Der Bestseller-Autor und Politikwissenschaftler Parag Khanna verrät in einem exklusiven Interview mit finews.ch, wie sein Startup AlphaGeo den weltweit ersten Datensatz zur Resilienz liefert, gibt seine ungefilterte Meinung über Donald Trump preis und erklärt, warum Elon Musk bestimmte Dinge gar nicht sagen darf.
Parag Khanna, die zweite Amtszeit von US-Präsidenten Donald Trump hat mit Pauken und Trompeten begonnen und Europa in eine Schockstarre versetzt. Wie geht es weiter?
Es gibt Gerede, und es gibt Taten. Als Politikwissenschaftler konzentriere ich mich weniger auf Persönlichkeiten und Einzelpersonen – sowie Tweets. Ich versuche, das Rauschen auszublenden. Mich interessiert, was tatsächlich passiert.
Zum Beispiel?
Wird Donald Trump tatsächlich Menschen im grösseren Stil abschieben oder nicht? Was werden die Folgen seiner KI-Pläne für Unternehmen wie OpenAI sein, die mit Deep Seek konkurrieren, während darüber diskutiert wird, ob man den Import chinesischer KI-Technologien möglicherweise verbieten sollte?
«Wir sollten Amerika nicht an den Massstäben einer konventionellen Demokratie eines Nationalstaates messen»
Mich interessieren Handels- und Aussenpolitik. Inwieweit ist seine Absicht, Panama und Grönland zu übernehmen, ernst gemeint? Ich betrachte das aus verschiedenen Perspektiven, nicht aus der Sicht seiner Person selbst.
Sind Trumps Aussagen nicht einfach beunruhigend?
Wir sollten Amerika nicht an den Massstäben einer konventionellen Demokratie eines Nationalstaates messen.
Warum nicht?
Amerika ist ein Imperium, wie China oder Europa. Jedes dieser Imperien hat seinen eigenen, unverwechselbaren Stil in der Diplomatie und Grossstrategie. Daher sollten wir Amerikas Verhalten nicht anhand eines Massstabs beurteilen, wie eine Demokratie funktionieren soll oder allein auf unseren Vorstellungen beruhend.
Was ist die Alternative dazu?
Supermächte agieren eher nach dem Prinzip der Vorherrschaft als nach rein demokratischen Prinzipien. Multilateralismus ist ihnen nur dann wichtig, wenn er ihren Interessen dient. Daher bewerte ich stets das Handeln, nicht die Worte.
Apropos Handeln: Donald Trump zeigt wenig Verständnis für den Klimawandel, während Sie kürzlich erklärten, dass jene Nationen, die am wenigsten etwas gegen den Klimawandel unternehmen, am stärksten von klimatischen Schwankungen betroffen würden. Beunruhigt Sie die Situation in den USA insofern nicht ganz besonders?
In der Tat. Da Donald Trump wieder im Weissen Haus ist und Umweltvorschriften drastisch zurückfährt, werden mehr Amerikanerinnen und Amerikaner Opfer heftiger Naturkatastrophen wie Hurrikanen, Überschwemmungen und Bränden werden, was wiederum den Wohnungsmarkt gefährdet und die Obdachlosigkeit erhöht.
Was sind die Folgen?
Der Klimawandel verändert die Wohnlandschaft in den USA. Während Überschwemmungen, Brände und andere Umweltgefahren zunehmen, wird die Suche nach sichereren und wohlhabenderen Wohnorten zu einer immer dringlicheren Herausforderung.
«AlphaGeo liefert den ersten globalen Datensatz zur Resilienz»
Klimamigration ist kein einfacher Ursache-Wirkung-Prozess, sondern das Ergebnis eines dynamischen Zusammenspiels von Umwelt- und Wirtschaftsbedingungen.
Migration und Mobilität sind auch die Themen Ihres Bestsellers «Move». Sie argumentieren darin, dass Menschen nicht nur aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen umziehen, sondern auch aufgrund von Klimafaktoren. Wie hat diese Erkenntnis Sie dazu geführt, ein Unternehmen zu gründen?
Hätte ich in «Move» nicht über Klimamigration geschrieben, hätte ich AlphaGeo nicht gegründet. Oder, sagen wir, ich hätte nicht das Vertrauen gehabt, AlphaGeo zu starten.
Warum?
Mir wurde klar, dass ich mit meinen Recherchen für «Move» Vorhersagen über Gewinner- und Verlierer-Geografien auf der Basis von Klima und Migration machte. Also fragte ich mich: Warum investieren die Menschen heute nicht in die Gewinner von morgen? Warum fliesst nicht mehr Kapital in diese Regionen, wo der Erfolg am grössten ist? Deshalb beschloss ich, diese Idee zu monetarisieren.
Welchen Mehrwert bietet Ihr Startup?
AlphaGeo liefert den ersten globalen Datensatz zur Resilienz. Anders ausgedrückt, wir haben quantifiziert und gemessen, was Resilienz bedeutet – für jeden Ort auf dieser Welt. Das hilft Investoren, in widerstandsfähigere Regionen zu investieren. Das ist unser echter Durchbruch.
