategische Investoren befindet. Trotz des kräftigen Anstiegs japanischer Aktien in den vergangenen Jahren sind die Fundamentaldaten robust genug für die Annahme, dass sie erst noch an Fahrt aufnehmen werden.


Carlo Capaul ist seit Juli 2004 Head of Global Equities & Equity Strategy beim Schweizer Vermögensverwalter GAM. In dieser Funktion leitet er ein Team von Portfoliomanagern, das auf globale Aktienstrategien spezialisiert ist. Zuvor war er als Anlagestratege und Senior Portfolio Manager bei Swisscanto Portfolio Management, als Direktor bei van Vemde Portfolio Management und als Finanzanalyst/Portfoliomanager bei UBS Asset Management tätig. Er besitzt ein Ingenieursdiplom der ETH und ist CFA-Charterholder.


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