Einem Burnout gehen meist drei Phasen voraus. Umso wichtiger ist es, dass Führungskräfte die Anzeichen von chronischem Stress oder Vor-Burnout frühzeitig erkennen, schreibt die Ex-Bankerin Claudia Kraaz in ihrem Essay für finews.first.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.
Ein Burnout ist eine tragische Sache für jeden Einzelnen, aber auch eine kostspielige Angelegenheit für ein Unternehmen. Ein Mitarbeiter fällt meistens für einige Monate aus und muss ersetzt werden. Oder andere Teammitglieder müssen seine Aufgaben übernehmen und werden dadurch selber stark belastet. Diese Tatsache ist heute grundsätzlich anerkannt. Aber vielen Unternehmen ist noch zu wenig bewusst, dass sie die Zeit vor einem Zusammenbruch eines Angestellten ebenfalls sehr teuer zu stehen kommt.
Der entsprechende Mitarbeiter bringt nicht mehr die gleiche Leistung – qualitativ und quantitativ, was Auswirkungen hat auf die Stimmung im Team, die Kundenzufriedenheit und damit auch auf den finanziellen Erfolg. Deshalb ist es sehr wichtig, rechtzeitig die Symptome von chronischem Stress resp. Vor-Burnout zu erkennen.
«Der effektive Zusammenbruch ist das Ende eines meistens sehr lange dauernden Prozesses»
Was ist denn nun genau ein Burnout? Eine offizielle medizinische Diagnose gibt es dafür nicht. Burnout ist in der International Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD), dem international anerkannten und von der Weltgesundheitsorganisation WHO herausgegebenen Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen, nicht enthalten. Burnout ist deshalb für Ärzte nur als Zusatzdiagnose zu einer anderweitigen Krankheit verwendbar.
Ganz pragmatisch würde ich sagen: Burnout ist ein Resultat von starkem und lange anhaltendem Stress, kombiniert mit ungenügenden Bewältigungsstrategien und einem Mangel an Regeneration. Wichtig zu wissen, ist, dass der effektive Zusammenbruch das Ende eines meistens sehr lange dauernden Prozesses ist und dass – gemäss meiner Erfahrung – häufig ein auslösender Anlass (geschäftlich oder auch privat) das vorher schon stark schwankende Kartenhaus zum Einstürzen bringt.
«Der Mitarbeiter wird zunehmend misstrauisch gegenüber Anderen, intolerant und reizbar»
Entscheidend ist zu wissen, dass es drei teilweise sehr unterschiedliche Phasen vor dem Zusammenbruch gibt. Die Phase 1 würde ich zusammenfassen unter dem Begriff «Aktivität und Aggression». Der Betroffene arbeitet unermüdlich und zeigt ein extremes Streben, um den hohen Erwartungen, die aber häufig «nur» seine eigenen übersteigerten Erwartungen sind, gerecht zu werden. Er hat das Gefühl, unentbehrlich zu sein und nicht mehr delegieren zu können.
Das führt dazu, dass soziale Kontakte reduziert und eigene Bedürfnisse vernachlässigt werden. Der Mitarbeiter wird zunehmend misstrauisch gegenüber Anderen, intolerant und reizbar – ein klares Warnsignal, dass er eigentlich überfordert ist.
Der Betroffene rennt unermüdlich weiter, obwohl er eigentlich schon erschöpft ist. An den Abenden, an Wochenenden und in den Ferien kann er sich kaum erholen und kommt innerlich nicht mehr zur Ruhe. Kein Wunder, dass bei vorher sehr zuverlässigen Angestellten plötzlich vermehrt Fehler auftreten.
«Der Kampf hat sich in mechanistisches Funktionieren verwandelt»
Diese Phase kann sehr lange dauern – im extremen Fall bis zu mehreren Jahren. Typisch für diese erste Phase ist, dass das Umfeld die Veränderungen früher wahrnimmt als der Betroffene selbst und er – wenn man das Gespräch mit ihm sucht – sehr oft den Verdacht einer Erschöpfung von sich weist.
