Der Politik, der Automobilindustrie aber auch vielen öffentlichen Verkehrsunternehmen fehlt die «Lust an der Zukunft». Am liebsten würde man alles beim Alten belassen, findet Andreas Herrmann in seinem Beitrag für finews.first. Dabei ginge es darum, die Zukunftsthemen mit Mut und Kraft anzugehen.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Die Automobilindustrie steht vor der gravierendsten Transformation ihrer 130-jährigen Geschichte. Verbrennungsmotor und Getriebe werden durch den Elektro- oder Wasserstoffantrieb ersetzt. Das autonome Fahren erfordert Sensoren, Algorithmen, Software und das Internet. Alle Akteure zurück auf Los, der Wettbewerb startet ganz neu!

Die technologischen Barrieren fallen rasant, hunderte von Technologieunternehmen stürmen den Markt. Und dann auch noch China, wo man die Fertigung von autonomen Elektrofahrzeugen als Schlüsselkompetenz auf dem Weg zur führenden Industrienation ausgerufen hat.

«In Paris entsteht die 15-Minuten-Stadt»

Hinzu kommen viele Städte, in denen die Menschen eine andere Mobilität wollen: multimodal, umweltverträglich, effizient und nicht mehr auf Basis immer grösserer und schwererer Fahrzeuge. Der Kampf um den knappen Raum ist entbrannt. Die Mikromobilität fordert ihren Anteil.

Immobilienentwickler werden beispielweise in London dazu verpflichtet, gar keine Stellplätze für Fahrzeuge mehr vorzusehen. In Paris entsteht die 15-Minuten-Stadt, und Barcelona setzt auf Superblocks: Alles Massnahmen, um die Städte zukünftig um die Menschen und nicht mehr um die Autos zu bauen.

«Um all dies auf den Weg zu bringen, braucht es Private-Public Partnerships»

Sehr viele Themen auf einmal! Es braucht einen Masterplan, einen Kompass, um die Weichen jetzt richtig zu stellen. Zu viel steht auf dem Spiel: Hochwertige Arbeitsplätze, beachtliche Einkommen - immerhin ist die Transportindustrie das Rückgrat der schweizerischen und deutschen Wirtschaft. Was könnten die Eckpunkte einer solchen Vision respektive eines Masterplans sein?

1. Die IT-Unternehmen bilden das neue Zentrum der Mobilitätsindustrie, und die traditionelle Fahrzeug- und Zugproduktion folgen ihr. Das Silicon Valley in den USA, das Mobility Valley in Israel und die neuen Zentren in China zum Beispiel in Hangzhou oder Shanghai sind Beispiele dafür.

Dort siedeln sich Unternehmen an, die sich mit Steuerungssystemen, Software und Algorithmen befassen, um so ein neues Mobilitätscluster zu bilden. Um all dies auf den Weg zu bringen, braucht es Private-Public Partnerships, die zügig die neu benötigten Fähigkeiten in Entwicklungszentren aufbauen.

2. Öffentliche und private Verkehrsträger müssen schrittweise miteinander verzahnt werden. Autonome Elektrofahrzeuge lassen sich in ein Verkehrskonzept bestehend aus regionalen und lokalen Zügen, U- und S-Bahnen sowie Bussen und anderen Fahrdiensten integrieren.

«Es braucht ein vollvernetztes Miteinander aller Verkehrsteilnehmer und schnelle Datennetze »

Hinzu kommen hoffentlich bald intelligente Verkehrssysteme mit Kreuzungen ohne Ampeln und einer Auflösung starrer richtungsgebundener Fahrspuren. Hierfür braucht es ein vollvernetztes Miteinander aller Verkehrsteilnehmer und flächendeckende schnelle Datennetze. Würde man alle Parkplätze mit Sensoren ausstatten, die den Fahrzeugen signalisieren, ob sie besetzt oder frei sind, könnte man den innerstädtischen Verkehr um bis zu 30 Prozent reduzieren.

Vieles könnte man einfach und schnell umsetzen, man müsste es nur tun! Statt diese Themen zu entwickeln, hat beispielsweise die SBB fast alle diese Zukunftsprojekte wieder eingestellt. Ebenso verfolgen viele Städte solche Projekte nur halbherzig: Man probiert etwas und stellt es wieder ein.

3. Es sind zügig Testfelder zu definieren, auf denen die Autohersteller, ihre Zulieferer und die Technologieunternehmen ihre autonomen Elektrofahrzeuge überprüfen können. China, Südkorea und Singapur sind exzellente Beispiele dafür, dass die Bereitstellung von solchen Arealen ein wichtiger Schritt ist, damit Know-how entwickelt und Arbeitsplätze im eigenen Land aufgebaut werden können.

«Am liebsten würde man alles beim Alten belassen»

Der Wandel vom Verbrenner zum Elektromotor soll allein in Deutschland mehr als 100‘000 Arbeitsplätze kosten. Die Batterien werden in Asien gefertigt und die Daten- und Informationstechnologie kommt aus den USA respektive China.

Was bleibt uns zu tun? Der Politik, der Automobilindustrie aber auch vielen öffentlichen Verkehrsunternehmen fehlt die «Lust an der Zukunft». Am liebsten würde man alles beim Alten belassen.

Die Selbstgefälligkeit und der Hochmut aufgrund der Erfolge in den vergangenen Jahren haben das Handeln bestimmt. Jetzt gilt es, die Zukunftsthemen mit Mut und Kraft anzugehen.


Andreas Herrmann ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und führt mit Torsten Tomczak und Wolfgang Jenewein das Institut für Mobilität an der Universität St. Gallen (IMO-HSG). Zudem ist er Visiting Professor an der London School of Economics (LSE Cities) und der Stockholm School of Economics. Darüber hinaus verantwortet er das Executive Education Programm zu Smart Mobility Management und ist akademischer Direktor der HSG Summer School für empirische Forschungsmethoden. Er veröffentlichte 15 Bücher unter anderem zum autonomen Fahren und mehr als 250 wissenschaftliche Aufsätze in führenden Zeitschriften. Er leitet Kooperationsprojekte mit Unternehmen wie Audi, Porsche, Roche oder Sonova. Er promovierte an der Otto Beisheim School of Management (WHU) und habilitierte sich an der Universität Mannheim.


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