HarbourVest-CEO John M. Toomey:«Wir haben den Luxus der Zeit»
Zurzeit gibt es kaum einen Asset Manager oder eine Bank, die ihren Kunden nicht Anlagen in Privatmärkten empfiehlt. Birgt der Boom in diesem naturgemäss wenig liquiden und transparenten Segment nicht Gefahren für die Investoren und die Finanzstabilität? Der CEO von HarbourVest, einer Gesellschaft, die schon lange in diesem Geschäftsfeld tätig ist, beantwortet diese und weitere Fragen.
Seit gut einem halben Jahr ist der Anbieter von Privatmarktanlagen HarbourVest auch mit einem Büro in Zürich präsent. Mit dem Start ist Länderchef Simon Jennings sehr zufrieden.
HarbourVest ist zwar schon fast seit der Gründung vor 40 Jahren in der Schweiz tätig und in der Private-Equity-Szene entsprechend bekannt. «Aber es ist nicht dasselbe, wie wenn man vor Ort ist», stellt Jennings fest. «Unsere Kunden schätzen es sehr, dass wir unsere Verbundenheit mit der Schweiz nun mit einer eigenen Niederlassung bekräftigt haben. Sie werden jetzt vor Ort von hiesigem Personal betreut.»
Keine «Master-of-Universe»-Typen
Zudem gibt es viele potenzielle Kunden, die HarbourVest noch nicht kennen. «Ihnen gefällt unsere lange Geschichte, speziell, dass wir immer noch im Privatbesitz sind. Wir sind keine ‹Master of Universe›-Typen, sondern eine Gesellschaft, die über Jahrzehnte eine Kultur des guten Investierens entwickelt hat.» Jennings führt in Zürich ein Team von vier Spezialisten, zwei weitere sollen demnächst rekrutiert werden.
Dass der Standort Zürich wichtig ist, zeigt sich auch daran, dass mit John M. Toomey der CEO von HarbourVest (der seit über 20 Jahren für das Unternehmen tätig ist) für eine Kundenveranstaltung in den neuen Räumlichkeiten in der Claridenstrasse in die Schweiz gekommen ist. finews.ch hat die Chance genutzt, sich mit ihm u.a. über Chancen und Gefahren des Booms in Privatmarktanlagen zu unterhalten.
Herr Toomey, welche Bedeutung hat der Standort Zürich für HarbourVest?
Er ist Teil unserer Strategie, vor Ort zu sein, um unsere Kunden besser zu verstehen. Wir haben heute weltweit 14 Niederlassungen und erweitern unser Netz organisch. Unsere 250 Experten verwalten Assets über 140 Milliarden Dollar. Heute sind 85 Prozent unserer Kunden institutionelle Anleger. Der Rest entfällt auf andere Vermögensverwalter – und gerade in diesem Bereich ist die Schweiz natürlich sehr wichtig.
Heute wirbt fast jeder Asset Manager für Privatmarktanlagen und preist sich auch als Experte dafür an. Wie kann sich HarbourVest da noch differenzieren?
Wettbewerb gab es schon früher, doch ist der Markt viel grösser und reifer geworden. Für einen Anbieter, der heute neu in den Markt einsteigen will, ist es nicht schwer, Geld zu finden und Leute einzustellen. Aber es ist verdammt schwierig, die Erfahrungen zu sammeln, die wir in letzten 40 Jahren gemacht haben, und in dieser Disziplin mit uns mitzuhalten. Es handelt sich um ein «People’s Business». Und man weiss erst nach einiger Zeit und verschiedenen Marktzyklen, wie gut die Leute effektiv sind, die man rekrutiert hat. Für uns ist es daher entscheidend, die guten Leute an uns zu binden und zu behalten – und wir sind damit ziemlich erfolgreich: Im Durchschnitt sind unsere Managing Directors schon 17 Jahre bei uns, was in der Branche einzigartig sein dürfte.
«Es ist nicht schwer, in den Markt einzusteigen und Geld zu finden. Aber es verdammt schwer, die Erfahrungen zu sammeln.»
Und der wichtigste Anreiz dürfte in Ihrem Metier das Salär bzw. der Bonus sein, oder?
Nein. Für talentierte Leute ist es mehr die intellektuelle Herausforderung, wie man langfristig Mehrwert schaffen kann. Es geht um das Antizipieren und Prognostizieren von Ereignissen, den richtigen Zeitpunkt für den Kauf und Verkauf von Assets, den Austausch, das Überzeugen und das Überzeugt-Werden und um unsere spezielle Unternehmenskultur, die einem zusagen muss.
Was machen Sie denn besser als andere Anbieter?
Wir waren von Anfang dabei, haben mit Wagniskapital begonnen, kamen dann zu Private Equity und sind heute auch in Private Credit und Infrastrukturanlagen aktiv. Wir investieren sowohl über Multi-Manager-Fonds als auch direkt. Und wir waren einer der ersten Akteure, der sich gleichzeitig im Primärmarkt, im Sekundärmarkt und mit Direktinvestitionen engagierte. Dieser Entscheid hat sich als richtig herausgestellt. Wir haben heute in allen drei Bereichen die nötige Grösse und die Ressourcen, damit wir für die Fondsmanager ebenbürtige Partner sind.
Früher galt Private Equity & Co als undurchsichtig, illiquid und für Anleger als Buch mit sieben Siegeln. Die Musik spielte am öffentlichen Kapitalmarkt, der durch klare Regeln, eine gute Handelbarkeit und hohe Transparenz bestach. Was hat sich geändert?