AlphaGeo unterstützt Investoren, sich auf klimatische Schwankungen vorzubereiten, indem es ihre Investitionen in die resilientesten Geografien lenkt. Unser Toolkit bewertet sowohl das Risiko als auch die Anpassungsfähigkeit jedes Ortes auf der Erde und liefert die «tatsächliche Realität», um mit Zuversicht zu investieren und zu versichern.
Können Sie ein Beispiel für Ihre bisherigen Arbeiten geben?
Anhand unserer internen Methodik haben wir das BIP jedes Bundesstaates in Indien neu berechnet – unter Berücksichtigung von Bevölkerungsdichte, sektorieller Zusammensetzung, Klimaexposition und unserer firmeneigenen Bewertung der infrastrukturellen Resilienz jedes Ortes.
So haben wir festgestellt, dass Indiens BIP im Jahr 2030 um 500 Milliarden Dollar geringer ausfallen wird als die Prognose des Finanzministeriums von 8,26 Billionen Dollar – ein signifikanter Klimarabatt.
Worum geht es in Ihrem nächsten Buch?
Meine Bücher bauen aufeinander auf. Das eine gibt Anlass zum nächsten. Die ersten drei Bücher drehten sich um Geopolitik und die Weltordnung. Gleichzeitig verfolge ich in jedem Buch das Ziel, einen Mythos zu widerlegen.
«Mein nächstes Buch, das fast fertig ist, trägt den Titel Why Globalism Wins»
Zum Beispiel ging es in «Move» um die Humangeographie, und ich wollte den Mythos widerlegen, dass Mobilität aufgrund von COVID-19 und Trumps erster Amtszeit zum Stillstand gekommen sei. In Wirklichkeit war Mobilität schon immer vorhanden und wird es auch bleiben.
Mein nächstes Buch, das fast fertig ist, trägt den Titel «Why Globalism Wins». Tatsächlich drehen sich all meine Bücher um Globalisierung und stellen stets vorherrschende Annahmen in Frage. Welche Aussage könnte heute konventioneller Meinung noch widersprüchlicher sein als «Why Globalism Wins»?
Schreiben Sie Ihre Bücher immer noch selbst?
Ja, das tue ich. Viele Autorinnen und Autoren schreiben heute nicht mehr selbst, sondern nutzen Large Language Models (LLMs) oder Ghostwriter. In meinen Büchern leitet sich sozusagen jedes einzelne Wort von einem «Blut, Schweiss und meinenTränen» ab.
Haben Sie kein Team, das Ihnen Daten zusammenträgt?
Manchmal arbeite ich mit Forscher zusammen, die Daten für mich zusammentragen oder Informationen zusammenfassen. Aber das wird dann kaum mehr als eine Fussnote.
Natürlich ist KI faszinierend. Gleichzeitig ist es frustrierend, weil sie der Authentizität etwas entzieht. Ich nutze LLMs überhaupt nicht, ganz ehrlich. Zugegeben, ich habe aber immer weniger Zeit.
Warum?
AlphaGeo ist inzwischen meine Hauptbeschäftigung. Das Startup hat bedeutende institutionelle Investoren mit hohen Erwartungen. Obschon wir unser Geschäftsmodell bereits monetarisieren, reicht das allein noch nicht aus, zumal ich ein voll funktionsfähiges Unternehmen führe. Ich manage ein Team, einen CTO, einen Strategieverantwortlichen, Investor Relations, etc. Am Ende des Tages bleibt kaum mehr viel Zeit für freiberufliche intellektuelle Aktivitäten.
Wo hat AlphaGeo seinen Firmensitz?
Es wurde hier in Singapur gegründet, aber wir arbeiten remote. Die Führungscrew verteilt sich zwischen hier und New York, mit einer Person in Dubai. Wir sind dabei, weitere Mitarbeitende einzustellen.
Sie sind vor einigen Jahren nach Singapur umgezogen. Geniessen Sie das Leben dort immer noch?
Oh ja, ich liebe es. Ich nenne es ein tropisches urbanes Paradies. Und in gewisser Weise ist es die beste Welt, die man sich vorstellen kann. Singapur ist super vernetzt, gut organisiert, zuverlässig, sauber, ein Finanzzentrum, ein sicherer Ort – es erfüllt alle Kriterien.
«Elon Musk darf das nicht sagen, weil er gegen Immigration ist»
Der beste Weg, die Menschen vor New York zu erschrecken, ist, sie dorthin zu schicken. Umgekehrt ist der beste Weg, die Menschen für Singapur zu begeistern, sie einfach hierher zu schicken.
Elon Musk sagte kürzlich, dass Singapur (und viele andere Länder) aufgrund der niedrigen Geburtenrate aussterben würde.
Nun, der Unterschied liegt in der Perspektive. Es gibt etwas, das er aufgrund seiner eingeschränkten Ideologie leider nicht sagen darf.
Was denn?
