Sollte sich das weltweite Wirtschaftswachstum verlangsamen, könnte die Phase des billigen und irrational leicht verfügbaren Kapitals an der Börse definitiv zu Ende sein, schreibt Mark Hawtin auf finews.first.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
In jüngster Vergangenheit fanden im Technologiesektor einige enttäuschende Börsengänge statt, wie mit Uber oder Lyft. Dies könnte darauf hindeuten, dass sich die Phase der irrational leichten Kapitalverfügbarkeit für sogenannte «Unicorns» möglicherweise ihrem Ende zuneigt. Den gescheiterten Versuch von WeWork, eigene Aktien an die Börse zu bringen, werte ich als Sieg für den gesunden Menschenverstand über den aktuellen Hype.
Das Geschäftsmodell von WeWork ist die gemeinsame Nutzung von Büros und bietet nur einen geringen, klar definierbaren technologischen Nutzen. Daher haben wir bereits seit einiger Zeit gemahnt, dass der Versuch, ein solches Unternehmen mit einem Preisschild von mehr als 50 Milliarden Dollar zu versehen, praktisch nicht zu rechtfertigen ist.
«Bereits leichte Anzeichen einer Rezession könnten auf viele Startups katastrophale Auswirkungen haben»
Wie bei vielen Hype-Zyklen sorgte die Unterstützung durch sehr glaubwürdige Investoren – Softbank, Jamie Dimon von J.P. Morgan sowie einige hochkarätige Investmentbanken – für eine Faszination, die den Versuch eines Börsengangs erst ermöglichte. Die gescheiterte Aktienplatzierung an der Börse kam für die Investmentbranche etwas unerwartet, so dass die Bewertung des Unternehmens binnen weniger Wochen von beachtlichen 60 bis 90 Milliarden Dollar auf unter 15 Milliarden Dollar gesunken ist.
Mittlerweile schätzen Fachleute die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen insolvent wird, sehr viel höher ein, als dass es je wieder einen signifikanten Wert für Anleger erlangt. WeWork weist in seiner Bilanz Verbindlichkeiten von 35 Milliarden Dollar für sehr langfristige, nicht übertragbare Pachtverträge aus, denen auf der Aktivseite kurzfristige Mietverträge gegenüberstehen, die nur geringe garantierte, langfristige Umsatzströme bieten.
Tatsächlich könnten leichte Anzeichen einer konjunkturellen Verlangsamung oder einer Rezession auf viele Startups in der Mieterschaft katastrophale Auswirkungen haben – vergleichbar mit dem Selektionseffekt strenger Winter auf die Fauna.
«Das Beispiel von WeWork verdeutlicht ein sehr viel grösseres Problem»
Dies würde nicht nur die Investoren treffen, die in früheren Finanzierungsrunden überhöhte Preise bezahlt haben, sondern auch viele der 15'000 Beschäftigten, die sich Hoffnungen gemacht hatten, durch dieses «Unicorn» ein Stück des neuen Reichtums zu ergattern. Es ist nicht nur unwahrscheinlich, dass sie dieses Stück vom Kuchen jemals zu Gesicht bekommen werden, sondern viele von ihnen könnten durch Kostensenkungen, die unvermeidlich anstehen, auch ihren Job verlieren.
Das Beispiel von WeWork verdeutlicht ein sehr viel grösseres Problem – nämlich die Frage, was am breiten IPO-Markt für hochkapitalisierte Technologieunternehmen geschehen wird. WeWork dürfte die Situation für Unternehmen, die den Schritt vom Privatmarkt an die öffentlichen Märkte wagen, ganz wesentlich verändern. Börsen dulden normalerweise keine verlustgenerierenden Unternehmen, da bei diesen die Risiken und der Hype überproportional hoch ausgeprägt sind.
«Nach aktuellen Angaben produziert Uber einen Verlust von rund 1 Milliarde Dollar pro Quartal»
Ein gutes Beispiel dafür sind die jüngsten Börsengänge von Uber und Lyft. Ihre Aktienkurse stehen bereits unter Druck, da sich mittlerweile zeigt, dass ihr Geschäftsmodell zwar disruptiv ist, sie jedoch nicht die richtige Formel für ein profitables Geschäftsmodell gefunden haben. Nach aktuellen Angaben produziert Uber einen Verlust von rund 1 Milliarde Dollar pro Quartal, was sich auf 4 Milliarden Dollar pro Jahr summiert, und das irrationale Kapital, das zur Aufrechterhaltung des Betriebs benötigt wird, ist enorm. Daher wurde es letzten Endes notwendig, die öffentlichen Märkte anzuzapfen.
Ausgehend vom «Gartner Hype Cycle» als Barometer für alle disruptiven Anlagethemen bin ich davon überzeugt, dass sich die extrem hohen Erwartungen zum Thema «Ridesharing» bereits auf der Talfahrt befinden. Das Geschäftsmodell weist vermutlich einen Haken auf, da irrationales Kapital in erheblicher Menge nötig ist, um den Ausbau des Netzwerks zu finanzieren.