Zum einen hat sich das Gewicht weltweit von den öffentlichen Märkten hin zu den privaten verschoben. Unternehmen bleiben heute viel länger privat oder verzichten ganz darauf, an die Börse zu gehen. Die Zahl der kotierten Unternehmen nimmt ab. Die Folge: Man muss heute als Institutioneller in dieser Anlageklasse investiert sein.
«Das Management von privat gehaltenen Unternehmen kann oft bessere Entscheidungen treffen als das von kotierten.»
Das dürfte auch eine Konsequenz der Überschussrenditen gegenüber herkömmlichen Assets sein, mit denen die Branche gerne wirbt. Worauf führen Sie die hohen Renditen zurück – auf das Ausnützen von Ineffizienzen oder Financial Engineering?
Nein, ich glaube vielmehr, dass es mit der Governance zu tun hat. Das Management von privat gehaltenen Unternehmen kann oft bessere Entscheidungen treffen als das von kotierten Gesellschaften, die von Quartal zu Quartal rapportieren müssen. Private-Equity-Investoren haben einen relativ langen Zeithorizont und nehmen über den Verwaltungsrat auf die Unternehmensentscheide in diesem Sinne Einfluss. Dadurch stimmt auch die Anreizstruktur für das Management; sie ist weniger kurzfristig ausgelegt.
Weshalb soll ich als Schweizer Pensionskasse in Private Equity investieren? Ich konnte doch letztes Jahr am US-Aktienmarkt glänzend verdienen, mit viel Transparenz und Liquidität.
Es gibt immer wieder solche Phasen, in denen die öffentlichen Märkte die privaten schlagen. Aber über den ganzen Zyklus betrachtet bieten diese eine Mehrrendite, deshalb ist es sinnvoll, einen Anteil zu investieren. Und ja, Privatmärkte sind illiquid, aber die Bewertungen sind über die Zeit markant besser geworden. Emotionen und Ängste spielen eine viel kleinere Rolle als an der Börse, die Volatilität ist geringer. Es ist unsere Aufgabe, Kunden Klarheit darüber zu verschaffen, worin sie investieren. Verständnis schafft Vertrauen.
Und weshalb soll eine Pensionskasse, die ihre Quote der alternativen Anlagen unbedingt erhöhen möchte, nicht einfach Hedge Funds kaufen? Die versprechen ja auch eine hohe Rendite und eine tiefe Korrelation gegenüber traditionellen Anlagen.
Hedge-Funds-Manager haben eine ganz andere Anreizstruktur. Wir haben «Skin in the game» und müssen zuerst Gewinne erwirtschaften, bevor wir Gebühren verrechnen können. Hedge Funds berichten im Quartalsrhythmus, unsere Investitionen sind typischerweise in geschlossenen Fonds über zehn Jahre angelegt. Insgesamt haben institutionelle Anleger denn auch in den letzten Jahren ihr Exposure in Hedge Funds zugunsten von Privatmarktanlagen reduziert. Und was die Korrelation angeht: Ich würde sie bei uns als «tiefer», aber nicht als «tief» bezeichnen.
Was geschähe, wenn der US-Aktienmarkt auf einen Schlag 20 Prozent an Wert verlöre, mit entsprechenden Private-Equity-Anlagen?
Ich schätze, dass sie rund 10 Prozent einbüssen würden. Aber der Verlust würde mit einer Zeitverzögerung anfallen. Wir haben den Luxus der Zeit, bei uns gibt es keine Notverkäufe und keine Margin Calls. Dazu kommt, dass die aktuell gebräuchlichen, vergleichsweise grosszügigen Klauseln in den Anleihen für die Eigenkapitalgeber positiv sind, weil die Manager dadurch Volatilität aussitzen können.
«Seit Jahren höre ich die Leier, die Zahlungsausfälle würden dramatisch steigen. In der Realität konnten sich die Unternehmen problemlos refinanzieren.»
Aber die schwachen Covenants in den Anleihensbedingungen schwächen doch die Stellung der Fremdkapitalgeber, auch beim Private Credit.
Seit Jahren höre ich immer wieder die gleiche Leier: Die Quote der Zahlungsausfälle werde bald dramatisch steigen, u.a. weil eine Welle von Refinanzierungen bevorstehe. In der Realität ist diese Quote bei weitem nie so stark gestiegen wie prognostiziert, und die meisten Unternehmen konnten sich problemlos refinanzieren.
Die Regulatoren und ihre Gremien auf internationaler Ebene beäugen die Schattenbankenindustrie mit ihren hohen Wachstumsraten misstrauisch und sind in Sorge um die Finanzstabilität. Ist Ihre Branche nicht auch ein Teil dieses Problems?
Ich habe Verständnis dafür, dass die Regulatoren Transparenz suchen und den Markt analysieren. Aber wir arbeiten mit viel weniger Leverage als das traditionelle Bankensystem, und vor allem haben wir ganz andere Finanzierungsquellen. Unsere Mittel stammen von Tausenden von institutionellen Anlegern, die ihrerseits mit jeweils kleinen Exposures langfristig engagiert sind. Unser Funding ist also atomisiert und diversifiziert. Es kann keine Bankruns geben. Unsere Branche ist somit strukturell bedingt viel stabiler als das traditionelle Banking.