Die Kräfte, die das Bargeld abschaffen wollen, nutzen ungeniert die Gelegenheit, die ihnen die Coronakrise bietet, schreibt Thorsten Polleit in seinem Essay exklusiv für finews.first.
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Jetzt, da viele Menschen verunsichert und verängstigt sind, sich in einer Art kollektiven Hysterie befinden, fragen sie: Wenn Münzen und Scheine tagtäglich von Hand zu Hand gereicht werden, befördert das nicht die Virusausbreitung? Wäre es nicht sinnvoll, das Bargeld aus dem Verkehr zu ziehen, oder besser noch, ganz abzuschaffen?
Doch leider: Die Infektologen spielen nicht mit. Sie geben vielmehr Entwarnung. Krankheitserreger wie das Coronavirus werden über winzige Tröpfchen verbreitet, die durch Husten oder Niesen entstehen. Vom Verwenden von Münzen und Scheinen beim Bezahlvorgang geht dabei kein besonderes Ansteckungsrisiko aus. Gewissheit gibt es hier natürlich zwar nicht. Aber die Praxis zeigt unmissverständlich: Bargeld überträgt das Coronavirus ganz offensichtlich nicht, sonst wären die Fallzahlen viel höher.
«Es gibt Pläne der Kommission der Europäischen Union, die 1- und 2-Eurocent-Münzen abzuschaffen»
Das aber entmutigt die Bargeldfeinde nicht. Schliesslich setzen auf die Strategie der vielen kleinen Nadelstiche, mit denen den Menschen das Bargeld madig gemacht werden soll. Sie behaupten zum Beispiel, mit Bargeld werden Drogengeschäfte und Terrorismus bezahlt. Oder sie stigmatisieren grosse Banknoten – so geschehen Euroraum: Hier hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Entscheidung getroffen, den 500-Euroschein aus dem Verkehr zu ziehen. Seit Ende 2018 wird er nicht mehr in Umlauf gebracht, und kehrt er im regulären Zahlungsverkehr zur EZB zurück, wird er nicht wieder herausgegeben.
Es gibt zudem Pläne der Kommission der Europäischen Union (EU), die 1- und 2-Eurocent-Münzen abzuschaffen. In Brüssel sagt man, diese Münzen seien verzichtbar, und die Abschaffung der Euro-Kleinmünzen würde Einzelhändlern und Konsumenten unnötige Kosten ersparen. Doch halt: Nach der Logik, die der Abschaffung des Euro-Kleingeldes zugrunde liegt, müssten nach und nach auch alle anderen Euro-Münzen abgeschafft werden – denn die EZB sorgt schliesslich für Preisinflation, und dadurch wird alles teurer, und die Verwendung von Euro-Münzen wird natürlich «aufwändiger».
«Die Volksweisheit ‹Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert› wird mit den Füssen getreten»
Das ist noch nicht alles: Fallen die kleinen Münzeinheiten weg, wird auch im Bewusstsein der Menschen die „Historie der Kaufkraft des Geldes“ ausgelöscht. Die chronische Inflation der Güterpreise, für die die EZB mit ihrer Geldpolitik sorgt, machen zusehends höhere Nominalwerte bei Münzen und Noten erforderlich. Mit dem Verschwinden der kleinen Münzeinheiten verwischt sich daher auch die inflationäre Spur der inflationären Geldpolitik, und die Kritikmöglichkeit an der fortgesetzten Inflationspolitik wird geschwächt.
Zu bedenken ist auch: Die Volksweisheit «Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert» wird mit den Füssen getreten. Kleine Münzen stehen symbolische für die Wertschätzung kleiner Tätigkeiten und Geschäfte, und sie ermuntern jeden Menschen, verantwortungsvoll und gewissenhaft mit dem Geld umzugehen und auf diese Weise zum finanziellen Erfolg zu gelangen. Kleingeld hat so gesehen etwas mit aufgeklärter und ausgereifter Geldkultur zu tun.
