Die Asset-Management-Branche sollte sich ein Beispiel an Ludwig van Beethoven nehmen, findet der Schweizer Finanzexperte Jean-François Hirschel in seinem exklusiven Essay für finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Andere hätten längst aufgegeben. Aber nicht Ludwig van Beethoven. Fast gänzlich taub, klemmte er sich einen Stift zwischen die Lippen und hielt diesen gegen das Klavier, um wenigstens die Vibrationen der Musik wahrzunehmen, die er kompnierte. Von diesen Schwingungen geleitet, schrieb er seine legendäre Neunte Symphonie. Es war die grösste Stunde des Komponisten: Durch Planung und Beharrlichkeit schenkte er der Welt ein Meisterwerk, in dem sich die bewegten Zeiten der Aufklärung spiegeln, und das bis heute nichts an Bedeutung eingebüsst hat.

Nach 25 Jahren Erfahrung im Finanzmarketing, als ehemaliges Geschäftsleitungsmitglied des Genfer Vermögensverwalters Unigestion und nun mit meiner eigenen Firma H-Ideas unterwegs, komme ich zum Schluss, dass auch das Asset Management viel von Beethoven lernen könnte. Der Komponist lebte in einer Ära enormer Verwerfungen – nicht unähnlich dem Wandel, dem die Fondsbranche in den vergangenen Jahren unterworfen war.

«Wie verschaffen wir uns über die Kakophonie der Konkurrenz hinaus Gehör?»

So führten Systemschocks zu immer strengeren Vorschriften, und die technologische Innovation stellt das ganze Umfeld auf den Kopf; um Themen wie Künstliche Intelligenz oder Big Data kommen Vermögensverwalter heute nicht mehr herum. Das alles führt dazu, dass die Kosten, um die eigene Position im Markt zu verteidigen und sich dem Wettbewerb zu stellen, so hoch sind wie nie zuvor. Mit anderen Worten: Die einzige Konstante ist mittlerweile der Wandel – und nur die Stärksten und Schnellsten werden diesen mitgestalten können.

Noch ist die Branche dicht bevölkert. In Europa allein konkurrieren rund 4'000 Fondhäuser und 54'000 Fonds um Kundengelder. Die Klientel hat damit die Qual der Wahl – aber wie erreichen wir sie überhaupt? Wie verschaffen wir uns über die Kakophonie der Konkurrenz hinaus Gehör? Sicher nicht, indem wir folgenden zwei Mustern folgen, die leider im Marketing und in der Kommunikation von Vermögensverwaltern äusserst verbreitet sind.

«Wie die Musik müssen auch wir ins Hirn des Investors vordringen»

Man könnte sie so auf den Punkt bringen: «Ich, ich, ich» und «Jargon, Jargon, Jargon». Das erste Muster dreht egozentrisch um die Leistungen der Firma; das Zweite verliert sich in technischer Begrifflichkeit. Beide Kommunikationsstrategien verfehlen das, worauf es im Marketing eigentlich ankommt – nämlich, eine Beziehung zum Kunden zu schaffen.

Beethoven erreichte ebendies mit seinen Kompositionen. Ganz ähnlich werden es die künftig erfolgreichen Fondshäuser handhaben: jenen Anbietern also, denen es gelingt, eine Verbundenheit mit ihrer Kundschaft zu erreichen. Wie die Musik müssen sie dabei ins Hirn des Investors vordringen – sie müssen herausfinden, was diesen bewegt.

Einiges kommt einem dazu in den Sinn: So zieht sich beispielsweise der Staat immer mehr aus der Vorsorge zurück, weshalb Spar- und Anlageentscheidungen zunehmend schwerer auf den Schultern jedes einzelnen Bürgers lasten. Das sorgt für einen Druck, der dadurch noch verstärkt wird, dass die Anleger einer gross und grösser werdenden Informationsflut ausgesetzt sind. Das führt zu Skepis, die durch immer neue Finanzskandale zusätzlich angefacht wird. Kurz, im Lärm gehen die wichtigen Botschaften unter. Und wenn sie doch durchkommen, stossen sie tendenziell auf Ablehnung.

Mehr Beethoven könnte dem Finanzmarketing da nur helfen: Und zwar mit der eigenen Leidenschaft, den «Götterfunken» zum Publikum, sprich zum Kunden zu tragen.

«Vertrauen ist es letztlich, was einen Kunden langfristig beim Unternehmen hält»

Dabei besteht die Kunst darin, zum Kunden zu sprechen, statt nur über sich selber. Eine Kunst ist es überdies, auf die Klientel einzugehen, anstatt sie mit technischer Sprache zu verschrecken. Und die grösste Kunst bedeutet es schliesslich, zu zeigen, dass wir uns um die Vermögen der Kunden kümmern und die Verantwortung wahrnehmen, diese zu schützen und zu vermehren.

Indem die Branche auf den Kunden eingeht, verschafft sie sich Vertrauen. Und Vertrauen ist es letztlich, was einen Kunden langfristig beim Unternehmen hält. Das kontrastiert mit dem traditionellen Geschäftsmodell, in dem sich alles um Kosten, um Gebühren und um die Performance dreht. Doch Vertrauen ist mindestens so wichtig. Wenn nicht noch mehr.


Jean-François Hirschel ist Gründer der in Genf ansässigen Finanzmarketing-Firma H-Ideas. Er studierte Computer-Wissenschaften an der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) und stieg anschliessend in die Finanzbranche ein. Nach Stationen bei den französischen Grossbanken BNP Paribas und Société Générale stiess er 2007 zum Vermögensverwalter Unigestion in Genf. Für diesen war er bis 2017 tätig, zuletzt als Marketingchef und Mitglied der Geschäftsleitung.  


Bisherige Texte von: Rudi BogniOliver BergerRolf BanzSamuel GerberWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan GerlachMarc Lussy, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Andreas BrittMartin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Thorsten PolleitKim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard GuerdatDidier Saint-GeorgesMario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech VizardAdriano B. LucatelliKatharina BartMaya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco MartinelliBeat WittmannThomas SutterTom KingWerner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Michel Longhini, Frédéric Papp, James Syme, Peter Hody, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Ralph Ebert, Marionna Wegenstein, Armin JansNicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio QuirighettiClaire Shaw, Michael A. WeltiPeter FanconiAlex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Claude Baumann, Sandro OcchilupoClaudia Kraaz, Will Ballard, Michael Bornhäusser, Nicholas Yeo und Claude-Alain Margelisch.