Dominik Buholzer: «ESG – fällt nun das Rüstungs-Tabu?»
Der Honeymoon von ESG liegt schon einige Zeit zurück. Doch nun könnte die Rüstungsdebatte dem Nachhaltigkeits-Label neues Leben einhauchen. Doch ergibt dies auch Sinn? Dieser Frage stellt sich finews.ch-Chefredaktor Dominik Buholzer.
Am Donnerstag vergangener Woche: In La Defense, in Paris’ Bürostadt im XXL-Format, warb der französische Wirtschafts- und Finanzminister Eric Lombard für höhere Rüstungsausgaben und forderte private Investoren auf, ihre Zurückhaltung für solche Investments endlich abzulegen.
Zur gleichen Zeit sagte Mathilde Dufour, Head of Sustainability Research bei Mirova, eine Tochtergesellschaft von Natixis Investment Managers, betonte: «Wir sollten ernsthaft darüber diskutieren, ob der Bereich Rüstung nicht auch unter ESG fällt.»
Europa muss das Heft wieder in die Hand nehmen
ESG und Rüstung? Bislang galten die beiden Bereiche als unvereinbar. Kriegsgütern haftete das Etikett «sozial schädlich» an.
Nun soll also möglich werden, was bislang als unmöglich galt.
Hintergrund sind der Krieg in der Ukraine sowie die von den USA forcierte Einsicht bei Europas Regierungen, dass der alte Kontinent in Zukunft das Heft bei der Verteidigung wieder in die eigene Hand nehmen und mehr – d.h. auch Schulden – machen muss. In Deutschland wurde dafür die Schuldenbremse im Grundgesetz geschleift. Und die EU will bei der massiven Aufrüstung unbedingt eine wichtige Rolle übernehmen, obschon Verteidigung eine nationale Aufgabe ist.
ESG – der Honeymoon ist vorbei
Dafür muss viel Geld mobilisiert werden – auch von privater Seite soll dies geschehen. Und dann spielt da auch noch die ESG-Krise mit rein.
ESG war während mehreren Jahren das grosse Thema – auch in der Finanzbranche, das «next big thing» sozusagen. Doch der Honeymoon ist vorbei.
Trotz der Milliarden, die in ESG-Fonds geflossen sind, bleibt der tatsächliche Einfluss auf das Verhalten von Unternehmen bestenfalls unklar. Zudem können ESG-Scores widersprüchlich ausfallen. Dass zwei Ratingagenturen dem gleichen Unternehmen ein komplett anderes Zeugnis ausstellen, ist nicht selten. Ein Unternehmen einzuschätzen ist damit für den Anleger ein schwieriges Unterfangen.
Zu kompliziert, zu aufwändig
Dazu kommt, dass es Zielkonflikte zwischen dem E, S und dem G geben kann. Ein Unternehmen kann ein vorbildlicher Arbeitgeber sein (S), aber einen hohen CO2-Ausstoss haben (E).
Das andere ist der Aufwand, mit dem sich die Unternehmen in Sachen ESG konfrontiert sehen. Für kleine bis mittlere Unternehmen sind die mit der Regulierung verbundenen Berichts- und Sorgfaltspflichten kaum zu bewältigen.
Aber auch die Unternehmen und die Finanzindustrie sind nicht unschuldig. Beispiele sind die «beeindruckenden» Nachhaltigkeitsberichte, die nicht mit dem Handeln der Unternehmen korrelieren. Oder Aktienfonds, die als grün verkauft werden, obwohl sie es nicht sind. Greenwashing nennt sich dies.
Immerhin gibt es einen einigermassen breiten Konsens, dass Unternehmen aus bestimmten Branchen per se im ESG-Universum keinen Platz finden dürfen. Dazu gehören Rüstungskonzerne.
Olive ist das neue Grün
Zumindest galt dies bislang. Nun sollen die starren Regeln bezüglich Rüstungsindustrie aufgelockert werden: Olive ist das neue Grün. «Wir sollten uns der Diskussion nicht verschliessen. Das Thema gehört auf den Tisch», sagt Laura Kaliszewski, Head of Client Sustainable Investing von Natixis Investment Mangers. Es gehe auch darum, die Kundenseite im Auge zu behalten.
Es gelte auch solche Bereiche zu finanzieren, die sowohl den Kunden als auch der Gesellschaft zugutekommen, betont sie. Allerdings müssten Reputationsrisiken im Auge behalten werden. Es brauche deshalb «klare Regeln, Definitionen und Leitplanken – hier besteht noch erheblicher Handlungsbedarf seitens der Regierungen, der Aufsichtsbehörden und der gesamten Branche», sagt Laura Kaliszewski.
Dort hat man den Rüstungssektor – der nun plötzlich an der Börse nicht mehr als das alte Problemkind sondern als die jüngste Wachstumsstory gilt – unlängst als Renditequelle entdeckt. Lukrativ ist vor allem das Feld der Dual-Use-Technologien, also den militärischen Innovationen mit zivilen Anwendungsmöglichkeiten.
Spannungsfeld für Firmen wie auch Anleger
Der Stempel ESG auf einem Rüstungs-Fonds wirkt also sicherlich verkaufsfördernd – in Zeiten, in denen z.B. selbst die einst pazifistischen Grünen ihr Herz für die Bundeswehr entdeckt und der Ukraine mit weiteren Waffenlieferungen im Kampf gegen Russland beistehen wollen.
Das Gütesiegel wäre durchaus auch im Interesse der Branche. Grosse Waffenschmieden und deren Zulieferfirmen bekunden heute noch Mühe, von den Banken Geld zu bekommen. Mit dem ESG-Label würde dies schlagartig anders aussehen.
Ob ein solches Gebaren der Glaubwürdigkeit des Anliegens der Nachhaltigkeit dient, ist eine andere Frage. In diesem Spannungsfeld bewegen sich nicht nur die Rüstungsfirmen und Regulatoren, sondern letztlich auch die Anleger.
Dominik Buholzer ist CEO und Chefredaktor von finews.ch und finews.com