Oberlin: «Ohne uns würde Bondmarkt nicht gleich gut funktionieren»
Der Fedafin-Geschäftsführer geht davon aus, dass die von Banken erstellten Ratings für Schweizer Schuldner über kurz oder lang wegfallen werden. Auch künftig will Fedafin darauf verzichten, Investoren zu beraten oder Empfehlungen auszusprechen. Adrian Oberlin ist zudem davon überzeugt, dass es im Fall GZO Spital Wetzikon bessere Optionen gegeben hätte und immer noch gibt.
Als finews.ch im August 2012 ein Interview mit dem damals frischgebackenen Geschäftsführer Adrian Oberlin führte, umfasste das Universum von Fedafin 2'400 Gemeinden und Städte, alle 26 Kantone, 150 staatsnahe Schuldner sowie 70 Schweizer Unternehmen.
Heute deckt die in Widnau domizilierte Ratingagentur neben allen Schweizer Gemeinden und Kantonen rund 300 staatsnahe Unternehmen, praktisch alle Schweizer Schuldner im Swiss Bond Index (SBI), die Benchmark für die an der SIX Swiss Exchange kotierten Frankenanleihen, sowie weitere nicht im SBI vertretene private Unternehmen ab. Zudem erstellt sie Ratings für Immobilienfonds und bietet ESG-Ratings an.
Ursprünge im Leukerbad-Debakel
Damit hat sich die Agentur, die heute 20 statt damals 9 Personen beschäftigt, hierzulande als Anbieterin von Bonitätsbewertungen etabliert und ist auch am Markt für Anleihen und Privatplazierungen zu einer festen Grösse geworden. Die Ursprünge von Fedafin reichen bis ins Jahr 1998 zurück. Damals wurde die Walliser Gemeinde Leukerbad zahlungsunfähig, und Investoren realisierten, dass Darlehen an Schweizer Gemeindeschuldner nicht per se risikolose Anlagen sind. 2002 wurde Fedafin gegründet, mit dem Anspruch, die Bonität von Gemeinden systematisch und objektiv zu bewerten.
Fedafin finanziert sich aus Gebühren: Sie werden in der Regel von den Investoren bezahlt; bei Anleihen berappen allerdings – wie bei den internationalen Ratingagenturen Standard & Poor's (S&P), Moody's und Fitch üblich – die Emittenten eine Gebühr, weil die entsprechenden Noten öffentlich sind. Die Gebühr bei Fedafin ist indes dann gleich hoch, wie wenn Investoren zahlen.
Herr Oberlin, als Sie vor über zwölf Jahren finews.ch ein Interview gewährten, hatte Fedafin gerade damit begonnen, neben dem angestammten Gebiet der Gemeindefinanzierung und anderer staatsnaher Schuldner auch Schweizer Unternehmen abzudecken. Hat sich dieser Expansionsschritt bewährt?
Ja, sehr. Insbesondere spielen unsere Ratings eine wichtige Rolle für den SBI, da die internationalen Ratingagenturen nur einen Bruchteil der Schweizer Emittenten abdecken und die von Banken erstellten Ratings immer stärker unter Druck geraten. Zudem sind mit der Bank Vontobel und Credit Suisse (CS) zwei Ratingprovider für den SBI weggefallen, weshalb Fedafin eine grosse Lücke schliesst.
Viele Schweizer Anleihenschuldner verfügen weiterhin nicht über eine Note der grossen Agenturen. Gibt es in diesem Bereich nach dem Wegfall von CS Bedarf, oder ist die Abdeckung durch die übriggebliebenen Anbieter dicht genug?
Die internationalen Ratingagenturen haben in der Schweiz keine grosse Bedeutung, was die Anzahl abgedeckter Schuldner betrifft. Grundsätzlich ist es so, dass nicht viele Argumente dafür sprechen, eine internationale Ratingagentur zu mandatieren. Einzig wenn ein Emittent für seine Bonds auf der ganzen Welt Investoren sucht, was meistens nur bei hohen Volumen nötig ist, braucht man ein Rating einer internationalen Agentur, weil dieses dann weltweit aufsichtsrechtlich verwendbar ist. In allen anderen Fällen ist man bei Fedafin gut aufgehoben. Dies gilt auch hinsichtlich des vor Ort vorhandenen Knowhows, der speditiven und direkten Abläufe sowie unserer wesentlich tieferen Gebühren.
