Wieder erschüttert eine Vertrauenskrise den Bankensektor. Deshalb sei es besonders wichtig, strukturellen Unterschiede zwischen den Akteuren dieser Branche zu betrachten, schreibt Philip Adler in seinem Beitrag auf finews.first.
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Universalbanken richten sich an eine diversifizierte Kundschaft und bieten dieser die gesamte Palette der grundlegenden Finanzdienstleistungen an. Diese Dienstleistungen, zu denen auch die Kreditvergabe gehört, erfordern hohe Eigenmittelreserven, weshalb diese Institute sich oft an den Kapitalmärkten finanzieren müssen und sich entsprechenden Risiken aussetzen.
Privatbanken sind dagegen oft «Pure Player» und ihr Kerngeschäft ist der Schutz und die Übertragung der Kundenvermögen auf lange Sicht. Dies erfordert spezialisierte Vermögensverwaltungs- und Vermögensplanungsdienste, bei denen die Kreditgewährung einen niedrigeren Stellenwert innehat.
«Diese Messzahlen zielen darauf ab, das Liquiditätsrisiko der Banken zu bestimmen»
Privatbanken bieten in erster Linie sogenannte Lombardkredite, die eine Alternative zu klassischen Darlehen und eine natürliche Ergänzung zur Portfolioverwaltung darstellen. Der Kunde erhält gegen die Verpfändung seines Portfolios eine Kreditfazilität. Manchmal gewähren Privatbanken auch Hypotheken, beispielsweise im Rahmen eines spezifischen Immobilienprojekts eines Kunden.
Die Geschäftstätigkeit der Privatbanken erfordert somit weniger Eigenkapital, weshalb sie selten an den Kapitalmärkten aktiv werden. Schweizer Privatbanken verfügen in der Regel über eine grössere Kapitalbasis, sie sind also grundsätzlich stabiler, was in zwei wichtigen regulatorischen Ratios zur Geltung kommt: Die Mindestliquiditätsquote (LCR) und die strukturelle Liquiditätsquote (Net Stable Funding Ratio, NSFR).
Nach der Finanzkrise von 2008 durch den Basler Ausschuss für Bankenaufsicht eingeführt, zielen diese Messzahlen darauf ab, das Liquiditätsrisiko der Banken zu bestimmen, also ihre Fähigkeit, ihren Finanzverpflichtungen nachzukommen, selbst wenn sie mit ihren Investitionen Verluste verzeichnen oder es zu einem massiven Rückzug der Kundeneinlagen kommen sollten oder sie ihre Aktiven nicht in Liquiditäten umwandeln können.
«Ein Frühwarnsystem hätte den Kollaps der Silicon Valley Bank verhindert»
Die kurzfristige Mindestliquiditätsquote LCR misst die Fähigkeit einer Bank, während dreissig Tagen ihre Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen und erfordert eine 100-prozentige Unterlegung der Verbindlichkeiten mit genügend erstklassigen liquiden Vermögenswerten. Die zweite Säule der Basler Reform bildet die auf längere Sicht angelegte NSFR. Sie trat in der EU und in der Schweiz im Jahr 2021 in Kraft, soll die finanzielle Stabilität einer Bank auf lange Sicht garantieren und muss mindestens 100 Prozent betragen.
Ungeachtet ihrer Grösse oder der Art ihrer Geschäftstätigkeit müssen europäische und Schweizer Banken diese Mindestanforderungen einhalten, da diese eine gesunde Bewirtschaftung der Bilanz gewährleisten. In der Regel liegen die LCR und NSFR der Universalbanken nahe am regulatorischen Minimum von 100 Prozent. Jene der Privatbanken liegen meist höher, was mit dem Wesen ihrer Geschäftstätigkeit einhergeht. Am Finanzplatz Genf beträgt der LCR-Durchschnitt etwa 200 Prozent.
In den USA dagegen wurden - infolge der Verwässerung des Dodd-Frank-Gesetzes durch die Trump-Administration - Banken, die weniger als 250 Milliarden Dollar verwalten, von der Einhaltung gewisser Ratios wie LCR und NSFR befreit. Wäre der Geltungsbereich nicht eingeschränkt worden, hätte ein Frühwarnsystem den Kollaps der Silicon Valley Bank (SVB) – 206 Milliarden Dollar Vermögen – am 10. März 2023 aufgrund mangelnder Liquidität verhindern können.
«Auch das Schicksal der Credit Suisse ist einer Vertrauenskrise zuzuschreiben»
Ihr Untergang wurde durch eine schlechte Bilanzverwaltung ausgelöst. Die SVB hielt einen Grossteil ihrer Liquidität in US-Staatsanleihen mit mittlerer und langfristiger Laufzeit ohne eine Zinsrisiko-Absicherung vorzunehmen, wodurch sie angesichts der getätigten Zinserhöhungen stille Lasten hielt. In den Passiven der SVB waren Anleihen mit einer kürzeren Laufzeit als jene der Staatspapiere verbucht, was bei Anwendung der Ratios nicht möglich gewesen wäre.
