Anhaltendes Portfolio-Greenwashing hat viele Anleger verprellt und bedroht unseren gemeinsamen Wunsch, in eine prosperierende Zukunft zu investieren, schreibt Roman Gaus in einem Essay für finews.first. Wie können wir es besser machen?


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen


Es ist klar, dass bewusstes Greenwashing durch zweifelhafte Akteure und unabsichtliches Greenwashing durch weniger kompetente und weniger rigide Marktteilnehmer den gesamten Nachhaltigkeitssektor ernsthaft gefährden können. Denn nachhaltiges Investieren ist nie vollständig definiert worden.

ESG- und nachhaltige Investmentansätze sowie nachhaltige Themen, kohlenstoffarme Anlagen oder Impact Investing unterscheiden sich in Qualität und Inhalt erheblich, was zur falschen Interpretation führt, dass sie gleichermassen nachhaltig sind. Nehmen wir zum Beispiel die Klimafrage: Kürzlich hat eine EDHEC-Studie ergeben, dass sich beim Vergleich eines als «grün» bezeichneten Fonds mit einem konventionellen Investmentfonds die Aktiengewichtung nur um 12 Prozent unterscheidet – also die restlichen 88 Prozent identisch sind.

«Wir müssen mit dem Begriff ‹nachhaltiges Investieren› verantwortungsvoller umgehen»

Banken und Vermögensverwalter folgen schamlos dem Nachhaltigkeitstrend und bezeichnen ihre Produkte als ESG, was impliziert, dass Nachhaltigkeit geliefert wird. Damit sind sie bislang sehr gut gefahren – der Markt für ESG und nachhaltige Anlagen hat sich in den vergangenen zehn Jahren vervielfacht.

Die Schweizerische Bankiervereinigung stimmt dem zu: «Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis dafür, was nachhaltige Aktivitäten sind,» erklärte sie als Replik auf Tariq Fancys Angriff bezüglich Greenwashing. «Dazu gehört eine einheitliche Berichterstattung darüber, wie Unternehmen ihren Status quo messen», folgerte der Dachverband der Schweizer Banken. Wenn das nur so einfach wäre.

Grundsätzlich müssen wir mit dem Begriff «nachhaltiges Investieren» verantwortungsvoller umgehen. Während ESG nur eine enge Verlagerung berücksichtigt und sich weiterhin auf Risiken und Renditen mit einer gewissen Abmilderung des Fussabdrucks (negative externe Effekte) konzentriert, sollten nachhaltige Investitionen ein nicht-finanzielles Ergebnis, eine soziale oder ökologische Wirkung (Impact), liefern. Die Verwendung des Nachhaltigkeitssiegels sollte entsprechend auf Anlagen beschränkt werden, die einen solchen positiven, realen Fussabdruck aufweisen.

«Selbst auf der Ebene der Ratings senden ESG-Daten gemischte Signale»

Auf Unternehmensebene sind ESG-Messungen oft nicht standardisiert, unvollständig, ungenau und irreführend. Der ehemalige Chief Operating Officer (COO) von Timberland, Kenneth Pucker, liefert einen beunruhigenden Bericht über «Overselling Sustainability Reporting», wie seinem Beitrag aus der Harvard Business Review zu entnehmen ist. Darin zeigt er, dass eine unzureichende ESG-Berichterstattung mehr ablenkt als hilft, sobald die Investoren erkennen würden, dass ihnen vorgegaukelt wird, ihre Investitionen stünden im Einklang mit ihrer Nachhaltigkeitsagenda.

Selbst auf der Ebene der Ratings senden ESG-Daten gemischte Signale. Eine aktuelle Studie «Aggregate Confusion: The Divergence of ESG Ratings» der MIT Sloan School of Management zeigt, dass man sechs verschiedene Antworten erhält, wenn man sechs Rating-Anbieter danach fragt, wie nachhaltig ein Unternehmen arbeitet.

Die EU hat eine Reihe neuer Akronyme für die Klassifizierung nachhaltiger Fonds (SFDR) und Berichtsstandards (CSRD) veröffentlicht. Die Aufsichtsbehörden in der EU und den USA sind ebenfalls gegen Greenwashing und falsche Marketingaussagen von Banken und Vermögensverwaltern vorgegangen.

«Warum sollten Anleger einen Aufpreis für ein Produkt zahlen, wenn die Nachhaltigkeit nicht überprüft wurde?»

Nachhaltige Investoren müssen ein Recht auf überprüfte, nicht-finanzielle Daten haben, damit sie ihre Nachhaltigkeitsziele richtig mit ihren Portfolios abstimmen können. Ich gehe mit vielen Experten einig, dass solche Angaben in Zukunft von unabhängigen Gutachtern wie Wirtschaftsprüfern, Finanzanalysten oder Nichtregierungsorganisationen überprüft werden müssen.

Denn warum sollten Anleger einen Aufpreis für ein nachhaltiges Produkt zahlen, wenn die Nachhaltigkeit nicht überprüft wurde? Vermögensverwalter, Rating-Agenturen und vor allem Anbieter «grüner» Indizes (mit Milliarden von passiv investierten Geldern) müssen aktiv werden und ihre Angebote einer Prüfung durch unabhängige Experten unterziehen.

Eine weitere Beobachtung ist, dass das Engagement, das oft als wirksames Instrumentarium nachhaltiger Investoren angepriesen wird, nicht ausreicht, um die Nachhaltigkeitsagenda voranzubringen. Es zeichnet sich bereits eine neue Klasse von aktivistischen Anlegern ab, die mehr Verantwortung übernehmen und von den Verwaltungsräten der Unternehmen Taten und nicht nur Worte fordern. Der Hedge-Fonds/ETF-Hybrid Engine No1 ist ein gutes Beispiel dafür.

«Die Nachfrage nach nachhaltigem Kapital ist bereits grösser als das Angebot»

Es ist ihm gelungen, eine Abstimmung bei ExxonMobile zu organisieren, um zwei neue Geschäftsleitungsmitglieder aufzunehmen und das Unternehmen zu verpflichten, einen Ausstiegsplan mit hohem Kohlendioxid-Ausstoss zu verabschieden. Die niederländische Aktivistengruppe Follow This oder die britische Denkfabrik Universal Owner führen öffentliche Kampagnen durch, die nachhaltig orientierten Anlegern helfen sollen, ihren Verpflichtungen nachzukommen.

Die Umstellung auf eine Netto-Null-Wirtschaft erfordert erhebliche Investitionen in die Energieinfrastruktur, den Verkehr und den Wohnungsbau. In Deutschland belaufen sich die jährlichen Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität im Jahr 2050 auf zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) pro Jahr. Die Nachfrage nach nachhaltigem Kapital ist bereits grösser als das Angebot.

Anhaltendes Portfolio-Greenwashing hat viele Anleger verprellt und bedroht unseren gemeinsamen Wunsch, in eine prosperierende Zukunft zu investieren. Nur die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit nachhaltiger Investitionen wird das Vertrauen der Anleger zurückgewinnen.


Roman Gaus ist Impact Entrepreneur, ESG-Analyst und nachhaltiger Investor. Er ist Mitbegründer der Freya Savings, einer Schweizer Fintech-Firma, die nachhaltige Anlagen für individuelle Vorsorgekonten (Freya 3a) anbietet.


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