Die Blockchain-Technologie hat das Potenzial, die Finanzindustrie zu verändern, schreibt der Fintech-Experte Oliver T. Bussmann auf finews.first. Diese Erfahrung werden andere Branchen zuerst machen.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen renommierte Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Genfer Bank Pictet & Cie. Die Auswahl und Verantwortung der Beiträge liegt jedoch bei finews.ch.
Wie Nick Williamson, Gründer der britischen Blockchain-Entwicklungsfirma CREDITS und Co-Autor dieses Beitrags, bin ich überzeugt, dass die Blockchain-Technologie geradezu prädestiniert ist, die Finanzwelt zu revolutionieren. Warum?
Das eigentliche Herz des Finanzsystems bilden vernetzte Transaktionsprozesse. Die Blockchain mit ihrem dezentralen Ansatz, ermöglicht es dabei, diese Transaktionen einfacher und besser abzuwickeln. Darum unternehmen Banken und Fintech-Firmen seit geraumer Zeit enorme Anstrengungen, um auf der Basis der Blockchain Anwendungen und Lösungen für den Einsatz in der Finanzwelt zu entwickeln. Dennoch werden wir die ersten Live-Anwendungen der Blockchain nicht im Banking sehen, sondern in anderen Branchen. Das klingt paradox und muss genauer erklärt werden.
«Banken sind Teil eines Industriesektors, der zu den weltweit am strengsten regulierten gehört»
Aus meiner Erfahrung in der Finanzindustrie kann ich klar ausmachen: Eines der grössten Innovationshemmnisse für Finanzdienstleister ist die Regulierung. Banken sind Teil eines Industriesektors, der zu den weltweit am strengsten regulierten gehört. Will ein Finanzinstitut eine Plattform in Betrieb nehmen, die auf der Blockchain beruht, ist sie gezwungen, sich für eine grosse Anzahl von Belangen und potenziellen Problemen regulatorisch abzusichern.
Damit nicht genug: Auch innerhalb der Bank sind strikte Regeln einzuhalten, was beispielsweise das Sammeln, Speichern und Teilen von Kundendaten betrifft. Die Prüfung, Absicherung/Cyber Security und interne Absegnung dieser Regeln erhöhen zusätzlich zum regulatorischen Aufwand die Komplexität bei der Einführung einer Blockchain-Anwendung.
«Teilweise stellt auch die Denkweise in der Finanzbranche ein Hindernis dar»
Obwohl zahlreiche Regulierungsbehörden die Banken aktiv darin bestärken, mit der Blockchain zu experimentieren, schaffen enge Regelkorsette begleitet von strenger interner Compliance schlicht kein günstiges Umfeld für «early adopters».
Zudem stellen sich weitere Hindernisse. Ich denke da an die schrumpfenden IT-Budgets oder allein schon die Tatsache, die veralteten «Legacy»-IT-Systeme auf den heutigen technischen Stand zu bringen. Teilweise stellt auch die in der Finanzbranche vorherrschende Mentalität und Denkweise ein Hindernis dar: Denn sie ist nach wie vor stark auf zentrale Systeme und Modelle ausgerichtet. Im Gegensatz dazu vertritt die Blockchain mit ihrer dezentralen Ideologie ein völlig anderes Weltbild.
Aus diesen Gründen bin ich überzeugt, dass die Blockchain zuerst in anderen Branchen zum Einsatz kommen wird – beispielsweise im Gesundheitssektor, wo der Datenschutz von Patienteninformationen sehr sensitiv ist. Andere Anwendungen sind im Bereich wettbewerbsrelevanter Unternehmensgeheimnisse oder interner Daten denkbar. Weitere, auf Anhieb eher überraschende Bereiche könnten die Musikindustrie oder die Kunstbranche sein, wo es um den Schutz geistigen Eigentums geht.
«BHP Billiton will die Blockchain zur Verbesserung des Supply Chain Managements verwenden»
Geschäftsfelder, in denen Blockchain-Anwendungen in den Startlöchern stecken, sind unter anderem E-Government, das Management und die Finanzierung von Wertschöpfungsketten, Versicherungen, der Immobiliensektor oder das so genannte Internet der Dinge (Internet of Things, IOT).
Kürzlich kündigte der Rohstoffkonzern BHP Billiton an, die Blockchain zur Verbesserung des Zulieferer-Managements, also des Supply Chain Managements, zu verwenden. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Blockchain allmählich durchsetzt.
Nick Williamson beobachtet diesen Trend auch in seinem Unternehmen. CREDITS verfolgt einige Blockchain-Projekte ausserhalb der Finanzbranche, die mit Identitätsnachweisen, Beschaffungswesen oder firmeninternem Zahlungsverkehr zu tun haben. Kürzlich hat CREDITS auch mit einem Kunden an einer Blockchain-Anwendung für die Corporate Identity eines Unternehmens gearbeitet.
«Dann wird der Durchbruch in der Finanzwelt nicht mehr allzu fern sein»
In letzter Zeit war CREDITS auch in dem erwähnten Bereich E-Government aktiv. Die Blockchain bietet in diesem Zusammenhang zahlreiche Chancen, sowohl das Vertrauen als auch die Verantwortlichkeiten in vielen Prozessen zu stärken. Sie ermöglicht beispielsweise Lösungen, sensible Personendaten zwischen Behörden und anderen Stellen auszutauschen. Dies unter Ausschluss des Risikos eines Datenlecks, aber dennoch mit der Möglichkeit, die Daten intern für Überprüfungen zugänglich zu machen.
Die gute Nachricht für die Banken ist, dass die Blockchain bereits erprobt sein wird, wenn sie dereinst bei Finanzdienstleistungen Einzug hält. Sobald die Blockchain in der Zuliefererkette eines Rohstoffgiganten wie BHP Billiton funktioniert, wird der Durchbruch in der Wertschöpfungskette der Finanzwelt nicht mehr fern sein.
Oder auch anders ausgedrückt: Mit einer baldigen Disruption des Finanzsektors durch die Blockchain-Technologie ist kaum zu rechnen. Doch das heisst nicht, dass dies nie geschehen wird. Im Gegenteil: Zukunft und Schicksal der Blockchain und der Banken sind eng miteinander verknüpft.
Oliver T. Bussmann war bis im vergangenen März Chief Information Officer (CIO) der UBS, wo er die IT-Transformation leitete, neue, gruppenweite Innovations-Plattform einführte und die Schweizer Grossbank als Vorreiterin für die Anwendung der Blockchain-Technologie in der Finanzbranche etablierte. Bevor er im Juni 2013 zur UBS stiess, arbeitete Bussmann fünf Jahre als Global Chief Information Officer für den deutschen Software-Konzern SAP.
Weitere Stationen in seinem beruflichen Werdegang waren Allianz, Deutsche Bank und IBM. Neben diversen Auszeichnungen, die er in den vergangenen Jahren erhielt, kürten ihn 2015 die «Financial Times» und das «Wall Street Journal» zum Chief Operating Officer/Chief Technologie Officer des Jahres. Heute ist Oliver Bussmann als Berater selbständig tätig.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Thomas Fedier, Claude Baumann, Beat Wittmann, Richard Egger, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Peter Hody, Steve Hanke, Andreas Britt, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp und Katharina Bart.