Das Erfolgsmodell der Zentralbanken steht massiv unter Druck und muss sich gegen kurzfristige politische Interessen verteidigen, schreibt Andreas Vetsch in seinem exklusiven Beitrag für finews.first.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Historisch gesehen entstanden Zentralbanken aus Banken, die zur Staatsfinanzierung und im Speziellen zur Finanzierung von Kriegen gegründet wurden. Bereits im Mittelalter gab es Bankiers, wie die Familie Fugger in Augsburg, die notleidende Fürsten mit Krediten unterstützten.
Zum Ende des 17. Jahrhunderts beschlossen mehrere englische Bankiers die Gründung der Bank of England (BoE), die zur Finanzierung der englischen Krone diente. Die Verflechtung der Zentralbanken und der gewählten Regierungen war damals sehr hoch. Die Banken wurden als verlängerter Arm des Staates missbraucht, um kostspielige Kriege auszutragen oder wirtschaftliche Krisensituationen besser zu bewältigen.
«Ist die Geldpolitik in Händen der Regierung oder des Parlaments, führt dies oft zu hoher Inflation»
Die Unabhängigkeit der Zentralbanken in der heutigen Form tritt erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts in Kraft. In den USA wird diese im «Fed-Treasury-Accord» von 1951 verankert, das zur Trennung von Steuer- und Währungsbehörden führte. Die Deutsche Bundesbank gilt seit 1957 als unabhängig. Aufgrund der hohen Inflation der 1970er-Jahre und der Erkenntnis, dass unabhängige Zentralbanken ein wichtiges Instrument zur Kontrolle der Teuerung sind, verfolgten immer mehr Länder dieses Modell.
Ist die Geldpolitik in Händen der Regierung oder des Parlaments, führt dies oft zu hoher Inflation. Dieses inverse Verhältnis von Zentralbank-Unabhängigkeit und Teuerung wurde in zahlreichen empirischen Studien bestätigt.
Doch was bedeutet Unabhängigkeit für eine Zentralbank? Grundsätzlich wird eine Zentralbank als unabhängig bezeichnet, wenn sie ihre geldpolitischen Entscheidungen ohne Einfluss einer Regierung, eines Parlaments oder anderer Institutionen treffen kann. Die Unabhängigkeit wird in drei Ebenen gegliedert: politische Unabhängigkeit, finanzielle Unabhängigkeit und personelle Unabhängigkeit. Von politischer Unabhängigkeit wird gesprochen, wenn die Zentralbank das endgültige Ziel und die dazu benötigten Instrumente selbst festlegen kann.
«US-Präsident Donald Trump bezeichnete die US-Notenbanker um Jerome Powell als Dummköpfe»
Finanziell unabhängig ist sie, wenn sie weder direkt noch indirekt gezwungen wird, das Staatsdefizit zu finanzieren. Die personelle Unabhängigkeit betrifft die Prozeduren zur Ernennung oder Entlassung der Personen, welche die geldpolitischen Entscheidungen treffen sowie die Festlegung ihrer Amtszeiten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass insbesondere bei der Ernennung eine politische Einflussnahme möglich ist.
Diese Unabhängigkeit wird aber vermehrt in Frage gestellt. Kritische Kommentare und politische Einflussnahme nehmen zu und gehören schon fast zur Tagesordnung. So bezeichnete US-Präsident Donald Trump die US-Notenbanker um Jerome Powell als «Dummköpfe» und «naiv». Seit Monaten kritisiert er den Kurs der Fed und fordert tiefere Zinsen.
«Auch linke Populisten fordern eine engere Verflechtung von Regierung und Zentralbank»
Aus seiner Sicht verhindert die Notenbankpolitik zusätzliches Wachstum und würgt den Börsenboom ab. Und die Kritik kommt nicht nur aus dem rechten Lager. Auch linke Populisten, welche die Ideen der modernen Geldmarkttheorie (MMT) vertreten, fordern eine engere Verflechtung von Regierung und Zentralbank.
