Tom King, Bürochef von finews.asia, erinnert sich an seine Begegnungen mit dem verstorbenen Hongkonger Geschäftsmann Sir David Tang, der vor 25 Jahren kubanische Zigarren nach Asien einführen wollte.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.
Ich hörte ihn schon bevor ich ihm zum ersten Mal begegnet war: Ein Schwall von Fluchwörtern ergoss sich durch die weitläufige Lobby des damaligen Connaught Centre, dem heutigen Jardine House, in Hongkong. Ich hoffte, diese Verwünschungen galten nicht mir, und dass sie auch kein Vorgeschmack darauf waren, was mich erwarten sollte. Tatsächlich eilte diesem Mann ein zwiespältiger Ruf voraus. So traf ich David Tang – den meisten Leuten natürlich noch besser bekannt als Sir David Tang.
Der Hongkonger Geschäftsmann, der 1998 sein Modeimperium Shanghai Tang dem Schweizer Luxusgüter-Konzern Richemont verkaufte, wollte Anfang der 1990er-Jahre eine trendige Möbelmarke für die wachsende Mittelschicht in China lancieren, Retro-Clubs mit China-Ambiente eröffnen und vor allem kubanische Zigarren nach Asien importieren. Später verfasste er seine wöchentliche Ratgeber-Kolumne in der britischen Zeitung «Financial Times», publizierte ein Buch über gute Manieren und freundete sich nebenbei mit der ganzen Welt an – von Kate Moss bis zu Queen Elizabeth.
«Wir kamen aus purer Notwendigkeit zusammen: David Tang brauchte Hilfe»
Sein kürzlicher Tod kam auch für mich gänzlich unerwartet. Besonders, weil David Tang jemand war, der sozusagen unverwundbar schien. Umso schwerer fällt es nun zu begreifen, dass dieser so beeindruckende Mensch nicht mehr unter uns weilt. Jetzt kommt mir pausenlos jene Zeit in den Sinn, als sich unsere Wege kreuzten.
In meiner Erinnerung ist es 1991. Die Visitenkarten von damals waren noch ohne Email- und Web-Adresse, Mobiltelefone gab es zwar schon, aber sie war noch nicht so weit verbreitet wie heute. Ich arbeitete für die First Pacific Group in Hongkong, die auf den Handel und das Leasing von Industrieimmobilien und Lagerhäusern spezialisiert war. Das war natürlich nicht so glamourös wie wenn ich mit den imposanten Geschäftsgebäuden zu tun gehabt hätte, die den Hafen säumten. Doch in «meiner» Abteilung machte man das grosse Geld.
Wir kamen aus purer Notwendigkeit zusammen: Tang brauchte Hilfe, um eine Lagerhalle zu finden, und ich wollte mir eine Kommission verdienen. Im Vorfeld hatte es mich mehrere Wochen gekostet, um Termine zu finden, an denen wir Liegenschaften besichtigen sollten, die für sein Vorhaben geeignet waren.
«Die kommunistischen ‹Brüder› im Norden hatten logischerweise nichts dagegen einzuwenden»
Ich wusste von seiner Launenhaftigkeit und war deswegen auch ein wenig eingeschüchtert. Zunächst liess er mich auch spüren, für wie wichtig er sich hielt. Ich hätte es mir denken können, zumal alle meine chinesischen Arbeitskollegen mir freiwillig diesen Job überlassen hatten; weil die Person als «ho ma faan» galt, was auf Kantonesisch – zu viel Schwierigkeiten – bedeutet. Mir blieb keine andere Wahl, als mich in diese Sache zu schicken.
Tang war zu jener Zeit bereits ein sehr bedeutender Unternehmer, der in allen wichtigen Gesellschaftsmagazinen regelmässig erschien. Sein Vorhaben damals war, kubanische Zigarren zu importieren. Hongkong, sozusagen das Laissez-faire-Zentrum des Handels in Asien, bekundete kein Problem mit der Einfuhr kubanischer Produkte, und die kommunistischen «Brüder» im Norden hatten logischerweise auch nichts dagegen einzuwenden.
Während ich ihn also durch die Industriezonen von Kwai Chung, Tsuen Wan und Cheung Sha Wan chauffierte, erklärte er mir in seinem noblen Englisch, dass er ein kleines Lagerhaus suchte, das entfeuchtet werden müsste. Er nannte mir sein Budget und sagte weiter, dass er das Objekt möglichst umgehend haben wolle. Meine Finger am Steuerrad wurden bald klamm – im Wissen, dass sich keiner seiner Wünsche auf die Schnelle erfüllen würde, und in der Annahme, dass er sein Budget wohl mit einem kubanischen Währungsrechner erstellt haben musste. Wir waren in Kowloon, wo selbst ein schäbiger Lagerraum ein Vermögen kostet.