«Mit Vontobel und Credit Suisse sind zwei Ratingprovider für den Swiss Bond Index weggefallen. Fedafin schliesst die Lücke.»
Wie wichtig ist es für Sie, dass die Fedafin-Ratings, ebenso wie diejenigen der grossen Agenturen sowie der Bonitätsabteilungen von UBS und Zürcher Kantonalbank (ZKB) für den SBI verwendet werden?
Für uns hat es eine gewisse Relevanz. Ich denke aber, dass diese aus Marktsicht sehr viel höher ist. Ohne unsere Ratings würde der inländische Bondmarkt nicht gleich gut funktionieren, insbesondere für neue Emittenten. Das Hauptproblem liegt schon seit längerer Zeit darin, dass die von Banken erstellten Ratings auf der ganzen Welt verboten wurden. Banken, die selbst Ratings erstellten, wurden gebüsst.
Aber nicht in der Schweiz, oder?
Nein, wir sind noch nicht so weit. Aber in der Tendenz ist klar, dass die von Banken erstellten Ratings über kurz oder lang wegfallen werden. Vor diesem Hintergrund und der sinkenden Anzahl Anbieter setzen wir uns seit geraumer Zeit dafür ein, dass unsere Ratings künftig auch allein – und nicht nur wie bisher gemeinsam mit einem Bankenrating – für den SBI qualifizieren, insbesondere bei neuen Emittenten oder wenn bei bestehenden Schuldnern Bankenratings wegfallen. Dies würde es allen anderen Banken ermöglichen, auch ohne UBS und die ZKB Bonds zu platzieren, was jetzt faktisch nicht möglich ist bei neuen Emittenten, die in den SBI wollen.
Obwohl Fedafin die Verhältnisse auf dem Schweizer Markt sehr gut kennt, verzichten Sie weiterhin darauf, Investoren zu beraten. Liegt hier nicht Potenzial brach?
Im Gegensatz zu allen anderen Schweizer Ratinganbietern sind wir eine reine Ratingagentur und unterstehen der Aufsicht der Finma. Unsere anerkannten Ratings qualifizieren für aufsichtsrechtliche Zwecke wie beispielsweise Eigenmittelunterlegung bei Banken oder Gebundene Vermögen und Swiss Solvency Test bei Versicherungen. Damit verbunden ist auch die Vorgabe, dass wir keine Empfehlungen abgeben und keine Beratung anbieten dürfen, damit wir vollumfänglich unabhängig und glaubwürdig sind. Beratungen und Empfehlungen haben deshalb keinen Platz bei uns.
Wenn Sie so überzeugt von Ihrem Geschäftsmodell sind – weshalb ist es denn in der Zwischenzeit nicht kopiert worden? Besteht nicht die Gefahr, dass man sich als Quasi-Monopolist, insbesondere im Gemeindebereich, auf den Lorbeeren ausruht?
Diese Gefahr besteht theoretisch. Ein weiterer Gradmesser wären die Gebühren von Monopolisten. Wir treten dem entgegen, indem wir einerseits die Gebühren seit unserer Gründung im Jahr 2002 um weniger als die Teuerung angepasst und andererseits sämtliche Ratingmodelle im Verlauf der letzten zwei Jahre komplett überarbeitet haben. Allgemein halten wir die Gebühren bewusst tief; sie liegen üblicherweise bei einem bis knapp zwei Basispunkten, also wenigen hundertstel Prozenten auf das Finanzierungsvolumen.
Weshalb so bescheiden?
Die tiefen Gebühren sind nicht ganz uneigennützig: Wir wollen bewusst ausländischen Ratingagenturen keinen Nährboden für ein Business in der Schweiz bieten. Diese Gefahr bestand in den 2010er-Jahren, als in der EU nach der Finanzkrise die nationalen Ratingagenturen gepusht wurden. Mittlerweile ist der Markt dafür aber tot, diese Agenturen verschwinden zusehends von der Bildfläche. Ein weiterer Grund für unsere Stellung sind die Auflagen, die man als Finma-regulierte Ratingagentur erfüllen muss. Unsere Ansprüche an Compliance, Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit sind enorm hoch.
«In der EU sind die internationalen Agenturen heute so mächtig wie noch nie.»
