Die erstaunlichen Konklusionen von Hans-Werner Sinn
Wo der deutsche Ökonom auftritt, werden die Veranstalter von Besuchern überrannt. So war es auch am Donnerstag in Luzern. Sinn analysierte den Zoll-Streit und kam dabei zu einem erstaunlichen Fazit.
Die Warnung ging bereits Tage vor dem eigentlichen Anlass raus: «Thema und Referent finden grossen Zuspruch – bereits jetzt haben wir mehr Anmeldungen als Sitzplätze im Hauptsaal. Bitte erscheinen Sie deshalb, falls es Ihnen möglich ist, frühzeitig. Für alle, die keinen Platz mehr im Hörsaal 1 finden, wird der Vortrag live in den Hörsaal 9 übertragen», teilten die Verantwortlichen des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern mit.
Auf dem Programm stand am Donnerstagabend der Auftritt von Hans-Werner Sinn, Ökonom mit Starstatus. Er analysierte den Streit um die von der Regierung Trump verhängten US-Zölle und deren Auswirkungen für Europa und Deutschland im Speziellen. 500 Personen, darunter auch alt Bundesrat und SVP-Doyen Christoph Blocher, waren im Saal, über 2000 verfolgten den zweistündigen Anlass online auf Youtube.
Hier eine Übersicht über die wichtigsten Aussagen von Sinn:
USA sind nahe am Default
Für Hans-Werner Sinn steht fest: Die USA können sich solche Zölle gar nicht leisten. Die Wirtschaft befindet sich bereits im Abwärtsstrudel. Dies belegen auch die aktuellen Wirtschaftsprognosen.
Zölle widersprechen laut Sinn einer ökonomischen Logik. Wer die ausländische Konkurrenz aussen vor lasse, gefährde die nationale Wohlfahrt. «Von einem Zollkrieg profitiert niemand. Handel bedeutet Austausch: Der eine liefert, der andere bezahlt. Trump denkt und handelt wie ein Lobbyist», sagt er.
Zudem zeige sich laut Sinn immer mehr, dass die USA Schwierigkeiten bekunden, sich überhaupt finanzieren zu können, obwohl der Dollar die globale Reservewährung ist. «Die USA kommen einem Default, einer Insolvenz, gefährlich nahe. Dieses Thema ist jetzt auf dem Tisch, und nicht in erster Linie die Zölle», betonte er.
Mit den Zöllen versuchen die USA laut Sinn, das Terrain für einen impliziten oder expliziten Schuldenschnitt zu ebnen.
Trump hat Vertrauen der Märkte verspielt
Spätestens seit dem «Liberation day» zeigt es sich: Trump hat das Vertrauen der Finanzmärkte verloren. Angefangen hat dies aber bereits mit der öffentlichen Demütigung von Wolodimir Selenski: Die Märkte geben stark nach. Mittlerweile hat die Kapitalflucht begonnen – auch von amerikanischen Investoren.
Die Dollarabwertung sei das Ziel gewesen, heisst es jetzt immer wieder. Sinn mag daran nicht glauben. «Dies wird jetzt nachträglich als Rechtfertigung ins Spiel gebracht wegen des Chaos, das die Administration angerichtet hat.»
Deutschland: Glück im Unglück
1000 Milliarden Euro will Deutschland in den kommenden Jahren für Verteidigung und Infrastruktur ausgeben. Damit dies möglich ist, wurde die Schuldenbremse ausgehebelt. «Es ist schwierig, so viel Geld sinnvoll auszugeben», sagt Hans-Werner Sinn.
Allerdings könnte sich gerade der Umstand, dass die Schuldenbremse nicht mehr wirkt, als hilfreich in der aktuellen Situation mit dem Zoll-Streit erweisen. «Deutschland kann sich verschulden und Benzin und Brücken auf Pump bauen, statt zuzusehen, wie sich die Automobilproduktion Richtung USA verabschiedet», sagt er und gesteht ein, dass er es vor einem Monat für unmöglich gehalten hätte, so zu argumentieren.
Vereinigte Staaten von Europa
Europa wird bei den grossen internationalen Themen aussen vorgelassen. Bei den Friedensgesprächen rund um den Ukraine-Konflikt oder aktuell auch beim Zollstreit: Europa spielt keine Rolle. Sinn: «Russland und die USA spielen Pingpong mit Europa.»
Nur ein starkes, geeintes Europa könne den beiden Mächten Stirn bieten. Die Lösung: Europa in einer politischen Union zu vereinen. «Es ist Zeit für die Vereinigten Staaten von Europa», sagt er. Eine politische bedinge auch eine militärische Union. «Die Nachteile eines solchen Schrittes sind mir bekannt. Aber wir haben keine andere Wahl», sagt Hans-Werner Sinn.