Singapur wird fortbestehen – dank der Immigration. Elon Musk darf das nicht sagen, weil er gegen Immigration ist. Er sieht also nicht, dass Singapur sehr leicht wachsen kann. Die Regierung kann immer wieder neu festlegen, wie viele Leute sie aufnehmen möchte – zumal so viele Menschen nach Singapur kommen wollen.
Ich mache mir überhaupt keine Sorgen um die Demografie Singapurs. Ich mache mir keine Sorgen um das Klima, die Wirtschaft oder die Regierung. Nichts davon. Es ist schlichtweg eine einzigartige Stadt.
Beunruhigt Sie die politische Autokratie in Singapur nicht?
Nein, das ist eine grosse Tugend. In meinem Buch «Jenseits von Demokratie» habe ich die Schweiz mit Singapur verglichen. Ich argumentierte, dass diese beiden Länder gegensätzliche Systeme haben, und dennoch beide die besten Regierungsmodelle der Welt hätten.
Die beiden Systeme sind doch völlig verschieden?
Auf dem Papier… Doch schauen wir uns das mal genauer an:. In der Schweiz gibt es die direkte Demokratie, aber auch staatliche Institutionen, die höchste Funktionalität gewährleisten. Die Dinge funktionieren in der Schweiz nicht wegen der Demokratie, sondern wegen zuverlässiger und kompetenter, professioneller Institutionen und Behörden.
«Die Schweiz ist technokratischer, als die Leute annehmen»
In Singapur hingegen gibt es keine direkte Demokratie; dort herrscht Technokratie. Doch die Regierung konsultiert laufend die Bevölkerung. Das bedeutet, dass die Regierung weiss, was die Menschen denken und erwarten, und lezttlich in deren Interesse handelt.
Was lässt sich daraus folgern?
Die Schweiz ist technokratischer, als die Leute annehmen, und Singapur ist deutlich demokratischer. Letztlich besitzen diese beiden Systeme komplementäre Tugenden. Ich würde der Schweiz nicht die direkte Demokratie wegnehmen, ebenso wenig wie ich Singapur die Technokratie nicht absprechen möchte. Das hybride Modell nenne ich letztlich «direkte Technokratie».
AlphaGeo bringt einen neue Dienstleistung auf den Markt. Welche?
Wir haben eine sogenannte Periodentabelle der Staaten («Periodic Table of States», PTOS) lanciert, indem wir die einzelnen Länder der Welt in eine Struktur überführten, die dem Periodensystem der Chemie ähnelt. Jedes Land erhält dabei eine Punktzahl.
«Es ist nicht bloss nur ein weiteres Macht-Ranking»
In der Chemie hat jedes Element eine Ordnungsmasse – so haben wir den Ländern beruhend auf ihrer Stärke und ihrer «Staatlichkeit» Punkte zugewiesen. «Staatlichkeit» bezieht sich auf den Zusammenhalt eines Staates – dessen Effektivität und Fähigkeit, als starke, stabile und zuverlässige Einheit zu funktionieren.
Können Sie das noch etwas genauer erklären?
Klar. Jeder Staat erhält eine Punktzahl für seine Stabilität und Regierungsführung – also dafür, wie stabil, dauerhaft und zuverlässig ein Land ist. Die Schweiz belegt den ersten Platz. Die USA den sechsten. Singapur rangiert in den Top 10.
Besonders interessant an unseren Ergebnissen ist, dass wir die Grösse eines Staates relativ zu seiner «Qualität» berücksichtigen. Anders ausgedrückt: Es handelt sich nicht einfach um ein traditionelles Mächte-Ranking. Oder anders gesagt: Wir haben versucht, die unterschiedlichen Faktoren in einem Index vereinen, in dem die staatliche Leistungsfähigkeit ebenso zählt wie «rohe Macht»?
Und wie haben Sie am Ende diese Herausforderung gelöst?
Wir haben einen gleichgewichteten Korb von Variablen erstellt, der Stärke, Militärgrösse und Bevölkerung berücksichtigt – aber auch die Qualität der Regierungsführung und andere Charakteristika wie Demokratie oder eben Technokratie.
Daraus haben wir ein neues, nicht korreliertes Produkt entwickelt. Wenn Sie unsere Website besuchen, finden Sie es in der Navigation unter «PTOS». Wir hoffen, dass es dazu beiträgt, die Beurteilung von Staaten zu verbessern und Investorinnen und Investoren bei ihren Anlageentscheidungen unterstützt.
Parag Khanna ist Gründer und CEO von AlphaGeo, der führenden KI-gestützten Plattform für Geospatial Analytics. Er ist internationaler Bestsellerautor von sieben Büchern, darunter Move: Where People Are Going for a Better Future (2021), dem vorausgegangenen The Future is Asian: Commerce, Conflict & Culture in the 21st Century (2019) sowie einer Trilogie über die Zukunft der Weltordnung. Er promovierte an der London School of Economics und erwarb Bachelor- und Masterabschlüsse an der School of Foreign Service der Georgetown University. Geboren in Indien und aufgewachsen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, New York und Deutschland, lebt er inzwischen in Singapur.