Claude Baumann: «Was uns der Showdown im Oval Office lehrt»

Was uns die Herren Trump, Selenski und Vance vor Wochenfrist im Weissen Haus geboten haben, war «History unplugged», also Geschichte im Rohzustand, ganz nach dem Motto des legendären Nirvana-Songs «Come as you are». Der Clash lieferte seltenes Anschauungsmaterial für die Dos and Don’ts in Verhandlungstaktik, wie finews.ch-Gründer Claude Baumann in seinem Beitrag für finews.first feststellt.

Selten hat ein Wortwechsel weltweit so hohe Wellen geschlagen, wie der Schlagabtausch zwischen US-Präsident Donald Trump, seinem Vize JD Vance sowie dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski vor einer Woche.

Selbst wenn sich die Situation in der Zwischenzeit weiterentwickelt hat und die Protagonisten bereits wieder gewillt sind, miteinander zu sprechen – diese 50 Minuten, die Weltgeschichte schrieben, bleiben als ein Lehrstück für Verhandlungstaktik erhalten.

Darüber hinaus offenbaren sie, wie an sich banale Versäumnisse, zu einer immensen Eruption führen können. Insofern ist dieser Text nicht als politisches Statement zu lesen, sondern er soll einige verhandlungstaktische Überlegungen zusammenfassen. Konstruktiv gesehen lassen sich aus diesem Showdown mindestens zehn Dinge herauslesen:

1. «Set the Tone»

Es gibt nur wenige «heiligen Hallen» auf dieser Welt. Das Oval Office gehört ohne Zweifel dazu; ein Ort, wo Geschichte geschrieben wird. Entsprechend begibt man sich mit dem erforderlichen Bewusstsein dorthin. Einmal dort, ist keine Zeit mehr, um noch zu verhandeln, herumzumäkeln oder nachzubessern. Das muss vorher oder nachher geschehen; nicht im Scheinwerferlicht der Welt.

Wer da den (ersten) Ton angibt und dabei eine feierliche Note anstimmt, wirkt souverän und geht mit besseren Karten ins Spiel. Das haben der französische Präsident Emmanuel Macron sowie der britische Premierminister Keir Starmer wenige Tage vor dem Clash bewiesen. Verhandlungspartner begegnen sich auch im Oval Office stets auf Augenhöhe.

2. «Dress for Success»

Drei Jahre lang hat Selenski seinen Kleidungsstil zur Schau getragen. Mit seinem paramilitärischen Outfit vermittelte er Authentizität. Er wirkte glaubwürdig und entschlossen. Sein Image beruhte auf dem eines «Underdogs», der sich vom übermächtigen Angreifer nicht unterkriegen lässt. Im europäischen Westen kam das gut an. Selenski wurde als Held gefeiert. Da passte seine Kleidung dazu.

Anders in den USA, wo mit der Rückkehr Trumps diese Wahrnehmung zu bröckeln begann. Mit einem Schlag galt Selenski als Diktator, als Provokateur eines Dritten Weltkriegs oder als Revoluzzer, der erst noch undankbar ist. In dieser Situation passt die Kleidung der vergangenen drei Jahre nicht mehr.

Sie gemahnt plötzlich an Fidel Castro und fällt durch, wenn es darum geht, einen Win-Win-Deal mit der grössten Supermacht der Welt abzuschliessen. Selenski im Anzug hätte kaum zu reden gegeben, ihm stattdessen zu einer sagenhaften Aura verholfen – und ihn nicht auf die Rolle des Bittstellers reduziert. Und er hätte sich die ganze Fragerei der Journalisten zu seiner Kleidung ersparen können.

3. «Lost in Translation»

Warum nur haben wir Europäer (ohne englischsprachige) so häufig das Gefühl, in wichtigen Situationen Englisch sprechen zu müssen? Das kann nur schief gehen, wie es auch das Beispiel Selenskis im Weissen Haus gezeigt hat – in Erinnerung bleibt auch das seinerzeit peinliche Interview des damaligen Bundespräsidenten Ueli Maurer in den USA.

Gegenüber Menschen mit englischer Muttersprache ziehen wir in einer Kontroverse immer den Kürzeren. Wir sind im wahrsten Sinne «Lost in Translation» – so, wie es auch Selenski sichtlich war.

Es geht auch anders: Einem Xi Jinping oder einem Wladimir Putin käme es nie in den Sinn, sich bei einem solchen Treffen auf Englisch zu bemühen. Das ist richtig so, denn es wahrt Souveränität, die wiederum Respekt und Anstand sichert.

4. «Don’t Go Alone»

Wer sich gleich auf drei Haudegen – wie Trump, Vance und US-Aussenminister Marco Rubio – einlässt, tut gut daran, mit Verstärkung anzutreten. Warum hat Selenski nicht auch eloquente und gestandene Berater sichtbar an seine Seite genommen, um den Amerikanern Paroli zu bieten?