Weshalb haben die staatlich unterstützten Anstrengungen nach der Finanzkrise, ein europäisches Pendant zu den US-Ratingagenturen zu schaffen, nicht gefruchtet?
Diese Bemühungen sind vollumfänglich gescheitert, und es werden auch keine neuen Bestrebungen mehr kommen. In der EU sind die internationalen Agenturen heute so mächtig wie noch nie. Sie haben wesentlich höhere Marktanteile als vor der Finanzkrise, während die nationalen Ratingagenturen in der EU darben. Daran wird sich nichts mehr ändern. Ein Grund dafür liegt im deutschen Markt für Mittelstandsanleihen in den 2010er-Jahren. Die nationalen Ratingagenturen in der EU haben sehr viele zu hohe Ratings vergeben, so dass Emittenten mit vermeintlich guter Bonität von A– und höher reihenweise Ausfälle verzeichneten. Die Ausfallquote lag nicht bei wenigen Basispunkten, sondern bei über 50 Prozent. Dies hat dazu geführt, dass die Glaubwürdigkeit der nationalen Ratingagenturen in der EU, insbesondere im deutschsprachigen Raum, komplett wegbrach.
Noch ein Blick auf den Markt: Banken klagen darüber, dass sich ihre Refinanzierung trotz eines allgemein sinkenden Zinsniveaus deutlich verteuert hat, weil sich die Risikoaufschläge (Spreads) ausgeweitet haben. Wie sieht die Lage für die Schweizer Gemeinden aus? Gibt es Gemeinden, die Mühe bekunden, zu Geld zu kommen?
Gemäss meinem Wissenstand ist dies nicht der Fall oder bezieht sich auf ganz wenige Gemeinden mit tiefer Bonität. Dies kann aber auch einer selektiven Wahrnehmung meinerseits geschuldet sein, weil unsere Kunden in diesem Segment oftmals Finma-reguliert sind und nur in hohe Bonitäten investieren.
Und wie hat sich das Debakel um das GZO Spital Wetzikon ausgewirkt, auf Fedafin und den Markt für öffentliche Schuldner?
Zu GZO könnte man aus Ratingsicht ganze Bücher schreiben. Kurz gefasst bin ich überzeugt, dass es diverse Möglichkeiten gegeben hätte und noch immer gibt, wie man die Finanzierung und das Spital sichern kann, ohne den Gemeinden zu viele Lasten aufzubürden und unter Schadloshaltung der Gläubiger. Ein Beispiel sehen wir aktuell in Bezug auf das Spital Männedorf. Natürlich wurzelt das grundsätzliche Problem der aktuellen Spitalfinanzierung viel tiefer. Der Grundgedanke, dass sich die Spitäler selbständig am Markt finanzieren, blieb vor allem in der Westschweiz sowieso unberücksichtigt und bröckelt nun generell. Zahlreiche Spitäler, beispielsweise das Kantonsspital Aarau, griffen bereits auf Staatshilfen zurück. Mit Ausnahme des GZO wurden dabei alle Annahmen in Bezug auf staatliche Unterstützung (Support) erfüllt.
«Zu GZO könnte man aus Ratingsicht ganze Bücher schreiben.»
Und wie reagiert der Markt?
Die Auswirkungen spiegeln sich in einer erhöhten Skepsis im Markt dem Spitalsektor gegenüber, man differenziert stärker zwischen Universitäts-, Kantons- und Regionalspitälern und deren Relevanz. Die meist impliziten Garantien der öffentlichen Hand für ihre Spitäler sind aber unverändert massgebend und führen zu deutlichen Unterschieden zwischen den sogenannten Stand-alone-Ratings, also der Beurteilung ohne Support, und den eigentlichen Emittentenratings. Beides wird jeweils transparent ausgewiesen, damit Investoren sich ein klares Bild zu den Supportannahmen machen können.
Seit der Gründung ist Fedafin in Widnau im Rheintal, nahe an der Grenze zum Vorarlberg, domiziliert. War ein Umzug nie ein Thema? Oder anders gefragt: Wie konnten Sie sich der Sogwirkung des Finanzzentrums Zürich entziehen?
Wir sind gar nicht so unglücklich, dass wir unsere Unabhängigkeit auch örtlich leben. Ein Umzug war und ist deshalb kein Thema. Die einzige Herausforderung ist die Personalakquise, aber auch hier findet man Lösungen.