Simon Gomez: «GenAI und die LGT werden gemeinsam wachsen»

Als Head of Data and Innovation verantwortet Simon Gomez den Einsatz von generativer Künstliche Intelligenz bei LGT Private Banking. Im Interview erläutert er deren Chancen und Grenzen, und warum der Mensch – und das Vertrauen in ihn – bei der LGT nach wie vor höchste Priorität geniesst.

Herr Gomez, hat die LGT bereits generative Künstliche Intelligenz (GenAI) im Einsatz?

Ja, seit kurzem haben alle unsere Mitarbeitenden Zugriff auf einen ausschliesslich internen, und sicheren Chatbot basierend auf ChatGPT. Wir erhalten sehr gute Rückmeldungen von den Usern.

Wofür wird GenAI eingesetzt?

Das Ziel ist ein Effizienzsprung durch die Vereinfachung unserer internen Aufgaben, etwa mit ChatGPT. Dazu teilen wir mit der GenAI im Unternehmen verteiltes, fragmentiertes, in der Organisation verstecktes Fachwissen.

Mit ihrer Sprachfertigkeit vereinfacht uns unser Chatbot die systematische Suche und Zusammenfassung von Dokumenten oder Weisungen, erstellt Transkripte von Gesprächen zur team internen Auswertung oder erste Entwürfe von Texten oder Emails. Die GenAI ist für uns ein täglich eingesetzter Co-Creator und Sparring-Partner, um einen besseren Service zu bieten.

Erreicht dieser Service auch Ihre Kunden?

Nein. Unseren Kundinnen und Kunden werden wir keine Chatbots vorsetzen. Bei einer Privatbank wie die LGT haben die persönliche Betreuung und Beratung unserer Kundinnen und Kunden absoluten Vorrang. Ich betone: Die Anwendung ist rein intern und strikt assistierend.

Warum so vorsichtig?

Wir sind GenAI gegenüber sehr aufgeschlossen. Mit der Einführung im vergangenen Sommer waren wir eine der ersten Privatbanken in Europa, die das bereits proaktiv nutzten. Aber es ist ganz klar: Die Faktoren Mensch und Vertrauen sind essentiell und können nicht durch einen Algorithmus ersetzt werden.

Warum nicht?

Technologie mag als neutral gelten, aber GenAI bringt eine Schwemme von Fake und  ungenauen News sowie einen Marketing-Hype mit sich, was Kundinnen und Kunden sowie Investorinnen und Investoren eher verunsichert.

Als Privatbank bieten wir dank unserer spezifischen Expertise eine klare Investitionsperspektive und helfen bei der Umsetzung. GenAI kann dabei allenfalls mit erhöhtem Qualitätsscreening helfen, den Unfug aus dem kommunikativen Lärm herausfiltern.

Wer ist die kritische Instanz beim Qualitätsscreening?

Am Quellenbeweis des Artikels oder einer Studie führt kein Weg vorbei. Allenfalls kann die GenAI in quantitativer Hinsicht helfen, vertrauenswürdige Quellen und Informationen vorscreenen und bearbeiten, bei der Recherche durch kommunikativen Lärm und Heissluft zu schneiden und eine reichhaltigere und bessere Entscheidungsgrundlage bereitstellen. Aber sowohl die Quellenauswahl als auch das Assessment trifft immer noch der Analyst.

Wieviel Zeit spart das, und wieviel Zeit verbringen Sie dazu mit ChatGPT?

Studien in der Bankenwelt gehen von bis zu 40 Prozent Zeiteinsparung bei Recherche, und Überblickverschaffung aus. Ich verwende das Tool mehrmals täglich. Für aufwändige Aufgaben, etwa die detaillierte Auswertung einer Umfrage braucht die GenAI drei Minuten. Mir spart das mehrere Stunden Arbeit.

Eindrücklich – wo liegen die Grenzen?

Ich darf GenAI-Resultate nie als bare Münze nehmen, sondern muss sie prüfen. Zudem gibt es stilistische und kulturelle Hürden: Manchmal kommt ein Entwurf eines Textes beispielsweise derart amerikanisiert daher, dass er für mich unbrauchbar ist.

Wird sich das in Zukunft ändern?

Meiner Meinung nach sind wir erst ganz am Anfang einer Reise, die unsere Arbeit fundamental verändern wird. Sprachführung, -steuerung und -erkennung werden immer mehr die Arbeit verändern. Der grosse Game-Changer ist, dass der Computer mittlerweile unsere Sprache spricht.

Ich muss nicht mehr die Programmiersprachen des Computers beherrschen. In Zukunft werden wir sprachgesteuert mit Anwendungen interagieren können und GenAI wird viel tiefer in die gesamte Prozesskette mit grösseren Wertschöpfungsthemen eingreifen können.

«Auf absehbare Zeit passiert nichts ohne einen Menschen «in the loop»»

Also wird der Mensch doch immer unwichtiger?

Auf absehbare Zeit passiert nichts ohne einen Menschen «in the loop». Deshalb ist in unserem AI-Team ein Compliance & Risk Officer fest integriert. Auch darf in Europa nach heutiger Rechtslage gar kein automatisierter Investment-Advice gegeben werden, ohne diesen auch erklären zu können.

Selbiges gilt für Personalentscheidungen. Sie können eine GenAI mit iterativen Tests noch so sehr optimieren – die Verantwortung liegt nach wie vor bei Kundenberaterinnen und Kundenberatern, also beim Menschen.

Also laufen Mensch und Maschine parallel, gewissermassen redundant?

Wir steuern auf eine Balance zu, in der die GenAI als maschineller Praktikant und Assistent an meiner Seite steht. Denn trotz GenAI-Hype und rekordverdächtigen Investitionen sollten wir die Lektion des Turing-Tests nicht vergessen: Eine Maschine ist dann intelligent, wenn wir nicht mehr wissen, ob wir mit einem Menschen oder einer Maschine sprechen. Davon sind wir vielleicht nicht mehr so weit weg.

Wir wollen daher proaktiv und sorgfältig entscheiden, wie und wie schnell wir diese Chance nutzen. Gleichzeitig suchen wir den Dialog mit unseren 5'000 Mitarbeitenden, nehmen ihre Fragen und Ängste zur GenAI ernst. Wir haben keine andere Wahl, als gemeinsam zu wachsen, denn die Technologie ist da und wird genutzt.