Der Hype um den Bitcoin und andere Kryptowährungen sei einem alten menschlichen Verlangen geschuldet, schreibt der deutsche Wirtschaftsredakteur Bernd Kramer in seinem Essay für finews.first.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.
Der frühere US-Zentralbankchef Paul Volcker kam zu einem klaren Urteil. Die einzige Finanzinnovation, welche der Menschheit zuletzt genützt habe, sei der Geldautomat. Der Notenbanker, der erfolgreich die US-Inflation eingedämmt hatte, nahm damit neue Finanzinstrumente wie kompliziert gebündelte Immobilienkredite aufs Korn.
Diese waren an den Kapitalmärkten lange populär. Nach Meinung ihrer Befürworter halfen diese Papiere, Risiken wie den möglichen Ausfall eines Darlehens unter Kapitalgebern vernünftig zu streuen. Aus Sicht der Kritiker wie Volcker waren die Papiere aber das Teufelszeug, welches das Finanzsystem 2007/2008 an den Abgrund gebracht hatte.
«Solche Zuwächse elektrisieren die Öffentlichkeit»
Jetzt streiten Ökonomen wieder darüber, ob eine Neuentwicklung die Welt des Geldes revolutioniert oder das Finanzgefüge verletzlicher macht. Dabei geht es um die Kryptowährungen. Die populärste, der Bitcoin, hat eine Preisexplosion erfahren. Sein Wert ist 2017 von 1'000 Dollar auf fast 20'000 Dollar geklettert.
Solche Zuwächse elektrisieren die Öffentlichkeit. Bitcoins sind aber nur schwer zu verstehen. Vereinfacht gesagt handelt es sich bei ihnen um ein Zahlungsmittel, das in einem Rechner-Netzwerk geschaffen wird und wegen seiner Transparenz und ausgeklügelter Verschlüsselung sehr fälschungssicher ist. Zudem wird es nur eine bestimmte Menge Bitcoins geben.
«Das macht den Bitcoin für Menschen interessant, die von staatlicher Autorität nichts wissen wollen»
Die Kryptowährung kennt auch keine Grenze. Sie kann überall verwendet werden, vorausgesetzt der Bitcoin findet Akzeptanz. Ihren Wert gewinnt die Kryptowährung nämlich durch das Vertrauen jener, die sie kaufen. Wer über Bitcoins verfügt, glaubt daran, dass sie noch wertvoller werden und Währungen wie den Euro oder den Franken ersetzen. Hinter dem Bitcoin steht aber keine zentrale Autorität.
Wie bei Wikipedia ist eine Online-Gemeinschaft verantwortlich. Das macht den Bitcoin für Menschen interessant, die von staatlicher Autorität nichts wissen wollen. Auch jene finden Gefallen, die der Geldpolitik staatlicher Zentralbanken misstrauen und die Notenbanken wegen angeblich stets zu grosser Geldzufuhr für Wirtschaftskrisen verantwortlich machen.
Allerdings wird der Bitcoin bislang nur von wenigen als Zahlungsmittel geschätzt. Zwar akzeptiert mancher Trendladen die Kryptowährung, um eine Rechnung zu begleichen, doch von einer Massenbewegung kann keine Rede sein. Das kommt nicht von ungefähr: Zahlungen mit Bitcoin sind teuer. Es werden laut «Süddeutscher Zeitung» bis zu 20 Euro pro Vorgang an Gebühren gefällig, da die Überprüfung einer Zahlung viel Rechenkapazität verschlingt.
«Was Notenbank-Skeptiker freuen mag, beunruhigt den Ottonormalverbraucher»
Zudem kann der Wechselkurs des Bitcoin zu herkömmlichen Währungen stark schwanken. Das macht die Ausweisung von Preisen in Bitcoin schwierig. Und was Notenbank-Skeptiker freuen mag, beunruhigt den Ottonormalverbraucher. Hinter Staatswährungen stehen Staaten mit ihrer Durchsetzungskraft und ihren Volkswirtschaften. Das kann auch für Vertrauen sorgen.
So ist es unwahrscheinlich, dass der Bitcoin bald den Euro oder den Franken ersetzen wird. Andererseits ist es übertrieben, die Kryptowährungen zur Riesengefahr zu stilisieren. Sie werden bedrohlich, wenn ihr Kauf zuhauf über Schulden finanziert wird. Zu hohe Schulden lösten die Finanzkrise aus – nicht die neuen Finanzinstrumente. Kryptowährungen sollten aber wie andere Zahlungsmittel einer gesetzlichen Kontrolle unterliegen.
Der Hype um die Bitcoins ist einem alten menschlichen Verlangen geschuldet. Der US-Ökonom Charles Kindleberger sagte: «Es gibt nichts Verstörenderes für das eigene Wohlergehen und die eigene Urteilskraft, als wenn man zusehen muss, wie ein Freund reich wird.» Weil keiner den Zug zum schnellen Reichtum verpassen will, versuchen nun viele, Bitcoins zu erwerben. Ob das sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt.
Bernd Kramer ist Ökonom und langjähriger Wirtschaftsredakteur der «Badischen Zeitung» (BZ) in Freiburg im Breisgau. Er schrieb bereits in seiner Schulzeit die ersten Artikel für die Lokalredaktion der BZ. Nach einem Politik- und Volkswirtschaftsstudium in Heidelberg und Glasgow absolvierte er ein Volontariat bei der Zeitung. Nach drei Monaten als Sportredakteur bei «Der Sonntag in Freiburg» wechselte er 1999 in das Wirtschaftsressort der BZ.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Nicolas Roth, Thorsten Polleit, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Didier Saint-Georges, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Katharina Bart, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Beat Wittmann, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Michel Longhini, Frédéric Papp, Claudia Kraaz, James Syme, Peter Hody, Claude Baumann und Dennis Larsen.