Kritik am zügellosen Kapitalismus ist dieser Tage salonfähig. Doch in den Köpfen der Leute sind dessen Werte noch tief verwurzelt, schreibt finews.ch-Redaktor Jeffrey Vögeli.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Mehr als 180 US-Konzernchefs, die sich in der Lobby-Organisation «Business Roundtable» Gedanken über die Zukunft der Wirtschaft machen, wollen das Wohlergehen ihrer Aktionäre nicht mehr über alles stellen. Stattdessen wollen die Firmenchefs künftig auch andere Anspruchsgruppen berücksichtigen, indem sie etwa mehr an ihre Angestellten denken und sich bei gesellschaftlichen und politischen Themen einbringen.

«Fortschritt!», freuten sich die Kommentatoren von der global beachteten «New York Times» bis hin zur wirtschaftsfreundlichen Schweizer «Handelszeitung». Kritik, etwa vom «Tages-Anzeiger», richtete sich nicht gegen die Idee vom Ende des Rauptierkapitalismus selbst. Den Konzernen dahinter könne man allerdings grundsätzlich nicht trauen, hiess es dort sinngemäss.

«UBS will Nägel mit Köpfen zu machen» 

Derweil scheint die Schweizer Grossbank UBS bereits Nägel mit Köpfen zu machen: Die Asset-Management-Abteilung des Instituts verzeichnete im vergangenen Jahr einen markanten Anstieg der nach Nachhaltigkeitskriterien investierten Vermögen. Und wie die Bank in diesem Monat weiter bekannt gab, will sie auch über alle anderen Geschäftsbereiche hinweg stärker auf Umwelt, Governance und Sozialverträglichkeit achten. Zu diesem Zweck ernannte sie vergangene Woche den neuen Investor-Relations-Chef Huw van Steenis auch zum Vorsitzenden eines konzernweiten Nachhaltigkeits-Komitees.

Die UBS stellt sich zudem hinter die «Sustainable Development Goals» der Vereinten Nationen. Zu jedem dieser Ziele hat sie ein Armband herausgegeben, das einer veritablen philanthropischen Allzweckwaffe entspricht – und das Handgelenk jedes ambitionierten UBS-Mitarbeiters ziert, wie auch finews.ch berichtete.

Bekommt UBS-Chef Sergio Ermotti, der sich dem Vernehmen nach zumindest vor einigen Monaten noch gegen Massenentlassungen zwecks Gewinnmaximierung sperrte, dafür Anerkennung? Freuen sich Beobachter der Branche darüber, dass Hunderte oder Tausende von überbezahlten UBS-Bankern weiterhin Putzpersonal beschäftigen, teure Autos, Kleider und Mahlzeiten kaufen, dem schweizerischen Immobilien-Luftballon Luft zuführen?

Fehlanzeige. Denn die Aktie der UBS hat in diesem Sommer erstmals seit 2012 die 10-Franken-Marke unterschritten. Nun müssen Köpfe rollen, heisst es landauf landab. Schadenfreudig reiben sich die selbsternannten Experten die Hände, und die Medien wetzen die Messer.

«Alle anderen müssen zuerst noch liefern»

Das Lamento auf die Misere der UBS-Papiere legt offen, wie tief verwurzelt der Aktienpreis weiterhin als Mass aller Dinge ist. Die US-Konzerne, deren Leitindex S&P 500 erst im vergangenen Monat erneut ein Allzeithoch knackte, können es sich im Gegensatz dazu leisten, über eine «Post-Profit-Welt» zu schwadronieren – und bereiten damit möglicherweise auch eine gute Ausrede für einen allfälligen Crash vor.

Alle anderen Unternehmen und Konzernchefs müssen zuerst noch liefern. Wer wirklich glaubt, am Shareholder-Value-Denken habe sich angesichts der Klima-Debatte, der Diskussion um Modern Monetary Theory (MMT) oder der breit anerkannten Problematik der klaffenden Vermögensschere etwas geändert, lügt sich selber gehörig in die Tasche.


Jeffrey Vögeli ist Redaktor beim Schweizer Finanzportal finews.ch. Zuvor war er von 2014 bis 2017 Bankenkorrespondent bei der internationalen Nachrichtenagentur «Bloomberg» und zuvor als Redaktor beim Monatsmagazin «Schweizer Bank» sowie in der Online-Redaktion der «Handelszeitung» tätig.


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