Russland hat mit tiefster Verachtung für Menschenleben und wider jede ökonomische Vernunft die Ukraine angegriffen. Das schafft grosse Unsicherheit und damit auch Kaufchancen, schreibt Georg von Wyss in seinem Essay auf finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen


Russland hat die Ukraine angegriffen. Es sieht so aus, als wolle Wladimir Putin seinen Nachbarn in einen Vasallenstaat verwandeln, ähnlich wie Weissrussland. Wir hätten nicht gedacht, dass es so weit kommen würde. Dieser Krieg ist nicht nur eine menschliche Tragödie, sondern bringt auch in wirtschaftlicher Hinsicht nur Verlierer hervor, aber offenbar geht es Putin weniger darum als um die Ausweitung seiner politischen Macht.

Nachdem die Aktienmärkte in den vergangenen Wochen bereits gefallen waren, sind sie heute – am 24. Februar – massiv unter Druck, weil dieser Angriff für grosse Unsicherheit sorgt. Die Energie- und Getreidepreise sind sprunghaft gestiegen. Russland und die Ukraine sind wichtige Exporteure von beidem. Die höheren Preise tragen zur weltweiten Inflation bei. Ausserdem bezieht Europa etwa 40 Prozent seines Gases aus Russland.

«Wladimir Putins Plan wird sein, den Konflikt schnell zu Ende zu bringen»

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels fliesst jedoch weiterhin Gas durch die Ukraine. In gewisser Weise muss es das auch, denn Russland hat keinen anderen Kunden als Europa. Wenn es Geld will, kann es diese Lieferungen nicht unterbrechen. Zumindest hier verhält sich Russland also wirtschaftlich vernünftig. Aber es gibt keine Gewissheit, dass diese Situation von Dauer sein wird.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Dauer eines Konflikts. Bezeichnenderweise hat Putin die ukrainischen Soldaten aufgefordert, einfach nach Hause zu gehen, wie es die afghanischen Soldaten im vergangenen Jahr getan haben. Nach allem, was wir gelesen haben, ist die Moral in der Ukraine jedoch recht hoch, und die militärischen Fähigkeiten der ukrainischen Armee sind viel grösser als in der Vergangenheit. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Angreifer eine grosse zahlenmässige Überlegenheit brauchen, um Verteidiger zu überwinden.

Putins Plan wird sein, den Konflikt schnell zu Ende zu bringen. Aber wenn er sich als langwierig erweist, entweder in Form eines konventionellen oder eines Guerillakriegs, wirft das eine Reihe von Fragen auf. Wird die Ukraine zu einem Stellvertreter-Schlachtfeld in einem Konflikt zwischen Ost und West, wobei der Westen Unterstützung leistet? Greift der Krieg auf andere Gebiete über? Wird Putins Bereitschaft, die Wirtschaft hintenan zu stellen, dazu führen, dass er andere Länder angreift?

«Die Wirtschaft, insbesondere der Wunsch nach Konsum, könnte Wladimir Putin zu Fall bringen»

Gleichzeitig könnte die Stabilität Russlands selbst und seines Regimes zu einem Problem werden. Wird das russische Volk den Verlust von Menschenleben und Wohlstand in Kauf nehmen, nur um Putins – für viele – altmodischen und seltsamen Vorstellungen von geopolitischem Einfluss zu verwirklichen? In einem Zeitalter, in dem sich Informationen freier denn je verbreiten, wird der russische Staatschef nicht so tun können, als sei er nicht schuld an der Zerstörung der Hoffnungen der russischen Konsumenten auf ein normales, bürgerliches Leben und daran, dass die Eliten nicht mehr zu ihren Jachten in den wärmeren Meeren der Welt fliegen können. Die Wirtschaft, insbesondere der Wunsch nach Konsum, könnte ihn noch zu Fall bringen.

Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, dass weder Russland noch die Ukraine wichtige Märkte sind für die meisten börsennotierten Unternehmen. Der Krieg wird kaum direkte Auswirkungen auf ihre Geschäfte haben. Darüber hinaus werden sich die Energie- und Getreidemärkte anpassen, um die Auswirkungen eines möglicherweise reduzierten russischen Angebots abzufedern.

Kurzfristig gibt es natürlich einige wichtige indirekte Effekte. Schwache Finanzmärkte schmälern die Ertragskraft von Vermögensverwaltern. Wir wissen jedoch nicht, wie viel und ob Sanktionen diese Mittel aus den Banken drängen oder dort sperren könnten (in diesem Fall sind sie positiv).

«Die traurige Tatsache ist, dass Kriege in der Regel gut für die Anleger sind»

In jedem Fall liegt der Fokus unserer Analyse jedoch darauf, ob sich Unternehmen anpassen können – das heisst, ob der Krieg deren langfristige Ertragskraft beeinträchtigen wird. Dies ist bei den meisten westlichen Unternehmen nicht der Fall, und unsere Strategie besteht daher darin, die Marktstörung – das Klima der Angst – zu nutzen, um Aktien in besonders unterbewerteten Unternehmen zu kaufen. Wir empfehlen Ihnen, dasselbe zu tun.

Die traurige Tatsache ist, dass Kriege in der Regel gut für die Anleger sind – nicht, weil sie den Unternehmen Gewinnchancen eröffnen, sondern weil die Aktienkurse auf die Unsicherheiten, die neue Kriege schaffen, überreagieren.


Georg von Wyss gründete Ende 1997 mit Thomas Braun und Erich Müller (letztere beiden damals noch aktiv in der Firma) den unabhängigen Vermögensverwalter BWM. Das Unternehmen hat sich über die Jahre zu einer international führenden Adresse im Value-Investing entwickelt. Von Wyss ist seit 1993 Finanzanalyst sowie Kundenberater und war zuvor Finanzjournalist. Er hat einen MBA von der Amos Tuck School of Business Administration at Dartmouth College.


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