Das Debakel der Credit Suisse mit dem Family Office Archegos birgt wertvolle Lektionen für andere Banken, schreibt Andreas Ita seinem Beitrag für finews.first.
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Der Schaden von 4,4 Milliarden Schweizer Franken (4,7 Milliarden Dollar), den die Credit Suisse durch den Zusammenbruch der Finanz-Boutique Archegos erlitten hat, zeigt eindrücklich die Grenzen aller potenziellen Risiken bei hochkomplexen und vor allem fremdfinanzierten Geschäften – selbst mit ausgefeilten Risikomodellen.
Der Skandal unterstreicht auch, wie wichtig es ist, dass Führungskräfte, Regulatoren und Wirtschaftsprüfer die Mechanismen, Risiken und Abhängigkeiten des Geschäftsmodells einer Bank verstehen. Nur so können sie die richtigen Fragen stellen und die heiklen Punkte ansprechen. Doch was sind die Lehren für andere Banken, die mit grossen, stark fremdfinanzierten Aktienpositionen zu tun haben, die sie den Kunden über Derivate zur Verfügung stellen?
Nicht bewusst
Erstens scheint es, dass sich das Top-Management und der Verwaltungsrat der Credit Suisse des enormen Engagements ihrer Bank bei einem einzigen Kunden nicht bewusst waren. Dabei könnte es tatsächlich so gewesen sein, dass das Engagement aufgrund der spezifischen Finanzierungsstruktur mit sogenannten Total Return Swaps schwer zu erkennen war; zumal bei Total Return Swaps das Engagement gegenüber dem Kunden weder in der Bilanz der Bank noch im Value-at-Risk (VAR) sichtbar.
In Bezug auf die Besicherung wurde das Kontrahenten-Kreditrisiko der Instrumente möglicherweise stark unterschätzt. Das wiederum liegt daran, dass die Kursbewegungen viel grösser waren als von den gängigen Modellen vorhergesagt worden war.
Insofern besteht die Herausforderung nun darin, neue Methoden zu finden, um «versteckte» Engagements dieser Art zu identifizieren und entsprechend zu begrenzen.
Gleich bei mehreren Banken
Zweitens: Wenn Kunden ähnliche Engagements gleich bei mehreren Banken halten – von denen keine von der anderen weiss – kann eine Kaskade an Verkäufen von Absicherungspositionen die Aktienkursstürze verstärken, und zwar weit über die Worst-Case-Szenarien der statistischen Modelle hinaus, die zur Bestimmung der Margin-Anforderungen jeweils verwendet werden.
In diesem Fall besteht die grösste Herausforderung darin, von den Kunden zu verlangen, dass sie ihre gesamten Engagements pro Basiswert-Position melden oder sie bei ähnlichen Geschäften mit anderen Banken im gleichen Basiswert einschränken.
Darüber hinaus sollten die Banken die Preisauswirkungen bei der Auflösung von Absicherungspositionen in ihre ausgefeilten Kreditrisikomodelle für die Gegenpartei einbeziehen.
Geordnete Liquidation
Die dritte Lektion bezieht sich auf die Marktliquidität der betroffenen Aktien. Die massiven Handelsvolumina, die während der kritischen Tage zu beobachten waren, lassen darauf schliessen, dass die Absicherungspositionen der Bank ein Vielfaches des normalen täglichen Handelsvolumens ausmachten. Das wiederum verstärkte die Preisauswirkungen der erzwungenen Positionsauflösungen.
Hier besteht die Herausforderung der Banken darin, Limiten für die Total Return Swaps und andere Derivatepositionen pro unterliegendem Wert und Kontrahenten festzulegen. Dies würde eine geordnete Liquidation von Absicherungspositionen ermöglichen – falls der Kontrahent ausfällt.
Eine neuerliche Warnung
Banken sollten auch die erwarteten Preisauswirkungen von erzwungenen Auflösungen von Absicherungspositionen in ihre Modelle einbeziehen, beruhend auf der Grösse der Engagements im Verhältnis zum täglichen Handelsvolumen.
Alles in allem ist der Fall Archegos eine neuerliche Warnung an die Banken, sich nicht von ausgefeilten Risikomodellen, die nach der Krise 2008/09 eingeführt wurden, in falscher Sicherheit wiegen zu lassen.
Andreas Ita ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Firma Orbit36, die Banken und Versicherungen bei der strategischen Planung sowie dem Risiko- und Kapitalmanagement berät. Der Schweizer Banker begann seine Karriere im Handel mit Aktienderivaten und arbeitete insgesamt 22 Jahre bei der UBS. Zuletzt leitete er bei der Schweizer Bank bis Mitte 2019 den Bereich Group Economic Performance and Capital Optimization. Er promovierte in Banking und Finance an der Universität Zürich.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Rolf Banz, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Marionna Wegenstein, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Lamara von Albertini, Andreas Britt, Gilles Prince, Darren Williams, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Stéphane Monier, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Teodoro Cocca, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Marionna Wegenstein, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Brigitte Kaps, Thomas Stucki, Teodoro Cocca, Neil Shearing, Claude Baumann, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Fabrizio Pagani, Niels Lan Doky, Karin M. Klossek, Ralph Ebert, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Bernardo Brunschwiler, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Gérard Piasko, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Andrew Isbester, Florin Baeriswyl, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Michael Welti, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler, Hui Zhang, Michael Bornhäusser, Reto Jauch, Angela Agostini, Guy de Blonay, Lars Jaeger, Tatjana Greil Castro, Jean-Baptiste Berthon, Dietrich Grönemeyer, Mobeen Tahir, Didier Saint-Georges, Serge Tabachnik, Rolando Grandi, Vega Ibanez, Beat Wittmann, Carina Schaurte und David Folkerts-Landau.