Wäre es eine Überraschung wenn Italien, das seit dem Zweiten Weltkriegs 62 Regierungen erlebte, für eine Weile nicht regiert würde, fragt Fabrizio Quirighetti auf finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Am 4. März 2018 finden die italienischen Parlamentswahlen statt. Dabei werden die Mitglieder des Senats (315) und der Abgeordnetenkammer (620) gewählt. Während die wirtschaftlichen Perspektiven des Landes vergleichsweise gut aussehen, bleibt der Ausgang dieser Wahl schwer vorauszusehen.

Ein Sieg von Luigi di Maio, dem Kandidaten der 5-Sterne-Partei (M5S), der für die Aktienmärkte, die italienischen Anleihen und den Euro eindeutig das schlimmste Szenario wäre (angesichts seiner zweideutigen Haltung gegenüber der EU), scheint mehr als unwahrscheinlich. Denn weder seine Partei noch die anderen Parteien wollen ein Bündnis bilden.

«Man kann die Hypothese einer Anti-Establishment-Regierung ausschliessen»

Nicht nur würden di Maio sieben bis zehn Prozent der nationalen Stimmen fehlen, die rechte Mitte müsste auch die Hälfte der Wahlbezirke einheimsen. In diesem Fall, und selbst mit einem Sieg der Partei M5S, hat eine von ihr geführte Minderheitsregierung sehr wenig Chancen, da das aktuelle Wahlsystem Koalitionen bevorzugt, was dazu führen würde, dass der Präsident der Republik eher einem Vertreter der ersten Koalition (Mitte-rechts) als der ersten Partei das Mandat erteilen würde.

Daher kann man auch die Hypothese einer Anti-Establishment-Regierung (M5S, FIT und LN) ausschliessen: Das ist zwar angesichts der für jede dieser Parteien erwarteten Stimmanteile theoretisch möglich, doch in der Praxis sind die Unstimmigkeiten erheblich und eine Annäherung würde zu einem Verlust der Unterstützung des Volkes führen, da sie den Prinzipien und dem Erfolg der M5S widersprechen würde, die sich als weder rechts noch links definiert.

Gemäss letzten Umfragen ist gerade diese Koalition nicht weit davon entfernt, eine Mehrheit zu erhalten (ihr würden zwischen 20 und 50 Sitze fehlen). Wenn dieser Abstand auf weniger als 20 Sitze schmelzen würde, könnten sich einige Parlamentarier der Mitte des linken Flügels oder Deserteure anderer Minderheitsparteien ihr anschliessen.

«In seiner Partei hält Silvio Berlusconi immer noch die Zügel in der Hand»

Diese kleine Mehrheit würde sicherlich mit einem Anstieg der italienischen Aktien positiv begrüsst, oder zumindest mit einer Outperformance gegenüber anderen europäischen Märkten, einer Verringerung des Spreads zwischen den italienischen und den deutschen Anleihen und einer leichten kurzfristigen Aufwertung des Euro, da mit solch einer knappen Mehrheit Instabilität herrschen würde.

Sie müsste daher die Unsicherheit im Zusammenhang mit Neuwahlen in sechs bis zwölf Monaten ausräumen. Dennoch dürfte es neben der kurzfristigen positiven Auswirkung der Neuigkeit keine sehr bedeutenden und dauerhaften Folgen geben, das sehr bald eine neue Unsicherheit auftreten würde: die Ernennung des Premierministers innerhalb dieser Koalition der rechten Mitte!

Silvio Berlusconi kann diese Verantwortung aufgrund seiner Unwählbarkeit infolge seiner Vorstrafen nicht übernehmen. Doch in seiner Partei hält immer noch er die Zügel, während Matteo Salvini und die Lega Nord Bestrebungen haben, diesen Posten zu übernehmen.

«Eine knappe Niederlage würde am beschriebenen Szenario nicht viel ändern»

Anzumerken ist, dass es zwar sicherlich die erste positive Reaktion der Märkte aufheben würde, wenn Salvini an der Spitze der Regierung stünde. Doch auch eine Ernennung innerhalb der Partei Forza Italia würde keine begeisterte Reaktion der Anleger garantieren. Zumal der aktuelle Premierminister, nämlich Paolo Gentiloni, der während dieser Verhandlungen weiterhin das Übergangsamt inne hätte, bei den Anlegern sehr beliebt ist.

