Künstliche Intelligenz hat das Potenzial das Banking zu revolutionieren. Einen konkreten Vorgeschmack dafür liefert ChatGPT. Müssen Bankberater nun um ihren Job fürchten?, fragt Teodoro Cocca in seinem Beitrag für finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Künstliche Intelligenz ist das Buzz-Word der Stunde, wenn es um Visionen einer von Maschinen dominierten Welt von morgen geht. Was das genau für das Banking bedeuten kann, bleibt allerdings sehr vage.

Einen ersten Vorgeschmack auf diese schöne neue Bankenwelt ist seit einigen Wochen kostenlos verfügbar. Der bisher fortschrittlichste Chatbot von OpenAI namens ChatGPT sorgt dabei für Furore: eine Software, die natürliche Gespräche mit einem virtuellen Gegenüber simuliert, aber auch unter Angabe stilistischer Vorgaben eigene Texte erstellen oder Codes programmieren kann.

Falls Sie es noch nicht gemacht haben, testen sie es mal aus. Stellen Sie der smarten Software genau die Frage, welche ihnen ein Kunde neulich gestellt hat oder welche sie selbst einem Kundenberater gestellt haben. Falls Sie unzufrieden sind mit der Antwort, haken Sie nach oder äussern Sie ihren Unmut.

«Soll man die Aktien der Credit Suisse jetzt kaufen?»

Die künstliche Intelligenz wird erstaunlich flexibel reagieren und textliche Adaptionen vornehmen. Das ist auch das wirklich Erstaunliche an der neuesten Version dieser Chat-Funktionalität. Die Interaktion zwischen Mensch und Maschine macht einen beachtlichen Sprung nach vorne. Sprachliche Schwächen wie bei heute zum Einsatz kommenden Chat-Funktionalitäten von Hotlines sind ausgemerzt.

Die generierten Texte sind geschliffener und in der Tonalität sehr viel feiner gesteuert als alles Bisherige. Der Austausch mit dem Chatbot erlaubt erstmals eine zumindest einer normalen menschlichen Kommunikation sehr ähnlichen Dialogführung.

Auf direkte Finanzfragen kann der intelligente Chatbot noch nicht antworten, da die entsprechenden aktuellen Daten nicht eingebunden sind und grundsätzlich keine Anlageberatung angeboten wird. Die Software verweist bei entsprechenden Anfragen («Soll man die Aktien der Credit Suisse jetzt kaufen?») auf die Dienste professioneller Anlageberater.

Es benötigt aber nicht viel Fantasie, um einen Blick in die Zukunft zu werfen und zu erahnen, welches Potential sich hinter dieser Technologie verbirgt. Wenn zum Beispiel eine Finanzdatenbank und das bankinterne Research einer Bank dazugeschaltet und den eigenen Bankkunden verfügbar gemacht würde, ergäben sich ganz neue Möglichkeiten im Beratungsgeschäft.

«Kundenberater machen sich zunehmend Gedanken, ob es ihren Beruf in zehn Jahren noch geben wird»

Konzeptionell kann ChatGPT als äusserst leistungsstarken digitalen Assistenten gesehen werden. Alle Beratungsleistungen, welche prinzipiell administrative Aufgaben beinhalten oder reine Wissensvermittlung darstellen, werden in Zukunft über eine solche Funktionalität mindestens so gut angeboten werden können wie durch einen Bankberater.

Aber es könnte auch noch deutlich weiter gehen. Kundenberater von Banken machen sich zunehmend Gedanken, ob es ihren Beruf in zehn oder zwanzig Jahren noch geben wird. Auch junge Menschen am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn zweifeln daran, ob Banking nicht zunehmend einem technologischen Beruf ähneln und kaum mehr menschliche Interaktion mit den Kunden zum Alltag gehören wird. ChatGPT verstärkt diese Ängste. Ist die persönliche Bankberatung also ein Berufszweig, dem das Aussterben droht?

Leistungsstarke ChatBots machen rein digitale Lösungen noch attraktiver – keine Frage. Die Interaktion mit einer intelligenten Software, welche eloquent und in Zukunft sogar mit einem gewissen Sprachwitz kommuniziert, trägt zum digitalen Kundenerlebnis bei. Es entsteht der Eindruck eines sehr personalisierten Service mit einem Quasi-Human-Touch.

«Das könnte der Vorgeschmack auf eine neue Welle von Fintech-Anbietern sein»

Betriebswirtschaftlich ergibt sich dadurch die Möglichkeit einmal produziertes Research und spezifische Anlagekompetenzen viel einfacher, intuitiver und nutzergerechter einer sehr grossen Zahl von Kunden zugänglich zu machen. Dadurch könnten rein digitale Fintech-Lösungen ihre eher transaktionsgetriebene Geschäftsmodelle den beratungszentrierten Modellen annähern und damit auch höhere Margen anpeilen.

Denkbar wären Dienstleistungspakete rund um besonders leistungsfähige Chatbots mit spezifischen Fähigkeiten (zum Beispiel eigene Trading-Strategie programmieren und testen) anzubieten und damit die Ertragsseite des digitalen Geschäftsmodells noch skalierbarer zu machen. Das könnte der Vorgeschmack auf eine neue Welle von Fintech-Anbietern sein, welche sophistiziertere Lösungen anbieten als bisher. Ob allerdings ein Massenpublikum dafür vorhanden ist, bleibt zu sehen.

Die Zahlungsbereitschaft digitaler Kunden für einen solchen KI-Service würde davon abhängen, wie tatsächlich nützlich der Zugang zu dieser geballten «Intelligenz» ist. Wenn Bankkunden den Mehrwert der Antworten des Banken-Chatbots inhaltlich nicht als besonders wertvoll erachten, wird die Zahlungsbereitschaft für eine solche Dienstleistung rapide gegen Null tendieren.

