Patrick Kindle: «ESG bringt Überperformance»
Der Anlagestratege ist überzeugt: ESG wird den aktuellen politischen Sturm überstehen. Im Gespräch kritisiert der Liechtensteiner Banker das Verhalten grosser Häuser und erklärt, wie man gekonnt Nachhaltigkeit mit Rendite verbindet.
Patrick Kindle verantwortet bei der Neuen Bank in Vaduz wichtige Elemente der Vermögensverwaltung.
Im Interview mit finews.ch erklärt er, wie die Liechtensteiner Privatbank mit einem eigens entwickelten Ampelsystem durch geopolitisch unsichere Zeiten navigiert – und warum der ESG-Fokus seines Fonds kein Lippenbekenntnis ist, sondern ein ebenso disziplinierter wie einträglicher Anlageansatz.
Kindle ist der geistige Vater des hauseigenen, nachhaltigen Aktienfonds, dessen Investment-Strategie er vor über 15 Jahren als Diplomarbeit an der Universität Liechtenstein entwickelt hat – ein Gespräch über Klimaziele, den mündigen Kunden, regulatorische Zumutungen, problematische Ratings und über Waffenaktien im ESG-Kontext.
Herr Kindle, welche Entwicklungen beobachten Sie derzeit besonders aufmerksam an den Kapitalmärkten?
Aktuell dominieren die politischen Themen, vor allem der unglückliche «Liberation Day» von Donald Trump. Für uns ist klar: Mit den vielen unkoordinierten Ankündigungen ist er politisch bereits eine «lame duck» geworden. Seine Unberechenbarkeit, gepaart mit institutionellen Spannungen – etwa durch den Chatskandal seiner Minister – wirkt zunehmend als Belastungsfaktor für die Märkte. Dazu kommen auch andere geopolitische Krisen: das autokratische Verhalten von Erdogan in der Türkei, die ungelösten Konflikte im Nahen Osten oder der weiterhin anhaltende Krieg in der Ukraine.
Seit der Amtseinführung von Donald Trump haben die europäischen Börsen viel besser performt als die amerikanischen.
Ja, Europa hat sich zuletzt deutlich von Amerika und China abgekoppelt. Während die jüngste US-Berichtssaison schwach ausfiel und keine Impulse liefern konnte, sehen wir in Europa ein bemerkenswertes Comeback der Aktienmärkte. Die Zeit der «Magnificent Seven» scheint sich langsam zu den «Maleficent Seven» zu wandeln – das Momentum verschiebt sich, und Value gewinnt derzeit gegenüber Growth.
«Mit den vielen unkoordinierten Ankündigungen ist Trump politisch bereits eine ‹lame duck› geworden.»
Bei der Neuen Bank arbeiten Sie mit einem eigenen Ampelsystem, das den richtigen Zeitpunkt für den Aus- und Einstieg bei Aktien anzeigen soll. Was ist die Idee dahinter?
Unsere Anlage-Ampel basiert auf sechs zentralen Komponenten: Konjunktur, Bewertungen, Trendverhalten, Marktverfassung (Volatilität), technische Analyse sowie Elemente aus der Behavioral Finance. Jede dieser Komponenten wird unabhängig voneinander analysiert und ergibt ein Teilsignal. Die Summe dieser Einzelsignale ergibt dann die aktuelle Ampelfarbe – also den aggregierten Marktausblick. Ziel ist es nicht, kurzfristige Bewegungen zu erraten, sondern grosse Trendwenden systematisch zu erfassen, sogenannte Primärtrends. Die Stärke der Ampel liegt darin, Disziplin in den Anlageprozess zu bringen, ohne dogmatisch zu sein. Sie ist kein Orakel, sondern ein Risikokompass.
Wo steht die Ampel jetzt?
Anfang April stand sie noch auf Gelb. Das bedeutet: Wir sind investiert, geblieben, aber mit erhöhter Aufmerksamkeit. Infolge der Turbulenzen der vergangenen Tage ist sie auf Orange gewechselt. Somit reduzieren wir die Risiken, sprich die Aktienquote, noch weiter. Bereits seit Wochen haben wir die Anlagen in Aktien heruntergefahren – zugunsten von sicheren Anleihen, im Wesentlichen Staatsanleihen. Im Gespräch mit Kunden betonen wir: Die Ampel hilft uns, emotionale Überreaktionen zu vermeiden. Man steigt nicht «aus dem Bauch» aus, sondern weil Daten und Indikatoren klare Signale geben.
An welchen Märkten orientiert sich Ihr Ampel-System vor allem?
Der Fokus liegt klar auf globalen Aktien, insbesondere aus den USA, dem wichtigsten Kapitalmarkt weltweit – wenn Amerika «einen Schnupfen hat», bekommen andere eine Grippe. Viele unserer Indikatoren basieren auf US-Daten oder sind stark mit dem US-Markt korreliert. Wir analysieren sie auf täglicher, wöchentlicher oder monatlicher Basis – je nachdem, wie schnell sich die zugrunde liegenden Daten verändern. Manche laufen live, andere kommen verzögert. Wichtig ist, dass wir sie im Zusammenspiel interpretieren.
