Das Jahr 2023 war für die Bankenbranche nichts für schwache Nerven. Eine untergehende Schweizer Grossbank, kollabierende Banken in den USA und wackelnde Immobilienportfolios prägten die Schlagzeilen. Viele Bankmanager haben sich in diesem Umfeld aber ganz gut geschlagen, wie der Schweizer Finanzprofessor Teodoro Cocca in seinem Gastbeitrag für finews.ch feststellt.
Zunächst machte in diesem Jahr das unterschiedliche Schicksal von Credit Suisse und UBS, zweier Banken, die im Wesentlichen unter praktisch gleichen Rahmenbedingungen zwei sehr unterschiedliche Wege genommen haben, weltweit Schlagzeilen.
Im Rückblick ist es ein Musterbeispiel für die Bedeutung von guten versus schlechten strategischen Entscheidungen. Das Schicksal zweier Banken, deren Hauptsitze nur durch wenige Meter Distanz im Herzen Zürichs getrennt sind, wurde nicht durch äussere Umstände besiegelt. Die Marktbedingungen und sehr ähnlichen Geschäftsfelder haben auf brutale Art und Weise die Bedeutung von Managemententscheidungen zum Vorschein bringen lassen.
In einem Crescendo an cleveren Schachzügen hat sich die UBS schlussendlich sogar als eine Art Quasi-Retter der Credit Suisse in Positionen gebracht – ein Meisterstück auf allen Ebenen (strategisch, finanziell, medial), das noch vielen BWL-Studenten und MBA-Managerschmieden als Lehrbeispiel dienen wird. Klarer kann man die Bedeutung eines strategisch lenkenden und denkenden Top-Managements für ein Unternehmen nicht darstellen.
Künstliche Mini-Intelligenz
2023 war aber auch das Jahr, in dem das Thema Künstliche Intelligenz die breite Öffentlichkeit erreichte und durch Chat-GTP für jeden erlebbar machte. Der Hype ist dabei schon jetzt an der Börse und an den Bankkonferenzen unübersehbar und wird sich noch verstärken. Wie die neue Technologie gerade auch im Banking Produktivitätsgewinne erzielen kann, wird sich noch weisen müssen – eine gewisse Skepsis scheint begründet.
Die schnelle Verbreitung einer neuen Technologie bedeutet nicht gleichzeitig die Schaffung von Mehrwert oder die Erzielung eines USP gegenüber der Konkurrenz. Gerne wird das miteinander verwechselt. Zunächst wird auch diese Entwicklung die IT-Investitionsbudgets eher belasten und man wird sich in den Strategieabteilungen der Banken die Köpfe darüber zerbrechen, wie KI sinnvoll im Banking eingesetzt werden kann.
Solange das Erkennen von Ampeln auf einem Bild den Unterschied zwischen Mensch und Maschine dokumentieren soll (CAPTCHA-Bilder), steht die Machtübernahme durch eine zentrale digitale Intelligenz wohl nicht unmittelbar bevor.
Trendthemen kommen und gehen
Gleichzeitig ist das letztjährige Hype-Thema «Metaverse» praktisch verschwunden und der Begriff der «Digitalisierung» wirkt auch inzwischen schon wieder etwas verstaubt. Ausser im Zahlungsverkehr und im Retailbanking ist der Erfolg im Sinne von wesentlichen Effizienzgewinnen der getätigten Digitalisierungsinvestitionen auch eher bescheiden geblieben.
Klar, muss man den Ansprüchen digitaler Kunden genügen und mit der Zeit gehen. Ein Game-Changer war die Digitalisierungswelle, aber im Rückblick eigentlich nicht. Mit ganzen wenigen Ausnahmen haben es rein digitale Bankenmodelle maximal zu einer Nischenpositionierung gebracht.
Kryptobeben bestätigt skeptische Banker
Die mit dem Anspruch gleich die gesamte Finanzwelt zu ersetzen gestartete Kryptowelt wurde 2023 auf den Boden der Realität zurückgeholt. Viele besonders extravagante Projekte stellten sich als virtuelle Luftschlösser heraus und die These, Vertrauen durch technische Lösungen zu substituieren, war vor allem Nährboden für allerlei Missbrauch. Die Skepsis vieler Banker gegenüber der Kryptowelt hat sich als berechtigt erwiesen.
Für das Bankmanagement zeigt sich, wie schwer es ist, in einem derart dynamischen Technologie-Umfeld zu navigieren und dabei wiederum die richtigen Investitionsentscheidungen zu treffen und auch dezidiert «Nein» zu trendigen Visionen zu sagen.
Nicht alle bei Benko dabei
Dieser Tage mahnt auch der Fall rund um Immobilien-Tycoon René Benko zur Demut. Selbst (oder gerade?) im semi-institutionellen Kundensegment der UHNWI bestätigt sich die Gefahr, dass Gremien sich von bekannten Namen, der Aussicht auf bedeutende Neugelder oder saftigen Zinserträgen blenden lassen.
Geht es um die Genehmigung von Geschäften mit derlei Top-Kunden ist das Zusammenspiel zwischen Risiko- und Compliance-Abteilung sowie der Front und dem Top-Management häufig konfliktär. Über die rein formelle Dokumentenprüfung hinaus ist das Urteilsvermögen, das sich aus Erfahrung und einer gesunden Skepsis nährt, entscheidend. Nicht alle liessen sich von Benko blenden. Viele Banker haben dieser Versuchung erfolgreich wiederstehen können.
Jahr der vielen guten Entscheidungen
Blickt man hinter die Schlagzeilen und dem Technologie-Hype hat 2023 somit einmal mehr gezeigt, wie wichtig der Faktor Mensch im Banking ist. Strategisch durchdachte, mit ruhiger Hand vorbereitete Managemententscheidungen, manchmal auch gegen den Trend, machen weniger Schlagzeilen und sind doch häufig bedeutungsvoller.
2023 kann also auch als Jahr der vielen guten Entscheidungen von vielen Bank-Managern und Bank-Verwaltungsräten gesehen werden. Gratulation allen, die sich gerade angesprochen fühlen! Jetzt aber nicht überschwänglich werden.
Teodoro D. Cocca ist seit 2006 Professor für Asset und Wealth Management an der Johannes Kepler Universität Linz. Davor war er einige Jahre bei der Citibank sowohl im Investment- als auch im Private Banking tätig, forschte an der Stern School of Business in New York und lehrte am Swiss Banking Institute in Zürich. Zudem ist der Schweizer mit italienischen Wurzeln assoziierter Professor für Private Banking am Swiss Finance Institute (SFI) in Zürich und beratend für Finanzunternehmen und Behörden im In- und Ausland tätig.