Kaum ein Thema wird so emotional diskutiert wie das Homeoffice: In Mitarbeiter-Meetings ebenso wie im privaten Kreis, findet Karin Klossek in ihrem Beitrag auf finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


England, mit einem durchschnittlichen Anteil von 1,5 Tagen Homeoffice in der Woche ist im europäischen Vergleich führend. (Europa 0,9). Bis zu 40 Prozent aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiten im Homeoffice. Gleichzeitig ist England das Land mit den längsten Arbeitszeiten im europäischen Vergleich.

Neben diesen Zahlen zitiert der «Guardian» eine aktuelle Studie, nach der 25 Prozent der Befragten angeben, dass sie kündigen würden, wenn sie wieder ausschliesslich im Unternehmen arbeiten sollten.

Tim Cook, der CEO von Apple, sonst sehr klar in seinen Ansagen, sprach vorsichtig von einem Piloten, als er anordnete, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Apple wieder drei Tage in der Woche im Büro erwartet werden: Dienstag und Donnerstag sowie an einem dritten Tag, den das Team selbst festlegen kann. Zu gross war der Aufschrei beim ersten Memo zur Anwesenheitspflicht nach Covid. Auch das Unternehmen Zoom möchte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die bis zu 80 km von der Firmenzentrale entfernt wohnen, mindestens zweimal in der Woche im Unternehmensbüro sehen und trifft auf heftigen Widerstand.

«Die Diskussion geht an den wahren Gründen vorbei»

Die Grossbanken in den USA sind schon seit langem diesen Weg gegangen und viele erwarten Anwesenheit in der Bank an fünf Tagen in der Woche. Das lässt sich versüssen, beispielsweise durch das Büro der Zukunft wie J.P. Morgan Chase es an der Adresse 270 Park Avenue gerade durch Foster + Partners bauen lässt.

Das 60-stöckige Gebäude übertrifft alle bisherigen Nachhaltigkeitsstandards, hat ein ausgefeiltes Frischluftkonzept, erlaubt eine maximale Flexibilität der Bürowände und für sämtliche Wellness-Aspekte wurden Experten wie Deepak Chopra engagiert, so dass Räume für Yoga, Pilates, Meditation oder einfach nur Räume der Stille selbstverständlich sind.

Die bekannten Argumente: Stau auf der Autobahn oder volle S-Bahnen, die gerne auch mal ausfallen, sind kein Vergnügen, kosten Zeit, Geld, Nerven und CO2. In einer digitalisierten Welt lassen sich viele Aufgaben nahezu von überall ausführen. Ein Arzttermin lässt sich diskreter vom Homeoffice aus einplanen. Gegen eine anziehende Erkältung lässt sich mit bewährten Hausmitteln leichter von zuhause aus ankämpfen. Die Diskussion geht jedoch meist an den wahren Gründen vorbei.

«Gute Führungskräfte waren schon flexibel als der Begriff Homeoffice noch nicht existierte»

Selbst wenn er oder sie mit dem perfekten Gender-Speech und allen sonstigen politischen Korrektheiten ausgestattet ist, lässt sich eine unfähige Führungskraft ad personam nur schwer ertragen. Da erscheint jede Abstellkammer als Homeoffice attraktiver. Der früh verstorbene Anthropologe und Professor an der London School of Economics David Graeber nannte sie Bullshit-Jobs: Arbeiten, die eigentlich niemand braucht und die selbst diejenigen, die dafür bezahlt werden, als überflüssig empfinden.

Wenn der Vorgesetzte und der Personalbereich ihr Salz nicht wert sind und es keinerlei Entwicklungsmöglichkeiten gibt, dann werden die Arbeiten lieber am Küchentisch daheim erledigt, selbst wenn Licht, Stuhl und Tisch dafür ergonomisch völlig ungeeignet sind.