Sie sind ferner der Urheber des Champion Ethical Equity Fund. Wie gross ist dieser in etwa?
Derzeit verwaltet der Fonds rund 85 Millionen Franken. Das Volumen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen – ein deutliches Zeichen dafür, dass unser Ansatz überzeugt und das Bedürfnis nach glaubwürdigen, klimafokussierten Anlagelösungen weiter zunimmt. Das zeigt sich auch durch die Auszeichnung mit dem deutschen sowie dem österreichischen Fondspreis.
«Das Bedürfnis nach glaubwürdigen, klimafokussierten Anlagelösungen nimmt weiter zu.»
Was macht den Fonds besonders?
Seine Überperformance im Vergleich zum MSCI World! Unser Fonds kombiniert Klimaschutz mit Rendite – kein Entweder-oder. Die Ausrichtung erfolgt entlang der EU-Paris-Aligned Benchmark, wir halten strenge Ausschlusskriterien ein und verlangen ein ESG-Mindestrating von «A» gemäss MSCI. Das alles sichert die Nachhaltigkeitsqualität – und gibt gleichzeitig genügend Raum für eine überzeugende Investmentstrategie.
Wie sieht die Titelselektion konkret aus?
Der Prozess ist zweistufig. In der ersten Phase schliessen wir Unternehmen aus, die kein starkes ESG-Rating haben oder die nicht mit den EU-Vorgaben vereinbar sind – etwa aus den Bereichen fossile Energie, Rüstung, andere kontroverse Geschäftsfelder… Das heisst, alle Titel müssen der sogenannten «Do-no-significant-harm»-Logik standhalten. Ferner verlangen die Regulatoren, dass nachhaltige Fonds in Firmen investieren, die «etwas Gutes» tun («do something good»). Bei uns bedeutet das, dass die Firmen an der Reduktion ihrer CO2-Emissionen arbeiten müssen.
Wie viele Firmen überleben diesen Filter?
Global sind es zwischen 500 und 600 Titel, in die wir grundsätzlich investieren könnten. Tatsächlich enthält unser Fonds aber nur 30 Aktien.
Wie kommen Sie von den 600 auf die 30?
Durch die quantitative Selektion, für die wir ein eigenes System entwickelt haben, das wir auch jenseits der ESG-Anlagen anwenden. Darin fliessen Finanzkennzahlen, Wachstumsperspektiven, Bewertung und Momentum mit ein. Wir berücksichtigen nicht nur das klassische Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), sondern ein sogenanntes «PEG»-Verhältnis, das das erwartete Gewinnwachstum einbezieht. Besonders wichtig sind uns auch Faktoren wie Dividendenwachstum oder stabil steigende Cashflows. Unser Ziel ist nicht, mit breiten Exposure-Strukturen den Markt abzubilden, sondern die besten Kombinationen aus Nachhaltigkeit und finanzieller Qualität zu identifizieren.
Gibt es Entdeckungen bei den Titeln, auf die Sie besonders stolz sind?
Ein gutes Beispiel ist Nvidia. Seit der Lancierung des Fonds im Jahr 2017 ist die Aktie ununterbrochen im Portfolio vertreten – und hat seither mehr als 4’000 Prozent an Wert zugelegt. Natürlich mussten wir im Zeitverlauf immer wieder rebalancieren, um Gewichtungslimiten einzuhalten. Aber Nvidia steht exemplarisch für unseren Anspruch: Unternehmen zu identifizieren, die sowohl nachhaltig als auch wachstumsstark sind. Ein weiteres Beispiel ist Brambles – ein australischer Verpackungshersteller, der in puncto Ressourceneffizienz und ESG-Rating hervorragend abschneidet. Solche Titel finden bei uns genauso ihren Platz wie bekannte Namen.
«Seit der Lancierung des Fonds im Jahr 2017 ist Nvidia ununterbrochen im Portfolio vertreten.»
Wie sieht die geografische Allokation aus?
Wir sind bewusst deutlich untergewichtet in den USA – aktuell liegt unser US-Anteil unter 50 Prozent, während der MSCI World rund 70 Prozent in den USA stattfindet. Der Rest entfällt auf Europa und andere Regionen.
Und wie hoch ist der CO₂-Fussabdruck des Fonds?
Deutlich tiefer als jener des MSCI World. Wir liegen derzeit rund 85 Prozent unter dem globalen Vergleichsindex. Zudem orientieren wir uns an einem Zielwert für den «implizierten Temperaturanstieg»: Aktuell liegt unser Fonds bei rund 1,7 Grad, das Ziel sind 1,5 Grad. Zum Vergleich: Der MSCI World liegt bei etwa 2,5 Grad Celsius. Auch das ist für viele Anleger ein überzeugendes Argument.
Sind ESG-Produkte in der aktuellen Grosswetterlage überhaupt noch gefragt?