Die USA ist diesbezüglich bei weitem kein Einzelfall. In Japan stellte der Premierminister Shinzo Abe kurz nach Amtsantritt einen neuen Notenbankchef ein, der die Abenomics-Politik der Regierung seither unterstützt. In Indien trat der Zentralbankchef im Dezember 2018 zurück, nachdem er von der Regierung zusehends unter Druck gesetzt wurde, die Kreditvergaberegeln zu lockern. In der Türkei entliess Recep Tayyip Erdogan seinen Zentralbankgouverneur im Juli, weil dieser die Zinsen anhob, um die Inflation zu bekämpfen. Erdogan fordert hingegen Zinssenkungen.
«Dieses klare Mandat steht aber oft im Widerspruch zur Erwartungshaltung der Politik»
Diese Beispiele zeigen, dass Politiker immer wieder in Versuchung geraten, Inflation zuzulassen. Eine erhöhte Geldemission hilft nämlich Staatsausgaben zu finanzieren, sich zu entschulden oder einen temporären Wirtschaftsaufschwung herbeizuführen. Um zu verhindern, dass Zentralbanken zum Spielball politischer Interessen werden, ist es wichtig, die richtigen Rahmenbedingungen festzulegen.
Eine klare Zielausrichtung ist dabei von enormer Bedeutung, wobei ein breiteres Spektrum an Zielen nicht immer besser ist. Das Doppelmandat der US-Notenbank, die Wahrung von Preisstabilität und Vollbeschäftigung, führt nicht zwingend zu einer verbesserten Vertrauensbildung. Es kann vorteilhaft sein, wenn der Fokus auf der Erfüllung eines eindeutigen Ziels wie die Preisstabilität liegt.
Dieses klare Mandat steht aber oft im Widerspruch zur Erwartungshaltung der Politik und der breiten Öffentlichkeit. Sie verlangt, dass die Zentralbanken neben der Preisstabilität und Vollbeschäftigung auch für ein gutes Wirtschaftswachstum oder ein sicheres Finanzsystem sorgen. Eine so hohe Erwartungshaltung birgt aber enorme Risiken für die Reputation und die Legitimität einer unabhängigen Institution.
«Es ist schwierig, die Unabhängigkeit gegen übermässige Forderungen zu verteidigen»
In dieser Zeit scheint es also umso wichtiger, die rechtlichen Grundlagen einer unabhängigen Zentralbank zu wahren und die Erwartungshaltung anzupassen. Die Unabhängigkeit trug in den vergangenen Jahrzehnten zu einer hohen Geldwertstabilität bei und sollte politischen Angriffen auch in Zukunft standhalten. Ein eindeutiges Mandat ist dabei die Grundlage, auf der die Zentralbank eine Strategie verfolgen kann, welche Vertrauen bildet und Glaubwürdigkeit schafft.
Neben klaren rechtlichen Grundlagen ist die öffentliche Erwartungshaltung zentral. Es ist schwierig, die Unabhängigkeit und die Währungsstabilität gegen eine Gesellschaft mit übermässigen Forderungen zu verteidigen. Dabei ist wichtig, dass auch ein klares Mandat wie die Preisstabilität immer ein gewisses Mass an Flexibilität und menschlicher Intuition erfordert.
Andreas Vetsch ist bei der LGT Capital Partners als Hedgefonds-Analyst tätig. Sein Fachgebiet sind Trading-Strategien. Bevor er 2012 zur LGT stiess, studierte er an der Universität St. Gallen und erwarb einen Master in Banking & Finance mit Zusatzabschluss in Wirtschaftsjournalismus.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Oliver Berger, Rolf Banz, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Thorsten Polleit, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Katharina Bart, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Ralph Ebert, Marionna Wegenstein, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Michael Bornhäusser, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Claude Baumann, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Peter Hody, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Zsolt Kohalmi, Karin M. Klossek, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Lamara von Albertini, Andreas Britt, Gilles Prince, Fabrizio Pagani, Darren Williams, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Stéphane Monier, Peter van der Welle, Swetha Ramachandran, Beat Wittmann, Ken Orchard, Michael Welti, Christian Gast, Didier Saint-Georges, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Gérard Piasko, Fiona Frick, Jean Keller, Teodoro Cocca, Stefan Schneider, Lars Jaeger und Matthias Hunn.