Die IT-Panne, die im vergangenen Juli den ganzen Planeten lahmlegte, ist eine schmerzhafte Erinnerung daran, dass Technologie nicht zu 100 Prozent zuverlässig ist. Ebenso schützen Finanzstandards nicht vor allen Risiken, schreibt Philip Adler in seinem Beitrag auf finews.first.
Die Saison der Halbjahres-Ergebnisse der Banken ist derzeit in vollem Gange. Die entsprechenden Verlautbarungen weisen manchmal eine Fülle von Abkürzungen wie CET1, LCR oder NSFR auf, allesamt Finanzkennzahlen, mit denen die Zahlungsfähigkeit einer Bank berechnet werden kann.
Sich in diesem Abkürzungsdschungel zurechtzufinden, ist nicht immer einfach. Damit Sie den Durchblick behalten, erklären wir Ihnen alles, was Sie schon immer über diese Messzahlen wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten.
Es ist Aufgabe der Regulierungsbehörden, aber auch von Finanzanalysten, die Zahlungsfähigkeit von Banken zu bewerten. Sie können sich dabei auf eine ganze Reihe von Kennzahlen abstützen. Die bekannteste ist wohl die Eigenmittelquote: Sie misst das Verhältnis zwischen den verfügbaren Eigenmitteln einer Bank – hauptsächlich bestehend aus dem Stammkapital und den Gewinnrücklagen, abzüglich allfälliger Goodwills – und den gesamten risikogewichteten Aktiva.
«Die Eigenmittel sind dazu da, mögliche finanzielle Verluste abzufedern»
Diese Quote muss für kleinere, regionale Banken mindestens 10,5 Prozent für systemrelevanten Banken 12,8 Prozent betragen. Zudem kann die Finma je nach Finanzinstitut zusätzliche Anforderungen aufstellen. Die Eigenmittel sind dazu da, mögliche finanzielle Verluste abzufedern und in Krisenzeiten die Stabilität der Bank aufrechtzuerhalten.
Mit der Liquiditätsdeckungsquote (Liquidity Coverage Ratio, LCR) soll sichergestellt werden, dass eine Bank über einen ausreichenden Liquiditätspuffer verfügt, um grosse Mittelabflüsse innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen zu bewältigen. Die LCR misst also die Fähigkeit eines Finanzinstituts, einen Bank-Run zu überstehen, und muss über 100 Prozent liegen.
Die langfristige Finanzierungsquote (Net Stable Funding Ratio oder NSFR) bewertet die strukturelle Widerstandsfähigkeit einer Bank und zeigt, ob sie über ausreichend stabile Mittel verfügt, um ihren Bedarf über einen Zeitraum von einem Jahr zu decken. Die NSFR muss ebenfalls über 100% liegen.
Die Verschuldungsquote (Leverage Ratio) schliesslich misst die Zahlungsfähigkeit einer Bank, indem sie deren Kernkapital mit ihren nicht risikogewichteten Aktiva beziehungsweise ihrem Gesamtengagement vergleicht. Sie muss im Allgemeinen über 3 Prozent liegen, um sicherzustellen, dass die Bank nicht zu grosse Risiken eingeht.
«Ein weiteres Beispiel wird wahrscheinlich bald die Neubewertung des Liquiditätsrisikos liefern»
Bei den Vermögensverwaltungsbanken liegen diese Kennziffern aufgrund ihrer Geschäftsmodelle und ihrer Geschäftsführung in der Regel weit über den vorgeschriebenen Mindestwerten.
Den Aufsichtsbehörden steht also eine ganzes Instrumentarium zur Verfügung. Allerdings sind regionale Unterschiede zu beobachten. Während Europa – einschliesslich des Vereinigten Königreichs und der Schweiz – einheitliche Vorschriften erlassen hat, ist dies in den USA nicht der Fall. Europäische Banken müssen die im Basel-III-Regelwerk festgelegten höheren Quotenanforderungen erfüllen, während für kleinere US-Banken lediglich die Anforderungen von Basel I gelten. Wären alle Banken den gleichen Vorschriften unterstellt, wäre der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank wahrscheinlich verhindert worden: Ihre LCR war hoch genug, aber nicht ihre NSFR, was ein Warnsignal hätte sein müssen.
Wie die Verabschiedung von Basel III als Reaktion auf die Finanzkrise von 2008 gezeigt hat, nehmen die Aufsichtsbehörden fortlaufende Anpassungen vor. Ihre Anforderungen entwickeln sich im Gleichschritt mit Ereignissen und technologischen Neuerungen weiter. So wurden beispielsweise die Schweizer Vorschriften für die Vergabe von Hypotheken nach der Immobilienkrise der 1990er-Jahre verschärft.
Obwohl diese Vorschriften von den Befürwortern von privatem Wohneigentum oft kritisiert werden, haben sie sehr wahrscheinlich dazu beigetragen, eine Überhitzung des Marktes und eine Welle von Zahlungsausfällen – und damit von Privatkonkursen – zu verhindern, als die Zinssätze Ende 2021 stiegen.
Angesichts des Ausmasses der wirtschaftlichen und geopolitischen Schwierigkeiten der vergangenen Jahre kann man sagen, dass die Bankenaufsichtsbehörden ihre Aufgabe erfüllt haben. Dank der verschiedenen Finanzkennzahlen und der Stresstests, die von den Zentralbanken und Aufsichtsbehörden eingeführt wurden, um die Fähigkeit der Banken zu simulieren, extremen wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen standzuhalten, werden die Risiken in Bezug auf die Eigenmittel der Banken und ihre Fähigkeit, Verluste aufzufangen, angemessen bewertet.