Zwar sass die ukrainische Botschafterin im Raum. Doch das reichte nicht. Selenski, im Ausland zuvor als Held gefeiert, hat sich vermutlich überschätzt und landete auf dem Glatteis.

5. «Knowing Me – Knowing You»

Wer sich mit dem Phänomen Trump befasst hat, weiss einiges. Erstens, dass er ein selbstverliebter Gockel ist, zweitens kein Politiker, sondern ein Deal-Maker mit kurzem Gedächtnis; drittens, dass er die Welt beherrschen will und sich primär mit den auf Lebzeiten «gewählten» Autokraten Putin und Jinping misst.

Er ist ausgesprochen emotional und versteht es, praktisch jede Situation zu seinen Gunsten zu drehen, zumindest kurzfristig. Primär will er in die Geschichte eingehen, als derjenige, der den Ukraine-Krieg beenden konnte – koste es, was es wolle. Denn am Ende soll ihm ja der Friedensnobelpreis winken.

Vor diesem Hintergrund hätte Selenski nicht vor den Medien dialogisieren sollen, zumal sich mit Trump im politisch-diplomatischen Stil kaum diskutieren lässt, sondern bestenfalls im Sinne eines «Deals». Doch das geschieht hinter verschlossenen Türen.

6. «Hoping for the Best – But Expecting the Worst»

Rückblickend ist es offensichtlich, dass Trump mit dem Verhandlungsergebnis nicht zufrieden war. Der angestrebte Deal behagte ihm nicht. Dies gab er seinem Gegenspieler vor der ganzen Weltöffentlichkeit zu spüren.

Damit hatte Selenski nicht gerechnet; er wähnte sich trotz dem ganzen Gehabe in Sicherheit des US-Schutzes, der historisch gesehen über Jahrzehnte hinweg garantiert gewesen war. Doch seit Brexit, Covid, AfD und eben auch Trump ist vieles, das zuvor undenkbar gewesen war, nun plötzlich möglich. Selenski besass offensichtlich kein Worst-Case-Szenario im Reisekoffer,

7. «Focus, Focus, Focus»

Es wurde deutlich: In Konfliktsituationen zählt nur der Fokus; ob Vance, wie Selenski wissen wollte, schon mal in der Ukraine gewesen war, ist irrelevant und bringt den Vizepräsidenten unnötig in Verlegenheit; das mag im Moment witzig sein, führt aber nicht zur Streitschlichtung.

Vergleiche zu ziehen, wer nun mehr weiss, ist nicht zielführend. Viel wichtiger ist es, auf Tuchfühlung mit seinen Kontrahenten zu bleiben. Wie das geht, hat Präsident Macron bewiesen, als der den mächtigen Trump am Unterarm festhielt und ihm diplomatisch widersprach (vgl. nachstehender Screenshot).

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(Bild: Keystone)

8. «Just Walk Away»

Nach dem gescheiterten Treffen zog der sichtlich erzürnte Trump nochmals eine Trumpfkarte. Er verweigerte Selenski jedes weitere Gespräch, was den Ukrainer vollends zum Bittsteller degradierte, und Trump strafte ihn noch zusätzlich damit, dass er ihn als Hausherr aufforderte, den «Tatort» schleunigst zu verlassen.

Selenski hätte die Option gehabt, selbst aufzustehen und den Raum zu verlassen. Er hätte Trump damit überrumpelt; natürlich braucht das Mut, aber den hat Selenski in anderen Situationen immer wieder bewiesen. Diese Option wäre Bestandteil eines Worts-Case-Szenarios gewesen (vgl. Punkt 6).

9. «Win-Win»

Wie es für Trump mittlerweile üblich ist, relativiert er seine Aussagen und sein Verhalten fast schon im Tagestakt. Insofern sollten seine Statements mit etwas grösserer Gelassenheit quittiert werden, was uns Europäern offenbar schwerer fällt als den Amerikanern.

Eine Gesprächsbereitschaft zwischen Trump und Selenski scheint ja in der Zwischenzeit bereits wieder zu existieren.

10. «What You See Is What You Get»

Trump ist unglaublich transparent. Mit ihm wissen wir, dass es ihm nicht ums Gemeinwohl geht, sondern um seine Profilierung und seinen persönlichen Erfolg. Insofern lohnt es sich, in einem solchen Fall, auf den Mann zu spielen. 

Macron und Starmer haben es getan – Selenski war überfordert, im Konflikt zwischen dem Misserfolg seines Landes im Krieg mit Russland und dem Erfolg seiner Person im westlichen Europa.  


Claude Baumann ist Gründer und Herausgeber von finews.ch sowie CEO von finews.asia in Singapur und finewsticino.ch im Tessin. Er arbeitete zuvor als Wirtschaftsredaktor für «Die Weltwoche» und «Finanz und Wirtschaft». Er war Mitgründer des Literaturverlags Nagel & Kimche und lancierte das Geschäftsreisemagazin «Arrivals». Darüber hinaus hat er mehrere Bücher über die Finanzbranche publiziert, zuletzt eine Biografie über Robert Holzach.