«Es gibt zwei zentrale Gründe, warum das Bargeld abgeschafft werden soll»
Natürlich haben Banken, Kreditkartenfirmen und Anbieter von elektronischen Zahlungsdienstleistungen ein vitales Interesse daran, dass weniger mit Bargeld gezahlt wird. Sie wirken entsprechend auf Politiker durch gezielte Lobbyarbeit ein. Aber sie sind nicht der entscheidend, warum man von Regierungsseite dem Bargeld zu Leibe rücken will. Es gibt vielmehr zwei zentrale Gründe, warum das Bargeld abgeschafft werden soll.
Der erste Grund ist die aus dem Ruder laufende weltweite Überschuldung. Um die Verbindlichkeiten von Staaten und Banken zu verringern, sollen die Zentralbanken eine dauerhafte negative Zinslandschaft erzeugen. Staaten können sich dann durch Aufnahme von Krediten mit Minuszinsen entschulden, Banken ihre Verbindlichkeiten gegenüber Kunden abbauen. Doch solange es das Bargeld gibt, sind der Negativzinspolitik Grenzen gezogen: Die Kunden entziehen sich dem Minuszins, indem sie sich ihre Einlagen in bar auszahlen lassen. Deshalb soll das Bargeld verschwinden.
«Ist das Bargeld fort, braucht der Staat keinerlei Zurückhaltung mehr zu üben»
Der zweite Grund ist, dass Bargeld dem Weg in den Überwachungsstaat entgegensteht; und der Staat (wie wir ihn heute kennen) will alles wissen und steuern und wird nicht eher ruhen, bis er sein Ziel erreicht hat. Und wenn erst einmal das Bargeld abgeschafft ist, dann sind die Menschen vollends gläsern, ist auch die finanzielle Privatsphäre der Menschen perdü. Dann gibt es keine Möglichkeit mehr, der Zudringlichkeit des Staates zu entkommen. Ist das Bargeld fort, braucht der Staat keinerlei Zurückhaltung mehr zu üben gegenüber seinen Untertanen, er wird allmächtig.
Die Übelstände, die man mit einer Bargeldabschaffung aus der Welt zu vertreiben vorgibt, werden absehbar andere, noch viel grössere Übelstände heraufbeschwören. Der Versuch, im Windschatten der aktuellen Coronavirus-Pandemie den Kampf gegen das Bargeld weiterzutreiben, zeigt, wie ernst es den Bargeldfeinden ist – und wie entschieden der Widerstand derjenigen ausfallen muss, die das, was von der Freiheit der Bürger und Unternehmer noch übrig ist, bewahren beziehungsweise wiedergewinnen wollen: Das Bargeld muss verteidigt werden und erhalten bleiben.
Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt beim Goldhändler Degussa und Investment Advisor. Zudem ist er Autor zahlreicher Wirtschaftsbücher. Als Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre lehrt er an der Universität Bayreuth. Darüber hinaus präsidiert er das Ludwig von Mises Institut in Deutschland.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Rolf Banz, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Thorsten Polleit, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Marionna Wegenstein, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Michael Bornhäusser, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Peter Hody, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Zsolt Kohalmi, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Lamara von Albertini, Andreas Britt, Gilles Prince, Darren Williams, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Stéphane Monier, Peter van der Welle, Beat Wittmann, Ken Orchard, Christian Gast, Didier Saint-Georges, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Gérard Piasko, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Teodoro Cocca, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Marionna Wegenstein, Kim Fournais, Carole Millet, Lars Jaeger, Swetha Ramachandran, Brigitte Kaps, Thomas Stucki, Teodoro Cocca, Neil Shearing, Claude Baumann, Guy de Blonay, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Santosh Brivio, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Fabrizio Pagani, Niels Lan Doky, Michael Welti, Karin M. Klossek, Ralph Ebert, Johnny El Hachem, Judith Basad und Katharina Bart.