Ein weiteres Beispiel wird wahrscheinlich bald die Neubewertung des Liquiditätsrisikos liefern, da derzeit geprüft wird, was bei der Berechnung der LCR als hochwertige liquide Aktiva (HQLA) gilt.
«Viele Fallstricke lassen sich durch eine gute Portion gesunden Menschenverstands vermeiden»
Obwohl die neuen Technologien von einigen gefürchtet werden, sollten sie es den Banken erleichtern, sich in Echtzeit einen umfassenden Überblick über ihre Bilanz zu verschaffen. Sie sollten auch die Regulierungsbehörden und Zentralbanken dabei unterstützen, ihre Aufsichtsfunktion noch präziser und schneller zu erfüllen. Innovationen sind nicht per se ein Risiko: Es kommt darauf an, wie sie eingesetzt werden.
Natürlich ist die IT-Panne, die im vergangenen Juli den ganzen Planeten lahmlegte, eine schmerzhafte Erinnerung daran, dass Technologie nicht zu 100 Prozent zuverlässig ist. Ebenso schützen Finanzstandards nicht vor allen Risiken. Reaktionsfähige Institutionen, Zentralbanken, Regulierungsbehörden und Politiker sind zweifellos die beste Lösung, mit bisher unbekannten Gefahren umzugehen.
Viele Fallstricke lassen sich durch eine gute Portion gesunden Menschenverstands und eine konservative Einstellung vermeiden. Schliesslich kann man, wie das Sprichwort besagt, nie vorsichtig genug sein.
Philip Adler ist Global Head of Treasury & Trading bei der in Genf ansässigen Union Bancaire Privée.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Rolf Banz, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Gilles Prince, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Thomas Stucki, Neil Shearing, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Niels Lan Doky, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler, Hui Zhang, Angela Agostini, Guy de Blonay, Tatjana Greil Castro, Jean-Baptiste Berthon, Dietrich Grönemeyer, Mobeen Tahir, Didier Saint-Georges, Serge Tabachnik, Vega Ibanez, David Folkerts-Landau, Andreas Ita, Michael Welti, Mihkel Vitsur, Roman Balzan, Todd Saligman, Stuart Dunbar, Carina Schaurte, Birte Orth-Freese, Gun Woo, Lamara von Albertini, Ramon Vogt, Andrea Hoffmann, Niccolò Garzelli, Darren Williams, Benjamin Böhner, Mike Judith, Jared Cook, Henk Grootveld, Roman Gaus, Nicolas Faller, Anna Stünzi, Thomas Höhne-Sparborth, Fabrizio Pagani, Guy de Blonay, Jan Boudewijns, Sean Hagerty, Alina Donets, Sébastien Galy, Roman von Ah, Fernando Fernández, Georg von Wyss, Stefan Bannwart, Andreas Britt, Frédéric Leroux, Nick Platjouw, Rolando Grandi, Philipp Kaupke, Gérard Piasko, Brad Slingerlend, Dieter Wermuth, Grégoire Bordier, Thomas Signer, Gianluca Gerosa, Michael Bornhäusser, Christine Houston, Manuel Romera Robles, Fabian Käslin, Claudia Kraaz, Marco Huwiler, Lukas Zihlmann, Sherif Mamdouh, Harald Preissler, Taimur Hyat, Philipp Cottier, Andreas Herrmann, Camille Vial, Marcus Hüttinger, Serge Beck, Alannah Beer, Stéphane Monier, Ashley Semmens, Lars Jaeger, Shanna Strauss-Frank, Bertrand Binggeli, Marionna Wegenstein, George Muzinich, Jian Shi Cortesi, Razan Nasser, Nicolas Forest, Jörg Rütschi, Reto Jauch, Bernardo Brunschwiler, Charles-Henry Monchau, Nicolas Ramelet, Philip Adler, Ha Duong, Teodoro Cocca, Jan Brzezek, Nicolas Mousset, Beat Weiss, Pascal Mischler, Andrew Isbester, Konrad Hummler, Jan Beckers, Martin Velten, Katharine Neiss, Claude Baumann, Daniel Roarty, Kubilaqy Yalcin, Robert Almeida, Karin M. Klossek, Marc Taverner, Charlie T. Munger, Daniel Kobler, Patrick Stauber, Colin Vidal, Anna Rosenberg, Judith Wallenstein, Adriano Lucatelli, Daniel Goleman, Val Olson, Brice Prunas, Frances Weir, Luis Maldonado, Francesco Magistra, Nadège Lesueur-Pène, Massimo Pedrazzini, Eric Sarasin, Dina Ting, Christopher Gannatti, Shaniel Ramjee, Mihkel Vitsur, Nannette Hechler-Fayd'herbe, Ralph Ebert, Mark Denham, Francesco Mandalà, Mariolina Esposito, Maryann Umoren Selfe, Dominique Gerster, Christian Kälin, Nadège Dufossé, Benjamin Melman, Brigitte Kaps, Florin Baeriswyl, Marc Reinhardt, Thomas Holderegger, Beat Wittmann, Bruno Cavalier, Gary Burnison, Louise Curran und Adrian Cox.