Das Tempo, mit dem Künstliche Intelligenz eingesetzt wird, und die Qualität der erzielten Ergebnisse stellen die Anwender vor grosse Herausforderungen, schreibt Brice Prunas in seinem Beitrag auf finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.



Am 13. Oktober 2023 konnte der US-Technologiekonzern Microsoft nach monatelangen Rechtsstreitigkeiten mit drei der mächtigsten Regulierungsbehörden der Welt (in den USA, Grossbritannien und Europa) die Übernahme des amerikanischen Spieleherstellers Activision endlich abschliessen.

Bereits zuvor hatte Microsoft sich in Open AI eingekauft und seine Investition kürzlich nochmal aufgestockt. Damit ist er zum Weltmarktführer und Pionier im Bereich der generativen KI, also künstliche Intelligenz, die Inhalte generiert, aufgestiegen.

Es ist kein Zufall, dass das Unternehmen nun auch den weltweit grössten Herausgeber von Videospielen übernimmt – ein willkommener Anlass, um folgendes Thema erneut aufzugreifen: die Herausforderungen von KI, insbesondere der generativen KI, für die Videospielbranche.

«Die generative KI dürfte erheblich zum Erfolg dieser Branche beitragen»

Der weltweite Markt für Videospiele ist gigantisch: Laut der Bank Morgan Stanley wird er in diesem Jahr 300 Milliarden Dollar betragen. Zum Vergleich: Der weltweite Musikmarkt (CDs, Downloads, Streaming) kam 2022 auf ein Volumen von nur 26 Milliarden Dollar, also zwölfmal weniger! Videospiele sind auch ein stetig wachsender Markt von 4 Prozent jährlich im Zeitraum von 2023 bis 2026.

Angesichts dieser Grössenordnung sind die bislang getätigten ebenfalls hohen Investitionen durchaus gerechtfertigt. Gemäss Schätzungen der US-Bank Morgan Stanley werden von 2023 bis 2026 insgesamt mehr als 100 Milliarden Dollar in die Entwicklung neuer Produkte fliessen. Die generative KI dürfte erheblich zum Erfolg dieser Branche beitragen, insbesondere durch die folgenden Vorteile:

  • Eine Senkung der Kosten und eine Vereinfachung der Entwicklungsprozesse für Videospiele. Insbesondere glauben wir, dass sich die Programmier- und Testphasen mit Hilfe von KI weitgehend automatisieren lassen.
  • Die Möglichkeit, individuellere und ausgefeiltere Spiele zu entwickeln. Ein qualitativ verbessertes Angebot kann die Spielerbindung stärken (das heisst, mehr Spieler spielen zusammen und sind bereit, mehr zu zahlen, längere Sessions zu spielen und über längere Zeiträume hinweg usw.). Infolgedessen ist eine bessere Monetarisierung der Spiele zu erwarten. Der Nutzen für die Publisher liegt folglich auf der Hand. Mit solchen Tools werden die AAA-Publisher (Take-Two, EA, Ubisoft und Activision Microsoft) ihre Vormachtstellung mit immer besseren Spielen und geistigem Eigentum ausbauen, was mit einer immer grösseren Kapitalintensität einhergehen wird.

«Könnte die generative KI den grossen Spieleverlagen ihre Vormachtstellung beim geistigen Eigentum kosten?»

Im Zusammenspiel dürften diese beiden Effekte laut Morgan Stanley die Kosten für die Entwicklung von Videospielen und den damit verbundenen operativen Aufwand (zum Beispiel im Betreiben von Spieleplattformen) um 15 Prozent senken.

Neben ihren Vorteilen hat die generative KI auch das Potenzial, die Videospiel-Industrie von Grund auf zu verändern. Denn mit der Leichtigkeit und dem Tempo, mit denen KI eingesetzt werden kann, und mit der Qualität der erzielten Ergebnisse wirft die generative KI eine Reihe von Fragen auf, welche die Akteure in diesem Sektor vor grosse Herausforderungen stellt:

  • Sinken damit die Eintrittsbarrieren für die Entwicklung neuer Spiele respektive wird es damit kleinen oder neuen Marktteilnehmern möglich, den grossen (sogenannten AAA-)Publishern ihre Vormachtstellung streitig zu machen?
  • Werden wir eine gewisse «Kommodifizierung» dieses Sektors beobachten respektive könnte die generative KI den grossen Spieleverlagen ihre Vormachtstellung beim geistigen Eigentum kosten?
  • Kommt es zu einer Verlagerung der Wertschöpfung in dieser Branche, zulasten der Video-Publisher (zum Beispiel EA, Take-Two) und zugunsten der Vertriebsunternehmen (wie Google, Apple, Epic)? Was hiesse dies für die Zukunft von IT-Tools wie den «Engines» (Entwicklungs-Umgebungen) für Videospiele (zum Beispiel Unity, der wichtigste börsenkotierte Akteur in diesem Bereich)?
  • Könnten im Zuge der Übernahme von Activision durch Microsoft auch andere Spiele-Publisher (zum Beispiel Take-Two oder EA) Begehrlichkeiten bei Tech- und Mediengiganten wecken? Zumindest beim französischen Publisher Ubisoft sieht es kurzfristig eher nicht danach aus. Hier dürfte nach dem kürzlichen Einstieg von Tencent diesbezüglich vorerst Ruhe einkehren.

Brice Prunas ist Portfoliomanager für globale Themenfonds bei ODDO BHF Asset Management.


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