Winston Churchill ging für seine Heimat erhebliche Risiken ein. Weniger bekannt ist, dass der Staatsmann auch bei seinen privaten Finanzen enorme Risiken auf sich lud, wie der Schweizer Churchill-Experte Werner Vogt exklusiv für finews.first schreibt.


Dieser Beitrag von Werner Vogt erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen renommierte Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first erscheint in Zusammenarbeit mit der Genfer Bank Pictet & Cie. Die Auswahl und Verantwortung der Beiträge liegt jedoch ausschliesslich bei den Herausgebern von finews.ch Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Dieter Ruloff, und Samuel Gerber.


Als Winston Churchill im Mai 1940 das Premierminister-Amt annahm und gleichzeitig energisch dafür eintrat, dass Grossbritannien gegen Nazideutschland weiterkämpfte, so war dies ein Hochrisiko-Engagement, dessen Ende ungewiss war. Ganz abgesehen davon, dass es ein noch grösseres Risiko gewesen wäre, mit Adolf Hitler irgendeinen faulen Handel abzuschliessen.

Weniger bekannt ist, dass Winston Churchill während seines ganzen Lebens ein mindestens gleich grosses Risiko auf sich nahm im Bereich seiner privaten Finanzen.

Wie kam es dazu, dass Winston Churchill 1940, namentlich im Juni, nach der Kapitulation Frankreichs als immerhin schon 65-jähriger Mann gröbstem Stress standhielt? – Einerseits war es sein unbändiger Wille in der dunkelsten Stunde zu führen und zu inspirieren, anderseits eine 45-jährige Vorgeschichte von enormer politischer, militärischer und psychologischer Erfahrung.

«Zwei Dutzendmal schlich er sich nachts bis auf Hörweite an die deutschen Schützengräben»

Im Alter zwischen 20 und 25 Jahren (1895-1900) hatte er in fünf Jahren an ebenso vielen Feldzügen auf vier Kontinenten teilgenommen: als Soldat, als militärischer Beobachter oder als Kriegsberichterstatter. Vor feindlichem Mündungsfeuer hatte er dabei nie Angst. Sodann erlebte er 1915 – nach seinem erzwungenen Rücktritt als Marineminister nach einem katastrophalen Misserfolg in den Dardanellen – den 1. Weltkrieg und seinen gesamten Horror hautnah, als Bataillonskommandant im Grabenkrieg von Flandern. Auch hier suchte und fand er das Risiko. Zwei Dutzendmal schlich er sich nachts bis auf Hörweite an die deutschen Schützengräben.

Zwischen 1905 und 1929 bekleidete er acht verschiedene Ministerien. Und auch in einer Auszeit von 1929 bis 1939, ein Jahrzehnt der politischen Isolation lernte er einiges über das Funktionieren der Politik, das er 1940 bestens gebrauchen konnte. Eine reife Leistung war aber vor allem seine Vision, das Hitler und sein Nazideutschland nicht unbesiegbar waren.

«Er war im besten Sinne des Wortes ein Warlord»

Dabei war er alles andere als naiv. Churchill wusste genau, dass ein Sieg gegen Deutschland ohne die Hilfe der Vereinigten Staaten ein Ding der Unmöglichkeit war. Gegenüber seinem Sohn Randolph Churchill sagte er einmal beim Rasieren: «I shall drag the Americans in.»

Dies gelang dann schliesslich in einer brillant angelegten diplomatischen Charme-Offensive an die Adresse Präsident Franklin Delano Roosevelts. Dass die USA nach dem demütigenden Angriff der Japaner auf den Hauptstützpunkt der Pazifikflotte in Pearl Harbor und dem nachfolgenden Kriegseintritt bereit waren zu einer «Europe-First-Strategie» ist durchaus Winston Churchills Verdienst.

Churchill war im besten Sinne des Wortes ein Warlord. Wie die englischen Könige im Mittelalter selber in die Schlacht gezogen waren, so hatte auch Churchill als junger Mann die Feuertaufe gesucht und gefunden. Die Faszination des Gefechts verliess ihn jedoch nie: In der Battle of Britain – der Luftschlacht um England – war er selten in den Cabinet War Rooms – im Bunker unter Tag.

