Da das Bankwesen von Natur aus wenig innovativ ist, wird die Modernisierung zunehmend an Fintechs delegiert, die letztlich die Bankdienstleistungen für neue Bereiche entwickeln. Doch das genügt nicht, schreibt Mihkel Vitsur in seinem Beitrag für finews.first.
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen
Banken sind strukturiert, reguliert und haben ein festes Fundament, das sich über Hunderte von Jahren herausgebildet hat. Innovation hingegen ruft Gefühle der Störung, des Risikos und der Instabilität hervor. Je weiter sich die Innovation vom Etablierten entfernt, desto ungemütlicher wird es. Banken können jedoch nicht «ungemütlich» sein, da dies unnötige Risiken mit sich bringt.
Auf der anderen Seite macht es der Mangel an Innovation schwierig, mit den Bedürfnissen des Marktes Schritt zu halten. Technologie und Unternehmen entwickeln sich weiter. Mit der rasanten Entwicklung digitaler Finanzdienstleistungen, sei es die Kryptowelt oder P2P-Zahlungen, muss indessen der traditionelle Bankensektor Schritt halten.
«Wie sollen Banken in der Innovationslandschaft navigieren?»
Auch die geschäftlichen Anforderungen ändern sich. Neuartige Geschäftsmodelle wie Influencer, E-Commerce, Cryptocurrency oder Affiliate-Vermarkter werden im globalen Handel immer dominanter. Traditionelle Banken finden es entsprechend schwierig, solche Unternehmen zu verstehen, zumal sie auch nicht die Angebote haben, die diese Firmen benötigen.
Da das Bankwesen selbst von Natur aus nicht innovativ ist, wird die Modernisierung an kleinere (Fintech-)Unternehmen delegiert, die letztlich die Bankdienstleistungen für diese neuen Bereiche entwickeln. Doch das genügt nicht. Wollen die Banken relevant bleiben, müssen sie sich reformieren. Das ist einfach gesagt, doch wie sollen Banken in der Innovationslandschaft navigieren?
«Bitcoin und Blockchain sind Beispiele für radikale Innovation»
Die grösste Hürde liegt im Begriff der Innovation selbst. Wenn man an Innovation denkt, kommt einem automatisch der Gedanke an riskante Unterfangen, wie disruptive oder noch gefährlicher, radikale Innovationen.
Disruptive Innovation beinhaltet die Anwendung der neuesten Technologien und Prozesse innerhalb eines bestehenden Unternehmens. Disruptoren nehmen ein unterversorgtes Segment des Kundenpools und bedienen es durch den Einsatz neuer Technologien effizienter. Robo-Advisory ist ein gutes Beispiel dafür.
Radikale Innovationen (der riskanteste Typ) bringen die Möglichkeit immenser Veränderungen und eine hohe Wahrscheinlichkeit des Scheiterns mit sich. Eine enorme Aufgabe, die im Kern eine Kultur benötigt, die nicht zu dem gehört, wofür Banken traditionell stehen. Bitcoin und Blockchain sind Beispiele für radikale Innovation.
«Innovation muss nicht immer radikal oder disruptiv sein»
Aber Innovation muss nicht immer radikal oder disruptiv sein. Eine Veränderung oder Verbesserung kann auch durch einen durchdachten, schrittweisen Ansatz erfolgen, der weniger riskant ist.
Gestaffelte Innovation verbessert einen bestehenden Markt mit neuer und getesteter Technologie. Risiken lassen sich effizient «managen», während gleichzeitig die negativen Assoziationen, die Innovation hervorruft, beseitigt werden. Auf diese Weise kann ein allmählicher, aber stetiger Übergang zu modernem Banking erfolgen, während die Interessengruppen und die Konsumenten zufrieden sind.
Ein einfaches, sehr einflussreiches Beispiel für schrittweise Innovation ist die Initiative der Credit Suisse (CS) zum Kunden-Onboarding. Im Jahr 2017 bot die Bank ihren Kunden die Möglichkeit, eine Beziehung mit der Bank durch einen vollständig digitalen Onboarding-Prozess, wodurch die Notwendigkeit entfiel, die Bank zu besuchen, um ein Konto physisch zu eröffnen.
«Wie sollten Banken disruptive oder radikale Innovationen überhaupt angehen?»
Obwohl diese Technologie nicht neu ist und im gesamten Finanzsektor weit verbreitet ist, zeigt der Schritt einer grösseren Bank, dass es möglich ist, schrittweise Innovationen zu entwickeln. Doch wie sollten Banken disruptive oder radikale Innovationen überhaupt angehen?
In seinem Artikel «Banken und Innovation – ein grosses Missverständnis» schlägt finews.ch-Chefredaktor Peter Hody vor, dass ein differenziertes Risikomanagement innerhalb einer Bank unerlässlich ist. «Ohne Risikonahme findet sich nicht das Personal für Innovationen, und ohne Risikotoleranz können Ideen auch nicht auf die Probe gestellt werden», schreibt er.
Doch was nützt es, ein differenziertes Risikomanagement einzurichten, wenn man die Big-Techs (Googles, Facebooks) und ähnliche Firmen nicht ausstechen kann?
«Misserfolge werden als notwendige Risiken auf dem Weg zum Ziel des Fortschritts gesehen»
Tech-Unternehmen werden dafür gefeiert, Risiken einzugehen und schnell zu scheitern. Misserfolge werden als notwendige Risiken auf dem Weg zum Ziel des Fortschritts gesehen. Die CS kann es sich nicht leisten, auf dieselbe Weise zu scheitern wie beispielsweise Revolut – vor ihren externen und internen Stakeholdern. Eine etablierte Bank und ein Fintech werden mit unterschiedlichen Massstäben beurteilt.