Gute Führungskräfte sind und waren schon flexibel als die Begriffe Homeoffice und Worcation noch nicht existierten. Sie schätzen ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und ermöglichen Flexibilität, wenn sie gewünscht und möglich ist. Sie vertrauen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und wissen, dass die Leistung (und Loyalität) dank erlebter individueller Flexibilität noch höher ist.

«Nicht jeder liebt es, über Stunden Kopfhörer zu tragen»

Natürlich kann nicht jeder in einem Gebäude arbeiten, das von Foster + Partners perfekt gestaltet wurde. Ambitioniert aber unprofessionell gestaltete Arbeitsräume lassen oft konzentriertes Arbeiten nicht zu. Nicht jeder liebt es, über Stunden Kopfhörer zu tragen. So mancher Old School Arbeitsplatz ist zwar nicht als Lounge geeignet, ermöglicht aber konzentriertes Arbeiten am Unternehmenssitz. Ohne eigene Motivation, in einer Organisation arbeiten zu wollen, ist es schlicht hoffnungslos — solange Arbeitskräfte rar sind. Hier ist der Wunsch nach maximaler Homeoffice-Flexibilität nichts anderes als Freizeitoptimierung.

Für hochmotivierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hingegen, so deuten eine Reihe aktueller Studien hin, bedeutet mehr Homeoffice-Anteil noch mehr Arbeitsstunden. Kein Wunder, im tatsächlich gut eingerichteten Homeoffice ist es angenehmer bis in die Nacht zu arbeiten, ohne danach noch auf ein dunkles Parkdeck oder zu einem nächtlichen S-Bahnhof eilen zu müssen. Wer Lust hat, das Thema zu vertiefen: Die Führungskräfte-Expertin und ein Philosoph entzaubern in der Diskussion so manchen vorgeblichen Trend wie Agile Working und räumen mit Illusionen auf: «Schöne neue Arbeitswelt» in der «SRF Kultur Mediathek» empfohlen.

Ein Unternehmen oder eine andere Organisation für die wir arbeiten ist eine grosse Chance, mit Menschen zusammenzukommen, auf die wir sonst nie treffen würden. Wir alle entdecken dabei neue Perspektiven und entwickeln uns weiter — allerdings nur, wenn wir uns tatsächlich persönlich auseinandersetzen.

«Das vermeintlich gemütliche Homeoffice kann auf mittlere Sicht sehr ungemütlich werden»

Elektronische Chats sind kein Ersatz – dort tauschen wir uns mit denen aus, die uns eh schon ähnlich sind. Offizielle Meetings sind meist gut inszenierte Theaterstücke. Die wirklich wichtigen Informationen «zwischen den Zeilen» werden beim gemeinsamen Kaffee ausgetauscht. Eine herausragende Unternehmenskultur lässt sich nur im Alltag live erleben. Sie prägt im positiven Sinn und beide Seiten profitieren davon: Das Unternehmen in der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Qualität der vielen Tage, Wochen und Monate, die sie am Arbeitsplatz verbringen.

Aus einer guten Unternehmenskultur entsteht ein natürliches Netzwerk, das über Jahrzehnte hält, selbst wenn alle bereits in anderen Unternehmen arbeiten. Bisweilen entstehen Freundschaften, die ein Leben lang halten. Das vermeintlich gemütliche Homeoffice kann auf mittlere Sicht sehr ungemütlich werden: Mehr Haushaltsarbeit statt Karriere, denn aus der Webex-, Teams- oder Zoom-Kachel heraus sich zu profilieren gelingt den wenigsten und oft nicht den fähigsten.


Karin M. Klossek arbeitete in Frankfurt, Auckland, Sydney und London im Bereich Mode, Financial Services und Gesundheit mit dem Schwerpunkt auf strategischer Markenführung und Marketing. Im Jahr 2018 lancierte sie zusammen mit Maike Siever die Lifestyle-Website GloriousMe.Net. Darüber hinaus ist sie Co-Gründerin der Branding-Beratungsfirma Glorious Brands in Frankfurt am Main.


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