Eine knappe Niederlage würde am beschriebenen Szenario nicht viel ändern, mit folgendem Unterschied: Eine weniger starke kurzfristige und mittelfristig weniger volatile Reaktion des Marktes aufgrund der Fortsetzung des Mandats des aktuellen Premierministers und weniger zerstörerische Kampf- und Allianzspiele innerhalb der Koalition der rechten Mitte.

Das ist eine Eventualität, falls keine der Parteien oder Koalitionen einen klaren Vorsprung hat. Man dürfte zunächst eine leicht negative Reaktion zur Markteröffnung beobachten, jedoch keine Panik, da einerseits Gentiloni weiterhin die Aufgabe des Premierministers erfüllen würde, und es schliesslich, wenn die Parteien der rechten und der linken Mitte ihre Kräfte vereinen würden, sicherlich das bestmögliche Szenario wäre.

«Aktuell scheint die Koalition der rechten Mitte wahrscheinlicher»

Eine Aufgabe oder Abkehr von den Rechtsaussen-Parteien, oder Linksaussen-Parteien in kleineren Masse, neue Hoffnung angesichts des Siegs der Partei von Emmanuel Macron in Frankreich. Auch hier müsste man auf den Anschluss einiger Parlamentarier setzen, um die Mehrheit zu gewährleisten. Auch hier erscheint eine grosse Koalition nicht unbedingt stark und stabil...

Aktuell scheint die Koalition der rechten Mitte wahrscheinlicher. Doch die Möglichkeit dieser grossen Koalition der Mitte könnte schnell wieder auf den Tisch kommen, wenn die Stimmanteile der Rechtsaussen-Parteien geringer wären als erwartet.

Falls sich die Bildung einer Regierung in den darauffolgenden Monaten als unmöglich erweist, gibt es nach sechs bis zwölf Monaten Neuwahlen, wie 2015/16 in Spanien. Der Haushaltsentwurf wäre dabei betroffen. Doch wäre es wirklich eine grosse Überraschung zu erfahren, dass Italien, das seit dem Ende des zweiten Weltkriegs 62 verschiedene Regierungen gesehen hat, für ein paar Monate nicht wirklich regiert wird?

Ist es Belgien oder Spanien, die ähnliche Situationen erlebt haben, dadurch schlechter ergangen? Ist es nicht manchmal besser, nicht regiert zu werden als schlecht regiert zu werden? Sicherlich ist Italien nicht irgendeine Volkswirtschaft der Eurozone. Es braucht mehr als jedes andere grosse Land der Eurozone Strukturreformen, um zu versuchen, seinen gefährlichen Cocktail aus schwachem Wachstum und erstickender Staatsschuld so schnell wie möglich aufzulösen.

«Viel Gerede...»

Doch die Italiener sehen das grösstenteils klar. Denn das schlimmste Szenario, was eine Explosion der Defizite angeht, nämlich ein unilateraler Sieg der Lega Nord, von Liberi e Uguali oder der 5-Sterne-Bewegung, ist heute nicht denkbar.

Das Programm der Demokratischen Partei (PD) von Matteo Renzi, passt in den Status quo der Steuerpolitik, während die Auswirkung des Programms von Forza Italia schwer zu beurteilen ist (Versprechen bedeutender Steuersenkungen und der Erhöhung der Renten, aber Bereitschaft, oder besser gesagt Wunsch, den Primärüberschuss auf über 4 Prozent zu bringen, damit das Verhältnis der Staatsschuld in den nächsten fünf Jahren auf 110 Prozent sinkt). Viel Gerede...

Man kann immer träumen, doch die Italiener glauben sowieso nicht sehr an eine Implementierung solcher Massnahmen, sofern in der italienischen Politik nicht eines Tages ein neuer Wind weht – wie es in Frankreich geschehen ist.


Fabrizio Quirighetti ist Chief Investment Officer (CIO) und Co-Head von Multi-Asset von SYZ Asset Management.


Bisherige Texte von: Rudi BogniOliver BergerRolf BanzSamuel GerberWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan GerlachMarc Lussy, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Andreas BrittMartin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Thorsten PolleitKim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard GuerdatDidier Saint-GeorgesMario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech VizardAdriano B. LucatelliKatharina BartMaya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco MartinelliBeat WittmannThomas SutterTom KingWerner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Michel Longhini, Frédéric Papp, Claudia Kraaz, James Syme, Peter Hody, Claude Baumann, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Ralph Ebert und Marionna Wegenstein, Armin JansNicolas Roth, Hans Ulrich Jost und Patrick Hunger.