Wir spüren nach wie vor eine solide Nachfrage – sowohl von institutionellen als auch von privaten Anlegern. Natürlich stellen Investoren heute mehr Fragen, vor allem vor dem Hintergrund der politischen Debatten rund um ESG. Aber genau das begrüssen wir: Unser Ansatz ist faktenbasiert, transparent und nachvollziehbar. Wer einmal sieht, wie stark sich der CO₂-Fussabdruck mit einem durchdachten ESG-Fonds reduzieren lässt – ohne Renditeeinbussen –, erkennt schnell den Mehrwert.
Welches ist aus Ihrer Sicht die grösste Herausforderung bei der Umsetzung von ESG-Investments?
Ein zentrales Thema sind die Inkonsistenzen bei ESG-Ratings. Kundinnen und Kunden vergleichen ESG-Ratings oft mit Kreditratings – dabei basieren Letztere auf hoch standardisierten, quantitativen Modellen. ESG hingegen enthält immer auch qualitative, subjektive Elemente. Das führt zu erheblichen Abweichungen: Ein Unternehmen, das bei MSCI mit «AA» bewertet wird, kann bei einer anderen Agentur deutlich schlechter abschneiden – oder umgekehrt. Solche Unterschiede führen in der Praxis immer wieder zu Diskussionen, etwa wenn ein Kunde wissen will, warum ein bestimmter Titel im Fonds vertreten ist, obwohl dieser in einem alternativen ESG-Rating schlechter abschneidet.
Womit haben Sie sonst noch zu kämpfen?
Ein zweiter Aspekt sind die regulatorischen Reportingpflichten. Insbesondere nach der EU-Offenlegungsverordnung (SFDR) sind die Anforderungen für kleinere Institute, wie wir es sind, enorm gestiegen. Das Reporting ist aufwendig, kleinteilig und von ständiger Nachjustierung betroffen. Der bürokratische Aufwand ist hoch – und führt leider oft dazu, dass das inhaltlich Wesentliche zu kurz kommt. Wir hoffen, dass das geplante EU-Omnibuspaket hier für Erleichterung sorgt, damit wir uns wieder stärker auf das konzentrieren können, was zählt: nachhaltige Rendite mit positivem Impact.
«Wir hoffen, dass das EU-Omnibuspaket bei den Reportingpflichten für Erleichterung sorgt, damit wir uns wieder stärker auf das konzentrieren können, was zählt.»
Ein Thema, das zunehmend diskutiert wird, ist Rüstung: Kann das unter ESG-Gesichtspunkten vertretbar sein?
Wir dürfen Rüstungsaktien im Fonds gar nicht einsetzen – allein schon aufgrund der EU-Vorgaben für Artikel-9-Produkte. Und offen gesagt: Ich würde es auch nicht wollen. Meiner Meinung nach gehört Rüstung nicht in einen nachhaltigen Fonds. Natürlich ist die Debatte komplexer geworden, gerade im Licht der europäischen Sicherheitslage. Aber für unseren Fonds gilt: Waffen, fossile Energien, umstrittene Geschäftsfelder – das alles ist ausgeschlossen. Anders sieht es bei unseren Vermögensverwaltungsmandaten aus. Wenn ein Kunde ein nachhaltiges Mandat wünscht, dabei aber andere Prioritäten setzt – etwa bestimmte Ausnahmen zulassen möchte –, dann suchen wir im Rahmen eines individuellen Portfolios nach einer Lösung. Genau darin liegt ja die Stärke einer Privatbank.
In den USA gerät ESG unter politischen Druck – Stichwort «Anti-Woke»-Bewegung. Wie gehen Sie mit dieser Entwicklung um?
Ich persönlich bin davon überzeugt: Wenn wir den CO₂-Ausstoss nicht reduzieren, steuern wir auf grosse ökologische und wirtschaftliche Risiken zu. ESG-Investments sind für mich ein Instrument, um diese zu vermindern. Aber – und das ist mir wichtig – wir wollen unsere Kunden nicht bevormunden. Wir sagen nicht: So müsst ihr investieren. Sondern wir bieten an: Wer eine klare Nachhaltigkeitsstrategie sucht, bekommt bei uns ein durchdachtes Produkt mit guter Rendite. Wer andere Schwerpunkte setzen will: okay. Unser Job ist es, als Sparringpartner zu agieren, nicht als moralischer Zeigefinger.
Es ist aber schon erstaunlich, wie rasch sich der Wind in Amerika betreffend ESG gedreht hat.
Mich stört es, dass gerade einige grosse Anbieter sich plötzlich von früheren ESG-Initiativen zurückziehen, sobald der politische Gegenwind stärker wird. Das ist aus meiner Sicht opportunistisch.
Patrick Kindle ist stellvertretender Leiter Vermögensverwaltung bei der Neuen Bank in Vaduz. Er hat an der Universität Liechtenstein Banking studiert. Im Jahr 2008 hat er als Masterarbeit eine nachhaltige Anlagestrategie entwickelt, welche die Bank zunächst ihren Vermögensverwaltungskunden zugänglich machte und vor acht Jahren der Allgemeinheit in Form eines Fonds. Kindle gehört dem Nachhaltigkeits- sowie Investmentkomitee der Neuen Bank an.