Tech-Firmen sehen in der Regel ein einzelnes Problem und beginnen, es von Grund auf zu lösen, in vielen Fällen ohne ihr bestehendes Geschäft zu gefährden. Banken innovieren in vielen Fällen wegen der Regulierungsbehörde oder um eine externe Bedrohung aufzuholen. Doch scheitert die Innovation einer Bank, bedeutet dies einen unzufriedenen Regulator und ebensolche Investoren.
«Dieser Prozess ist nicht förderlich für den Fortschritt»
Tech-Firmen zahlen gute Gehälter, und als «Upside» bieten sie Anteile an der Firma, deren Wert exponentiell wachsen kann. Banker sind anders motiviert. Sie bekommen jährliche Boni, die auf der Profitabilität ihrer individuellen Ziele basieren. Hier ist das Problem: Eine Tech-Firma propagiert die Idee, dass es uns allen gut geht, wenn wir alle gemeinsam an einer Vision arbeiten und das Unternehmen erfolgreich ist.
Währenddessen verlangt eine Bank die Zustimmung von zwanzig verschiedenen Abteilungsleitern zu einem Projekt. Dieser Prozess ist nicht förderlich für den Fortschritt, vor allem, wenn beispielsweise jemand aus dem Genfer Büro konservativer ist und ein Projekt killt, weil er Angst hat, dass es sich auf seinen Bonus auswirken könnte.
Zugegeben, einigen Banken wird es gelingen, grosse Sprünge zu machen, aber die meisten sollten sich mit Innovatoren verbünden und nicht versuchen, radikale Banken zu werden. Banken, die innovativen Unternehmen einen kontrollierten Zugang zu ihrer Finanzinfrastruktur gewähren, können Fintechs dabei helfen, ihre «Use Cases» zu entwickeln und schnell erfolgreich zu sein oder zu scheitern.
«Relevant zu sein, reduziert auch die Angst der Banken vor Innovatoren»
Im schlimmsten Fall gewinnen Banken neue zahlende Kunden, im besten Fall sogar einen neuen Geschäftszweig. Darum sollten Banken die Kosten, die mit der Unterstützung dieser Innovatoren verbunden sind, als Investition sehen, um in der gesamten Wertschöpfungskette relevant zu bleiben.
Relevant zu sein, reduziert auch die Angst der Banken vor Innovatoren, da sie durch den Innovationsprozess inhärent miteinander verbunden sind. Der eine betritt Neuland, der andere verdient, übernimmt oder erwirbt später die Innovationen, die in einigen Fällen vom Markt und den Konsumenten anerkannt wurden.
«Was Fintechs und Banken wissen, ist, dass sie schneller und mutiger vorgehen müssen»
Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) Innovationen fördert und sich auch bewusst ist, dass Banken, insbesondere die systemrelevanten, Risiken minimieren müssen. Mit der Unterstützung der Finma und der Sicherheit für innovative Unternehmen kann die Branche den Bankensektor dahin bringen, wo er dem modernen Publikum gerecht wird.
Die strategischen Ziele der Finma für die Jahre 2021 bis 2024 sehen unter anderem vor, dass Innovation ein Kernelement für die Behörde bleibt, um mit einem pragmatischen und zukunftsorientierten Ansatz bestehende Regeln auf innovative Geschäftsmodelle und Produkte anzuwenden.
Mit der wichtigen Unterstützung und Transparenz der Regulierungsbehörde dürfen Innovatoren neue Wege gehen. Was Fintechs und Banken wissen, ist, dass sie schneller und mutiger vorgehen müssen, wenn sie neue Märkte angreifen wollen. Manchmal sehen neue Märkte zu klein aus oder scheinen nicht kritisch zu sein – bis sie es sind. Banken müssen einfach ein bisschen aggressiver sein.
Mihkel Vitsur hat seit 2005 Erfahrung im Aufbau von Internet-Unternehmen. Als Gründer und Chairman von BDSwiss – einem Retail-Brokerage – betreute er weltweit 1,6 Millionen Trader mit einem täglichen Transaktionsvolumen von mehr als einer Milliarde Franken. Im Jahr 2019 verliess er das Unternehmen. Sein neuestes Projekt ist Klarpay, das erste Finma-lizenzierte Fintech, das Zahlungen für innovative Unternehmen kundenfreundlicher gestaltet.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Rolf Banz, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Marionna Wegenstein, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Lamara von Albertini, Andreas Britt, Gilles Prince, Darren Williams, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Stéphane Monier, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Marionna Wegenstein, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Brigitte Kaps, Thomas Stucki, Neil Shearing, Claude Baumann, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Fabrizio Pagani, Niels Lan Doky, Karin M. Klossek, Ralph Ebert, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Bernardo Brunschwiler, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Gérard Piasko, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Andrew Isbester, Florin Baeriswyl, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler, Hui Zhang, Michael Bornhäusser, Reto Jauch, Angela Agostini, Guy de Blonay, Lars Jaeger, Tatjana Greil Castro, Jean-Baptiste Berthon, Dietrich Grönemeyer, Mobeen Tahir, Didier Saint-Georges, Serge Tabachnik, Rolando Grandi, Vega Ibanez, Beat Wittmann, Carina Schaurte, David Folkerts-Landau, Andreas Ita, Teodoro Cocca und Michael Welti.