Steigende Zinsen und die Veränderungen in der US-Handelspolitik sprechen für einen neuen Umgang mit Geld, schreibt Konrad Hummler auf finews.first. Kehrt damit auch der Wettbewerb unter den Banken zurück?
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.
Ein Wunder, das geschehen muss, und zu Donald Trumps Handelspolitik gewissermassen Gevatter steht, liegt in einer Erhöhung der Sparquote der Amerikaner. Sie ist notwendige Bedingung für die Erhöhung des Anteils an Binnenproduktion, wie sie die gegenwärtige Regierung anstrebt. Und sie ist auch zwingende Folge der Erhöhung des Binnenkonsums beim Gegenpart China.
Denn wenn die Chinesen in ihrem eigenen Lande selber mehr verbrauchen, muss das auch finanziert sein, und es resultieren weniger Überschüsse aus der chinesischen Handelsbilanz, die über die Kapitalverkehrsbilanz wieder in die USA abgeführt werden können, respektive müssen. Die chinesische Notenbank wird weniger US-Treasuries erwerben. An ihre Stelle muss der amerikanische Sparer treten. Dies hat nichts mit Merkantilismus zu tun, sondern ist lediglich Ausfluss aus den unumstösslichen volkswirtschaftlichen Identitäten.
«Bei den Hypotheken stehen wir heute etwa da, wo wir im Jahr 2007 stehengeblieben waren»
Dass amerikanische Banken in der Zwischenzeit ihren Deponenten wieder Zinsen zahlen, ist bestimmt ein guter Beginn für das Eintreten dieses Wunders. Denn mit keinen oder tiefsten Zinsen, selbst wenn sie real noch positiv ausfielen, lockt man keinen Sparer hinter dem Ofen hervor. Der Weg wird lang und steinig werden, denn die Amerikaner sind sich nicht ans Sparen gewöhnt.
Seit der Finanzkrise von 2008/09 ist die Verschuldung des amerikanischen Privatsektors in den meisten Segmenten wieder auf Vorkrisenniveau angelangt oder hat sich sogar noch deutlich gesteigert, so bei den Unternehmungen, bei den Automobilkrediten und im Konsumkreditsegment. Bei den Hypotheken stehen wir heute etwa da, wo wir im Jahr 2007 stehengeblieben waren. Voraussetzung für eine höhere Sparquote ist auch eine längerfristige inflationsfreie Hochkonjunktur.
«Das ‹süsse Gift› der Verschuldung hat sämtliche Bereiche Amerikas erfasst»
Markant höhere Zinskosten würden nicht nur den amerikanischen Staatshaushalt, sondern auch die Privaten und die Unternehmungen in hohem Masse belasten. Das entspräche dann wohl einer nächsten Finanzkrise.
Das «süsse Gift» der Verschuldung hat eben sämtliche Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft in Amerika erfasst und entspricht einer beinahe kulturell gegebenen Selbstverständlichkeit. Durch die Liquiditätsschwemme im Gefolge der Finanz- und Bankenkrise konnte die sofortige Pleite verhindert werden; die sehr tiefen Zinsen haben in der Zwischenzeit wieder zu neuer Verschuldung ermuntert.
Ich prognostiziere nicht eine baldige Umkehrung der Situation – so rasch lernt man nicht sparen, denn es bedeutet Konsumverzicht. Aber sowohl die – vorsichtig – steigenden Zinsen als auch die Veränderungen in der Handelspolitik sprechen für eine neue Phase im Umgang mit Geld, und das sowohl bei Corporate als auch Private America. Inwieweit ein Umdenken auch beim hoch verschuldeten Staat stattfinden wird, ist schwer zu sagen. Ich bin skeptisch. Politik bleibt Politik; das Ausgeben nicht verdienten Geldes ist viel zu schön, als dass man, ob links oder rechts, darauf verzichten möchte.
«Auf dem alten Kontinent wurde zögerlich saniert, dafür umso enger reguliert»
Für eine Hinwendung zu vermehrtem Sparen der Privaten spricht auch, dass, ganz im Gegensatz zu Europa, die amerikanischen Banken vergleichsweise gut aus der Finanz- und Bankenkrise gefunden haben. Der Sparer kann seinen Banken wieder vertrauen. Grund dafür war gewiss das 2008 massive und rasch in die Wege geleitete «Troubled Asset Relief Program» (TARP) der damaligen Regierung Bush II, mit dem in Schieflage geratene Finanzinstitutionen rekapitalisiert wurden.
