Ältere Bankkunden in der digitalen Welt abzuholen, ist von den hiesigen Banken noch kaum als Chance erkannt worden. Zu Unrecht, wie Agnieszka Walorska in ihrem Essay für finews.first feststellt.
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Ob Fintech oder klassische Bank: Neue Vertriebskanäle werden zügig ausgebaut, während vielerorts der Rotstift beim Filialnetz angesetzt wird. Die Produktoffensive zielt dabei vor allem auf die jüngere Zielgruppen ab.
Im Gegensatz dazu dürften Retailkunden im Seniorenalter die aktuellen Entwicklungen entsprechend mit grossem Argwohn beobachten. Mehr noch: Diese besonders loyale Kundengruppe der Generation über 65 droht, durch die aufkommenden Entwicklungen abgehängt zu werden. Zu stark sind die Vorbehalte und Ängste – aber auch über Jahre gelernte Verhaltensweisen.
«Dieser Trend, auch als AgeTech bekannt, ist von Europas Banken bislang kaum als Chance erkannt worden»
Für Finanzinstitute lautet daher das Gebot der Stunde, «analoge» Zielgruppen abzuholen und sie dauerhaft vom digitalen Banking zu überzeugen. Die Aufgabe ist komplex, denn die Diskrepanz zwischen «Digital Natives» und jenen, für die das Internet tatsächlich Neuland bedeutet, ist enorm. Dieser Trend, auch als AgeTech bekannt, ist von Europas Banken bislang kaum als Chance erkannt worden.
Dabei wären Banken gut beraten, die stiefmütterliche Behandlung dessen zu überdenken. So ist die ältere Zielgruppe nicht nur weitaus loyaler als nachfolgende Generationen, sondern oft auch deutlich finanzstärker.
Die zumindest subjektiv so empfundene hohe Komplexität der Nutzung von Online-Banking-Dienstleistungen steht einem erfolgreichen Einstieg in die digitale Bankenwelt aktuell häufig im Weg. Banken müssen daher proaktiv die Vorbehalte bekämpfen, um ihre angepassten Services und Produkte anbieten zu können. Trotz aller Skepsis lässt sich konstatieren: Auch ältere Menschen haben Bedürfnisse, die sich häufig digital erfüllen lassen.
«Kinder und Enkelkinder sind für die ältere Generation die ersten Ansprechpartner in Sachen Digitalisierung»
Ausschlaggebend für den Erfolg digitaler Angebote für ältere Nutzer sind vielfältige Variablen. Elementar dabei ist zunächst die Kreation einer inklusiven Bildwelt sowie die Verwendung einer klaren und verständlichen Sprache. Die digitale Präsentation neuer Angebote, Lösungen und Produkte ist voll von Fachbegriffen und Anglizismen. Doch um auch ältere Anwender überzeugen zu können, braucht es eine klare verständliche Sprache, die den Mehrwert aber auch die Handlungsanweisungen für die Anwendungen im Detail erläutert.
Für Banken ist es wichtig, auch Angehörige bei digitalen Angeboten einzubeziehen. So sind Kinder und Enkelkinder für die ältere Generation häufig die ersten Ansprechpartner in Sachen Digitalisierung. Von ihnen bekommen Senioren Unterstützung bei Fragen rund um PC und Smartphone.
Daher adressieren Anbieter von Produkten und Dienstleistungen für Ältere häufig auch die unmittelbaren Angehörigen. Dies beschränkt sich beim digitalen Banking aber keineswegs auf die Kundenakquisition. Möglichkeiten des gemeinsamen Zugriffs auf ein Konto, zum Beispiel über Co-Browsing, können den Kunden die Angst nehmen, etwas falsch zu machen. Mit der Unterstützung vertrauter Ansprechpartner lassen sich neue Anwendungen gemeinsam erkunden, die Scheu sinkt schneller.
«Für Banken empfiehlt es sich, hier speziell geschulte Mitarbeiter einzusetzen»
Darüber hinaus sind Banken selber angehalten, Hilfestellungen zu leisten. Dies kann etwa über einen Remote-Zugriff oder spezialisierte Berater geschehen, die sich über das Telefon zuschalten. Für Banken empfiehlt es sich, hier speziell geschulte Mitarbeiter einzusetzen, die ein tieferes Verständnis für die Herausforderungen und Ängste dieser Zielgruppe mitbringen.
Nicht zuletzt gilt es für Geldhäuser auch, die Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit der Angebote zu betonen. Etablierte Institute haben den Vorteil, seit Jahrzehnten am Markt bekannt und geschätzt zu sein. Die Themen «Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit» sollten daher nicht nur proaktiv angesprochen, sondern auch gelebt werden.
Helfen können zum Beispiel unverbindliche Online-Demonstrationen, die zunächst keine Eingabe der persönlichen Daten erfordern. Auch verständliche Erklärungen (etwa als Video), warum persönliche Daten erfasst werden, und wie die Sicherheit von Zahlungen gewährleistet wird, können Hemmschwellen senken. Banken sollten ausserdem bestimmte Präferenzen nicht vernachlässigen. Anders als etwa bei Millennials spielt zum Beispiel die Ablage in Papierform eine wichtige Rolle.
«Die Chancen einer AgeTech-Offensive werden derzeit noch stark unterschätzt, dabei steht so viel auf dem Spiel»
Seniorenfreundliche Anwendungen müssen nicht ausschliesslich für diese Zielgruppe entwickelt werden. Auch bestehende Angebote, die ein breites Spektrum an Kunden adressieren, sind für die ältere Generation interessant. Eine einfache und intuitive Nutzererfahrung erfreut schliesslich alt und jung.
Darüber hinaus gilt natürlich, dass die ältere Kundengruppe keinen monolithischen Block darstellt. Das Alter ist auch nicht das einzige Differenzierungsmerkmal. Die Lebenswelten der älteren Generation sind vielfältig, und der Grad der digitalen Teilhabe reicht von Tech-Experten bis zu entschiedenen Online-Verweigerern. Fernab dessen müssen Banken im Zuge der digitalen Transformation darauf achten, sämtliche Zielgruppen zu adressieren.
Die Chancen einer AgeTech-Offensive werden derzeit noch stark unterschätzt, dabei steht so viel auf dem Spiel.
Agnieszka Walorska ist eine Digitalisierungsexpertin und Executive Director bei Capco. Ihre Expertise in Methoden wie Design Thinking, Lean Startup, User Centered Design und Agile verknüpft sie mit der Begeisterung für Technologie-Trends und deren Auswirkungen auf Produkte und Geschäftsmodelle. Sie leitete mehrere Transformations- und Innovationsprojekte für Banken, Versicherungen, Pharma- und Automobilunternehmen. Die von ihr gegründete Digitalstrategie-Beratung Creative Construction wurde 2020 von Capco übernommen.
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