«Selbst anfänglich leistungsfähige Chatbots könnten somit schnell zu einer Commodity werden»

Es wäre schlussendlich nur eine Google-Suchfunktion mit aufgefetteter Abfrageinteraktion. Die wirtschaftlichen Vorteile solcher Chatbots in Form nachhaltig höherer Margen zu monetarisieren, stellt sich jedenfalls im Finanzbereich als sehr grosse Herausforderung dar (auf die rechtlichen Aspekte wird hier nicht eingegangen).

Selbst anfänglich leistungsfähige Chatbots könnten somit schnell zu einer Commodity werden, wenn die Vorteilhaftigkeit sich nicht in Form von (zumindest erwarteten) höheren Renditen oder sonstiger Vorteile im Anlageprozess zeigt. Viel genutzt und von den Kunden zukünftig als Service erwartet aber mittelfristig per se kein margenträchtiges Differenzierungsmerkmal.

Digitale Assistenten müssen aber nicht als Konkurrenz zum klassischen Beratungsgeschäft gesehen werden. Sie könnten sich auch als wichtige Instrumente zur Steigerung der Produktivität des Beratungsgeschäfts entpuppen. Viele administrative oder automatisierte Aufgaben können in Zukunft sowohl für den Kunden als auch für den Berater die Chatbots übernehmen.

Es bleibt damit mehr reine Beratungszeit, die der Kundenberater dem Kunden widmen kann. Zu erwarten ist in diesem Szenario, dass Chatbots sprachgesteuert auch den Weg in die Beratungszimmer oder Videokonferenzen finden und im Kundengespräch aufkommende Fragen gleich vor Ort beantwortet werden. Womit auch hervorzuheben ist, dass gerade im Finanzbereich die Frage nach den richtigen Fragen die eigentliche intellektuelle Herausforderung stellt – wozu häufig gerade der Kundenberater wesentlich beiträgt. Künstliche Intelligenz kann helfen Finanzentscheidungen in dem Sinne zu treffen, dass möglichst viele relevante Fakten einfacher verfügbar sind und nutzergerecht zusammengefasst werden.

«Diese Faktoren sind alle zutiefst psychologischer oder kognitiver Natur»

Eine Entscheidung beinhaltet aber auch immer die Wertung und Gewichtung der einzelnen Fakten sowie auch schlussendlich die Festlegung auf wahrscheinlichere Zukunftsentwicklungen. Nicht zuletzt erfolgt eine Finanzentscheidung auch immer im Kontext einer spezifische Kundensituation. Es ist auch nicht eine sterile, rein mathematische Abwägungsentscheidung, die stattfindet.

Vielfältige emotionale Aspekte sind genauso Teil einer Finanzentscheidung. Die Verknüpfung all dieser «Datenbanken» ist zumindest auf absehbare Zeit alleine durch softwarebasierte Systeme nicht realistisch.

Aus aktuellen Forschungsresultaten zeigt sich, dass die wahrgenommene Nützlichkeit und Leistungsfähigkeit, gefolgt vom Vertrauen in die Technologie am stärksten mit der Adoption von Chatbots durch Privatkunden zusammenhängen. Damit wird die erste Frage sein, ob die von intelligenten Chatbots produzierten Antworten als nützlich wahrgenommen werden und wie sehr man der Technologie vertrauen kann.

Diese Faktoren sind alle zutiefst psychologischer oder kognitiver Natur und bedeuten nicht a priori, dass eine leistungsstarke technologische Lösung auch tatsächlich als gegenüber der klassischen Beratung überlegen wahrgenommen wird. Selbst wenn sie es wäre. Im Entscheidungszeitpunkt muss sich der Bankkunde mit seiner Entscheidung wohlfühlen.

«Ich habe ChatGPT gebeten einen passenden Schluss für diesen Artikel zu verfassen»

Es geht also nicht nur um faktische Aspekte, sondern um den grösseren psychologischen Kontext einer Entscheidung – insbesondere je gewichtiger eine Finanzentscheidung, wie dies zum Beispiel im gehobenen Beratungsgeschäft des Private Banking ist. Wird eine Maschine in der Lage sein, einem Kunden diesen Wohlfühl-Aspekt zu verleihen? Das ist und bleibt eine offene Frage.

Das wahrscheinlichste Szenario dürfte sein, dass es einfach weiterhin Raum für beides geben wird: Kunden, welche eine Präferenz für selbständige und technologiegestützte Entscheidungen haben und Kunden, welche Informationen mitunter auch digital sammeln, aber erst im Gespräch mit dem Berater eine (wichtige) Entscheidung treffen wollen.

Ich habe übrigens ChatGPT gebeten einen passenden Schluss für diesen Artikel zu verfassen. Es generierte diese – erstaunlichen – Zeilen: «Also, wenn Sie sich jemals wie der allwissende Oracle von Delphi fühlen wollen, dann testen Sie ChatGPT einfach mal aus, es ist die Zukunft der Banken-Interaktion und wer weiss, vielleicht sogar die Zukunft des Bankberufs selbst. Aber keine Sorge, noch sind wir sicher weit davon entfernt, dass uns ChatGPT die Wahrsagerei beibringt.»


Teodoro D. Cocca ist seit 2006 Professor für Asset und Wealth Management an der Johannes Kepler Universität Linz. Davor war er einige Jahre bei der Citibank sowohl im Investment- als auch im Private Banking tätig, forschte an der Stern School of Business in New York und lehrte am Swiss Banking Institute in Zürich. Zudem ist der Schweizer mit italienischen Wurzeln assoziierter Professor für Private Banking am Swiss Finance Institute (SFI) in Zürich und beratend für Finanzunternehmen und Behörden im In- und Ausland tätig.


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