«Da wir alle nur Menschen sind, lassen wir uns leicht von einem Hype mitreissen»
Dieses Kapital muss dazu verwendet werden, den Fahrern und Fahrgästen gleichermassen Anreize zu bieten, die Plattform zu nutzen. Ein Szenario deutet darauf hin, dass die Quadratur des Kreises bei diesem Modell nur dann gelingt, wenn die Fahrerkosten – allenfalls durch den Einsatz von Fahrzeugen, die sich für autonomes Fahren eignen – gesenkt werden. Falls dies zutrifft, muten die kurzfristigen Aussichten für «Ridesharing»-Anbieter jedoch düster an.
Dies hat allgemeine Folgewirkungen auf die Bewertungen. Daher ist es nicht überraschend, dass viele «Unicorns» nach dem Börsengang eine schwache Aktienkurs-Entwicklung verzeichnen. Ist beispielsweise Peloton, ein Anbieter von Fitnessgeräten und Club-Mitgliedschaften, tatsächlich 8 Milliarden Dollar wert? Auch Pinterest besitzt attraktives Potenzial als Anbieter in einem Nischengeschäft; doch ist dessen Bewertung mit 15 Milliarden Dollar angemessen?
«WeWork ist mit ziemlicher Sicherheit der Katalysator, der in diesem Teil des Marktes die Blase platzen lassen wird»
Unterm Strich lautet das Fazit: Sollte sich das weltweite Wirtschaftswachstum verlangsamen, könnte die Phase des billigen und irrational leicht verfügbaren Kapitals enden. Die Folgen könnten sich auf das gesamte System ausdehnen, beginnend mit dem, was die öffentlichen Märkte zu zahlen bereit sind. Dies könnte die Bewertungen drücken, die bei früheren Kapitalrunden an den Privatmärkten zugrunde gelegt wurden. Die Übertreibungen werden dann vermutlich verschwinden. Da wir alle nur Menschen sind, lassen wir uns leicht von einem Hype mitreissen – unabhängig davon, wie erfahren man auch sein mag.
Eine alte Börsenweisheit besagt, dass für einen Bären kein Preis zu niedrig und für einen Bullen kein Preis zu hoch ist – selbst die versiertesten Anleger verfallen gelegentlich diesem Schema. Wie Sir John Templeton einmal sagte, sind die gefährlichsten Wörter beim Anlegen: «Dieses Mal ist alles anders.»
«Diese Übertreibungen lassen sich in den Tech-Segmenten des Marktes häufig beobachten»
Es scheint, als habe die Psychologie sogar die fachkundigsten Anleger dazu gebracht, diese disruptiven Unternehmen zu unterstützen. Nach unserer Einschätzung ist das jedoch ein Irrsinn, der niemals gut endet. WeWork ist mit ziemlicher Sicherheit der Katalysator, der in diesem Teil des Marktes die Blase platzen lassen wird. Diese Formen der Übertreibung lassen sich in den technologieorientierten Segmenten des Marktes häufig beobachten.
Daher hilft die Fokussierung auf die fundamentale Unternehmensbewertung mittels Discounted-Cashflow-Modellen, nicht abzuheben und mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu bleiben. Es ermöglicht darüber hinaus, einen Rahmen zur Ermittlung der Gewinner und Verlierer im Technologiebereich festzulegen, die interessante Anlagemöglichkeiten für Long- und Short-Positionen bieten.
Angesichts der nun bereits zehnjährigen Hausse und des wegen der Irrationalität in bestimmten Teilen des Marktes bestehenden Risikos sind wir davon überzeugt, dass jenen Investoren, die die Polarisierung zwischen Rationalität und Irrationalität sowie zwischen den Gewinnern und Verlierern im Technologiebereich auszunutzen verstehen, attraktive Anlageerträge winken.
Mark Hawtin ist Investment Director für Technologieaktien beim Schweizer Vermögensverwalter GAM Investments.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Oliver Berger, Rolf Banz, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Thorsten Polleit, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Katharina Bart, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Ralph Ebert, Marionna Wegenstein, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Michael Bornhäusser, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Claude Baumann, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Peter Hody, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Zsolt Kohalmi, Karin M. Klossek, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Lamara von Albertini, Andreas Britt, Gilles Prince, Fabrizio Pagani, Darren Williams, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Stéphane Monier, Peter van der Welle, Swetha Ramachandran, Beat Wittmann, Ken Orchard, Michael Welti, Christian Gast, Didier Saint-Georges, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Gérard Piasko, Fiona Frick, Jean Keller, Teodoro Cocca, Stefan Schneider, Lars Jaeger, Matthias Hunn, Andreas Vetsch und Teodoro Cocca.