Weil die Buchungsvorschriften die Bank zwangen, ihre stillen Verluste anzuerkennen, wurde ihre finanzielle Stabilität gefährdet. Der Vertrauensverlust unter den Kunden hatte einen massiven Abzug ihrer Einlagen zur Folge. Angesichts der Unfähigkeit der SVB, diese auszuzahlen, griff die amerikanische Bankenaufsicht ein.
Auch das Schicksal der Credit Suisse ist einer Vertrauenskrise zuzuschreiben, allerdings waren die Ereignisse anders verkettet. Sie wies zwar eine gesunde Eigenmitteldeckung auf, doch wurden ihr negativen Schlagzeilen aufgrund ihrer Verwicklung in eine Reihe von Skandalen und die Verluste, die sie infolge einer mangelhaften Risikokontrolle und Geschäftsführung erlitt, zum Verhängnis. Die Schockwellen, die der Zusammenbruch der SVB auslösten, verstärkten das bereits vorhandene Misstrauen in die Credit Suisse, und ein Bank-Run brachte die zweitgrösste Schweizer Bank zu Fall.
«Das wichtigste Gut einer Bank ist das Vertrauen ihrer Kundinnen und Kunden»
Ein solches Debakel ist für die Pure Player unter den Schweizer Privatbanken schwer vorstellbar. Sie verwalten ihre Liquiditäten umsichtig und konservativ, mit hohen, bei den Zentralbanken hinterlegten Beträgen und wichtiger noch, sie sind meist nicht im Investmentbanking tätig. Ihre Bilanzbewirtschaftung und latenten Risiken sind einfacher zu erfassen. Diese Besonderheit stützt sich auf eine anhand von langjähriger Erfahrung bestätigte Gewissheit: Das wichtigste Gut einer Bank ist das Vertrauen ihrer Kunden.
Philip Adler ist Global Head of Treasury & Trading bei der in Genf ansässigen Union Bancaire Privée.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Rolf Banz, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Gilles Prince, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Thomas Stucki, Neil Shearing, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Niels Lan Doky, Karin M. Klossek, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler, Hui Zhang, Angela Agostini, Guy de Blonay, Tatjana Greil Castro, Jean-Baptiste Berthon, Dietrich Grönemeyer, Mobeen Tahir, Didier Saint-Georges, Serge Tabachnik, Vega Ibanez, David Folkerts-Landau, Andreas Ita, Michael Welti, Mihkel Vitsur, Roman Balzan, Todd Saligman, Christian Kälin, Stuart Dunbar, Carina Schaurte, Birte Orth-Freese, Gun Woo, Lamara von Albertini, Philip Adler, Ramon Vogt, Andrea Hoffmann, Niccolò Garzelli, Darren Williams, Benjamin Böhner, Mike Judith, Jared Cook, Henk Grootveld, Roman Gaus, Nicolas Faller, Anna Stünzi, Thomas Höhne-Sparborth, Fabrizio Pagani, Ralph Ebert, Guy de Blonay, Jan Boudewijns, Sean Hagerty, Alina Donets, Sébastien Galy, Roman von Ah, Fernando Fernández, Georg von Wyss, Beat Wittmann, Stefan Bannwart, Andreas Britt, Frédéric Leroux, Nick Platjouw, Rolando Grandi, Philipp Kaupke, Gérard Piasko, Brad Slingerlend, Dieter Wermuth, Grégoire Bordier, Thomas Signer, Brigitte Kaps, Gianluca Gerosa, Michael Bornhäusser, Christine Houston, Manuel Romera Robles, Fabian Käslin, Claudia Kraaz, Marco Huwiler, Lukas Zihlmann, Nadège Lesueur-Pène, Sherif Mamdouh, Harald Preissler, Taimur Hyat, Philipp Cottier, Andreas Herrmann, Camille Vial, Marcus Hüttinger, Ralph Ebert, Serge Beck, Alannah Beer, Stéphane Monier, Ashley Semmens, Lars Jaeger, Ha Duong, Claude Baumann, Andrew Isbester, Shanna Strauss-Frank, Teodoro Cocca, Bertrand Binggeli, Marionna Wegenstein, George Muzinich, Jian Shi Cortesi, Razan Nasser, Nicolas Forest, Jörg Rütschi, Reto Jauch, Bernardo Brunschwiler, Charles-Henry Monchau, Nicolas Ramelet und Florin Baeriswyl.