«Wir beide gaben vermutlich ein kurioses Paar ab»
Tang brachte mich mit der Zeit auch immer wieder zum Lachen mit seinen ironischen Beobachtungen und mit seiner unverblümten Sprache, während wir uns zunehmend vom Hongkonger Geschäftsviertel entfernten und in diese rauhen, stark verschmutzten und toxischen Industriegegenden eindrangen. In gewisser Weise schien er sich zu entspannen, zugänglicher zu werden und die Zeit mit mir, einem hart arbeitenden Schotten in Hongkong, zu geniessen.
Seine überschwängliche, kontaktfreudige und äusserst zuversichtliche Sicht der Dinge veränderte sich allerdings dramatisch, als wir die verschiedenen Lagerhallen besichtigten und Tang zusehends realisierte, dass er seine Vorstellungen revidieren musste. Für die Arbeiter, die uns begleiteten, gaben wir beide vermutlich ein kurioses Paar ab.
Tang war sehr gross, elegant und mimte so etwas wie einen aristokratischen Chinesen, der in einem massgeschneiderten Nadelstreifenanzug durch die Gegend stolzierte. Ich dagegen war der schweissgebadete, nervöse Westeuropäer, der einen billigen, ausgebeulten Hongkong-Anzug trug. Ich sprach besser Kantonesisch als er, doch sein gehobenes Englisch übertraf meine Kenntnisse bei weitem.
«Unsere Odyssee änderte nichts an der Tatsache, dass er ein herausragender Geschäftsmann war»
Nach jedem Gespräch mit einem Vermieter gesellten sich in meiner Vorstellung ein paar weitere Nullen hinter das Budget, das Tang anfangs genannt hatte. Und allmählich musste ich ihm weismachen, dass das, was er suchte, eine hochgesicherte, klimatisierte Lagerhalle mit Rund-um-die-Uhr-Überwachung war. Entsprechend würde er auch sein Budget verdoppeln, wenn nicht gar verdreifachen müssen. Ich konnte an seinen wachsenden Stirnrunzeln erkennen, dass sein geschäftliches Vorhaben eine weitaus grössere Herausforderung darstellte, als er sich das je gedacht hätte. Das erfreute ihn ganz und gar nicht, was er auch nicht verhehlte, wurde doch seine Stimme immer schriller, während die Luft in meinem Wagen immer dicker wurde, aber nicht vom Zigarrenrauch.
Unsere Odyssee hat letztlich nichts an der Tatsache geändert, dass er ein herausragender, entschlossener Geschäftsmann war, der zielstrebig die Probleme anging und am Ende (fast) jedesmal den besten Deal herausholte. Wir unternahmen noch einige weitere Besichtigungen, die für mich immer sehr lehrreich und auch vergnüglich waren – für ihn wohl weniger, vermute ich mal.
Das letzte Mal begegnete ich Tang auf einer Strassenüberführung an der hektischen Connaught Road. Das war kurz bevor er seinen ersten Cohiba Cigar Divan Shop im Mandarin Oriental Hotel eröffnen wollte – er hatte gerade seine eigene Pacific Cigar Company gegründet. Ich gratulierte ihm.
Tom King ist Managing Director und Bürochef von finews.asia in Singapur. Der Schotte, gebürtig aus Edinburgh, lebt seit mehr als dreissig Jahren in Asien. Er wanderte mit der Absicht aus, in Australien als Fussballtrainer zu arbeiten, wurde dann aber Immobilienmakler und Headhunter in Hongkong und Tokio. Nach einem kurzen Abstecher nach London liess er sich vor gut zwölf Jahren in Singapur nieder, wo er publizistisch tätig wurde. Er ist seit der Gründung von finews.asia vor zwei Jahren für das Unternehmen tätig.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Peter Hody, Mirjam Staub-Bisang, Nicolas Roth, Thorsten Polleit, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Peter Kurer, Kinan Khadam-Al-Jame, Werner E. Rutsch, Robert Hemmi, Claude Baumann, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Frédéric Papp, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Didier Saint-Georges, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Katharina Bart, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Beat Wittmann und Thomas Sutter.