Oft verfolgte er die Luftkämpfe vom Dach eines Regierungsgebäudes aus. Und anlässlich des D-Days (am 6. Juni 1944) hatte er tatsächlich vor, auf einem Kriegsschiff Richtung Normandie mitzufahren – eine Bieridee, die ihm kein geringerer als der britische König ausredete.

«Er schrieb mehr als William Shakespeare und Charles Dickens zusammengerechnet»

Eine weitere mögliche Erklärung, weshalb Churchill unter dem enormen Druck gerade in den ersten drei Jahren des 2. Weltkriegs nicht zusammenbrach, liegt in der Tatsache, dass er Zeit seines Lebens ein Hochrisiko-Verhalten im Bereich seiner Privatfinanzen an den Tag gelegt hatte.

Zwar stimmt es, dass Churchill neben seinen Ministergehältern umgerechnet auf heutige Zahlen Millionen mit seiner Feder verdiente. Er schrieb mehr als William Shakespeare und Charles Dickens zusammengerechnet und wurde in gewissen Phasen seines Lebens mehr als fürstlich für seine Bücher und Zeitungsartikel bezahlt.

«Dass er das Glücksspiel im Casino liebte, sei nur am Rande erwähnt»

Wie der ehemalige Investmentbanker David Lough in einer neuen Studie nachweist, orientierte sich Churchill jedoch nie am Ertrag, sondern im Gegenteil am Aufwand. Er liebte opulente Tafeln mit edlen Weinen, Brandy und Whisky, hielt gerne Hof umgeben von Freunden und Bekannten und reiste mit Stil und Hofstaat.

Daneben rauchte er gut und gerne einen Meter edler kubanischer Zigarren pro Tag und riskierte mit seinen Investitionen in südafrikanische Minenaktien oder Titeln in amerikanischen Eisenbahnen mehr als einmal Kopf und Kragen. Dass er das Glücksspiel im Casino liebte, sei nur am Rande erwähnt. Das Problem Churchills war, dass er systematisch über seine Verhältnisse lebte.

«Sehr zum Horror seiner Frau Clementine war Churchill notorisch überschuldet»

Schon die Anschaffung seines Landguts in Chartwell, Kent – 80 Hektar gross mit Bauernhof – war eine Hochrisiko-Angelegenheit, was er spätestens dann merkte, als er in zwei Jahren (1921/1922) 23‘000 Pfund – heute wären es 2,5 Millionen Pfund investieren musste, um die notwendigen Renovations- und Umbauarbeiten auszuführen.

Sehr zum Horror seiner Frau Clementine war Churchill notorisch überschuldet und ständig im Clinch mit der Steuerbehörde oder seinen Bankmanagern, die ihn piesackten wegen seiner überzogenen Konten oder Rückstande in seinen Amortisationen. Mehrmals stand er am Rand des Abgrunds und wurde in letzter Minute herausgeboxt durch wohlhabende Freunde wie etwa den Investmentbanker Sir Ernest Cassell.

Insofern erstaunt es, dass Churchill von 1924 bis 1929 Schatzkanzler war und korrekte Budgets vorlegte wie alle seine Vorgänger dies auch getan hatten. Aber vielleicht war es gerade dieser unbändige und kompromisslose Mut zum Risiko, auch zum grossen Risiko, der Winston Churchill 1940 die Kraft gab, gegen alle Widerstände anzutreten als Retter von Europa vor der Tyrannei der Nazi.


Werner Vogt, Exec. MBA HSG, ist Historiker, Publizist und Kommunikationsberater in Küsnacht ZH. Er ist Autor mehrerer Bücher und zahlreicher Artikel über Winston Churchill. Sein jüngstes Buch über den britischen Kriegspremier ist: «Winston Churchill und die Schweiz», Zürich, NZZ Libro, 2015.