Die zweite Phase ist ganz anders als die erste. Ich nenne sie «Flucht und Rückzug». Der Betroffene scheint Ruhe auszustrahlen, aber eigentlich geht er einfach auf Distanz zu anderen und auch zu sich selbst. Der Kampf hat sich in mechanistisches Funktionieren verwandelt. Alle Kontakte werden nochmals deutlich reduziert, neu nicht nur mit Arbeitskollegen und Freunden, sondern auch mit Kunden.
Der Mitarbeiter arbeitet nur noch das Minimum, macht also Dienst nach Vorschrift – eine klare Verhaltensänderung im Vergleich zur ersten Phase. Innerlich nehmen Abstumpfung und Bitterkeit zu, und häufig treten Angstzustände auf. Einher geht dies mit starken körperlichen Reaktionen, zum Beispiel Herzrasen, Schlafproblemen, starkem Schwitzen und vielem mehr. Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, dass die Leistungsfähigkeit – qualitativ und quantitativ – weiter abnimmt.
«Im schlimmsten Fall besteht Suizidgefahr»
Die Phase 3 «Isolation und Rückzug» ist eine Fortführung der Phase 2, einfach noch extremer. Phase 3 geht fast immer einher mit einer Depression, die sich in Symptomen wie absoluter Gleichgültigkeit, Hoffnungslosigkeit, starker Erschöpfung und Perspektivenlosigkeit zeigt. Der Betroffene ist wie gelähmt.
In dieser Phase wird oft versucht, die innere Leere mit Suchtmitteln zu kompensieren. Der Kick muss dabei immer stärker werden, um überhaupt noch irgendetwas empfinden zu können. Dann besteht die akute Gefahr eines mentalen und physischen Zusammenbruchs. Im schlimmsten Fall besteht Suizidgefahr.
«In dieser Zeit sind die Chancen für eine Umkehr des Prozesses am grössten»
Oft erkennen Betroffene erst in dieser Phase, dass sie Hilfe brauchen. Aber wenn sie diese erst dann in Anspruch nehmen, braucht es meistens eine mehrmonatige Behandlung. Ausserdem werden nur etwa 50 Prozent der Personen, die einen Zusammenbruch erlitten hatten, überhaupt wieder voll arbeitsfähig. Und falls dies der zweite Burnout sein sollte, sinkt dieser Prozentsatz nochmals sehr stark.
Für Führungskräfte ist es deshalb sehr wichtig, dass sie ihre Mitarbeitenden, die Symptome der Phase 1 zeigen, schon dann ansprechen – auch wenn ein solches Gespräch sicher nicht einfach ist. Aber in dieser Zeit sind die Chancen für eine Umkehr des Prozesses am grössten – zum Vorteil für beide Seiten.
Mit ihrem Unternehmen «Stress and Balance» ist Claudia Kraaz seit gut drei Jahren selbständig. Sie ist als Führungs- und Stress-Coach tätig und gibt Vorträge und Workshops zu den Themen Resilienz, Stress und Burnout. Zuvor war sie während 13 Jahren in leitenden Funktionen in der Unternehmenskommunikation tätig, unter anderem bei der Zurich Insurance Group, der Swica Gesundheitsorganisation sowie bei der Zürcher Privatbank Vontobel. Als stellvertretende Kommunikationschefin der Credit Suisse und weltweite Medienchefin war sie mehrere Jahre für die Beratung des damaligen Konzernchefs Oswald Grübel und anderer Spitzenleute verantwortlich und hat selber 50 Mitarbeitende geführt.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Peter Hody, Mirjam Staub-Bisang, Nicolas Roth, Thorsten Polleit, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Werner E. Rutsch, Robert Hemmi, Claude Baumann, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Didier Saint-Georges, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Katharina Bart, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Beat Wittmann, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Michel Longhini und Frédéric Papp.