Der gesetzlich gegebene Spielraum von bis zu 700 Milliarden Dollar wurde nicht voll ausgenützt. Bei Gesamtkosten von rund 430 Milliarden resultierte bei der Devestition sogar noch ein kleiner Gewinn von etwa 15 Milliarden Dollar. Ende 2014 verkaufte die Treasury die letzten TARP-Anteile. Der Unterschied zu Europa ist frappant: Auf dem alten Kontinent wurde zögerlich saniert, dafür umso enger reguliert, und die Banken kehrten, wenn überhaupt, erst viel später in die Gewinnzone zurück.
«Noch eklatanter fällt der Vergleich bei den Gewinnen aus»
Viel spricht dafür, dass in Europa «Zombie-Banken» mit risikoarmem, dafür volkswirtschaftlich aber auch unwirksamem Bilanzgeschäft am Leben erhalten wurden, währenddem in den USA Banken vom Erdboden verschwanden, im grossen Stile zusammengelegt wurden und, neben dem massiven Aufschwung des Fintech-Sektors, sogar einzelne neue Banken entstanden.
Seit 2007 stieg laut einer Studie von EY die Bilanzsumme der zehn grössten US-Banken von rund 7’000 Milliarden auf rund 15’000 Milliarden, verdoppelte sich also beinahe, während die 2007 noch deutlich stärkeren europäischen Banken auf der Bilanzsumme von etwa 14’000 Milliarden Dollar stehen geblieben sind.
Noch eklatanter fällt der Vergleich bei den Gewinnen aus: Im Jahr 2007 erwirtschafteten die zehn grössten US-Banken knapp 40 Milliarden Gewinn, die europäischen dagegen etwa 60 Milliarden, heute sind es in den USA über 110 Milliarden, in Europa dagegen lediglich noch gut 24 Milliarden Dollar. Dank satter Gewinnsituation liegt die Eigenkapitalquote bei den US-Banken mit 7,5 Prozent deutlich höher als jene in Europa mit lediglich 5.7 Prozent.
«Dann würde das Fazit lauten: Wir sind zurück im Wettbewerb. Policy matters»
Inflationsfreie Hochkonjunktur über die nächsten Jahre: Diese zur Vermeidung grössten wirtschaftlichen und politischen Ungemachs stipulierte notwendige Bedingung setzt ein gesundes, funktionsfähiges Bankensystem voraus. In den USA wurde der dank Quantitative Easing (QE) erlangte Zeitgewinn genutzt, um die Hausaufgaben zu erledigen. In Europa erfolgte das im wesentlichen nicht.
Das zu beobachtende «Decoupling» der US-Aktienmärkte seit Mai dieses Jahres könnte seine Ursachen in noch unter Präsident Bush II eingeleiteten und durch die Regierung Obama weitergeführten und komplettierten Bankensanierung haben. Dann würde das Fazit lauten: Wir sind zurück im Wettbewerb. Policy matters.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der aktuellen «bergsicht» 33 mit dem Titel «Zurück im Wettbewerb» von Konrad Hummler. Dies ist die zweitletzte Ausgabe. Im Rahmen der letzten «bergsicht» 34 findet am 12. Dezember 2018 in Zürich im Restaurant Metropol eine Abschiedsveranstaltung statt. Hummler wird die letzte Asugabe vorstellen. Anschliessend wird er mit Kurt Aeschbacher Bilanz ziehen über sechs Jahre «bergsicht». Mehr Informationen finden Sie hier.
Konrad Hummler trat nach seinem Studium der Rechtswissenschaften in die Schweizerische Bankgesellschaft (heute UBS) ein, wo er zum Stab von Robert Holzach gehörte. Später, 1989, übernahm er mit Partnern die St. Galler Privatbank Wegelin, die in den Wirren des US-Steuerkonflikts zum Teil an die Raiffeisen-Gruppe verkauft und zum andern aufgelöst wurde. Nach dieser Zäsur erfolgte ein Neubeginn in Form der Firma M1, eines Think Tanks für strategische Zeitfragen. Heute hat Hummler verschiedene Mandate, seit kurzem auch wieder eines in der Finanzbranche: Er ist Verwaltungsratspräsident der Private Client Bank in Zürich.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Oliver Berger, Rolf Banz, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Thorsten Polleit, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Didier Saint-Georges, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Katharina Bart, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Beat Wittmann, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Peter Hody, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Ralph Ebert, Marionna Wegenstein, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Michael A. Welti, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Claudia Kraaz, Will Ballard, Michael Bornhäusser, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Michel Longhini, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul und Claude Baumann und Markus Winkler.