Der Grundstein des Untergangs vieler Unternehmen wird, wie es die Strategieliteratur zeigt, im Moment des grössten Erfolgs gelegt. Aus dem tiefen Fall der einst so erfolgreichen Credit Suisse liessen sich grundlegende Lehren für jeden Bankmanager ableiten, schreibt Teodoro Cocca in seinem Beitrag für finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Wie damals die UBS, hat auch die Credit Suisse (CS) den Grundstein für ihren Beinahe-Kollaps in einer Phase gelegt, in der es der Bank scheinbar besonders gut ging. So hat die UBS im Geschäftsjahr 2006, dem besten in ihrer Unternehmensgeschichte, die Risiken in ihrer Bilanz nochmals kräftig hochgefahren. Dies entpuppte sich kurz darauf als fatale Fehleinschätzung, die in einer Phase des Übermuts und der Überambition entstand.

Im Vergleich zur darauffolgenden Katharsis, welche die UBS durchzustehen hatte, schien das Management der CS vor und nach der Finanzkrise von 2007/08 vieles richtig gemacht zu haben. Gestärkt durch ihre damalige Position als führende Bank in der Schweiz, sah sich die CS auch nicht dazu veranlasst, ihre Strategie dezidiert anzupassen. Die Geschäfte liefen sehr gut, Probleme hatten die anderen.

«Verfalle also als erfolgreicher Manager nicht in Selbstzufriedenheit!»

In dieser Phase machte die CS ihren letzten grossen, strategischen Fehler, indem der europäische Trend zu einer deutlichen Reduktion der Kapitalintensität des eigenen Investmentbanking nicht richtig eingeschätzt wurde. Warum dies nicht geschah, fusste psychologisch auf der von Hochmut getriebenen Überzeugung der obersten Gremien der Bank, eine solche strategische Anpassung nicht notwendig zu haben.

Die ständig lauernde Gefahr der Selbstüberschätzung lehrt allen Bankern, dass vermeintlicher, aktueller Erfolg noch lange kein Grund dafür ist, seine Strategie nicht ständig zu hinterfragen. Je grösser dabei der aktuelle Erfolgt ist, desto grösser ist paradoxerweise auch die Gefahr der strategischen Blindheit. Der Grundstein des Untergangs vieler Unternehmen (auch in anderen Branchen) wurde, wie die Strategieliteratur zeigt, im Moment des grössten Erfolges gelegt. Verfalle also als erfolgreicher Manager nicht in Selbstzufriedenheit, sondern strebe stets nach kritischer Reflexion des eigenen Tuns.

Eine Fehleranalyse, welche im Falle von grossen Verlusten oder Abschreibungen durchgeführt wird, gehört zum üblichen Vorgehen. Gerade wenn eine Bank mehrere, grosse Verluste innerhalb kurzer Zeit verdauen muss, wird sich das Top-Management und vor allem der Verwaltungsrat mit der Frage auseinandersetzen, ob dies tatsächlich «nur» Einzelereignisse sind oder ob es eine systemische und damit strategische Komponente gibt.

«Der Verwaltungsrat hätte die zutiefst strategische Natur dieser Verluste erkennen müssen»

Die CS beharrte nach dem Auftreten der jüngsten Verluste und vieler Rechtsstreitigkeiten auf der Stärkung ihrer Risikokultur – dies wurde als übergeordnete Ursache für die Verluste identifiziert. Per se ist darin sicherlich nichts Falsches zu sehen. Aber dieser enorme Fokus auf die Risikokultur entlarvt bei tieferer Betrachtung die Sichtweise, dass es eben doch nur einzelne Fälle waren, bei denen risikobewusstere Mitarbeiter anders gehandelt hätten.

Das stimmt natürlich in einem operativen Sinne, verschiebt aber die Fehlerursache hierarchisch implizit nach unten anstatt nach oben, weil es die strategische Dimension – absichtlich oder nicht – ausser Acht lässt. Wenn eine Bank einzelne Risikopositionen eingeht, welche in gefährlicher Relation zur Höhe des Eigenkapitals stehen, dann stellt sich die Frage, ob die Bank in den richtigen Geschäftsfeldern unterwegs ist – das ist eine ganz klar strategische Frage.

Insbesondere der Verwaltungsrat hätte die zutiefst strategische Natur dieser Verluste erkennen müssen. Verluste oder Misserfolge müssen schonungslos zu den richtigen, strategischen Fragen führen – das ist daraus zu lernen.

«Die fehlende Orientierung am Shareholder-Value der alten Struktur wird auch an der New Credit Suisse sichtbar»

Das führt zur nächsten zentralen Führungsfrage: In wessen Dienst ist die Strategie zu setzen, wenn verschiedene Sparten oder Geschäftseinheiten gleichwertig nebeneinander geführt werden? In einer klassischen Grossbank, welche typischerweise als Universalbank mit vielen verschiedenen Geschäftseinheiten geführt wird, stellt sich diese Frage in besonderem Masse. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, wie es dem Investment Banking immer wieder gut gelingt, den eigenen wertmehrenden wie auch unerlässlichen Beitrag bei der Bedienung von Grosskunden hochzureden.

Bei der Wertmehrung für die eigenen Kapitelgeber (Aktionäre) wird es dagegen aber für gewöhnlich sehr still. So scheint das Investmentbanking für sich alleine stehend ein wichtiges und hoch angesehenes Geschäftsfeld zu sein, jedoch kaum für die anderen Bankeinheiten. Es gehört aber zur modernen Management-Praxis, die Fragen nach Synergieeffekten zwischen verschiedenen Einheiten vertieft zu stellen und gegebenenfalls auch zu messen. Wenn all dies nicht hilft, dann kann auf das altbewährte Konzept des Shareholder-Value zurückgegriffen werden: Wer schafft einen langfristigen Wert für die Aktionäre.

Eine tatsächlich auf den Shareholder-Value ausgerichtete CS hätte schon lange eine ganz andere Geschäftsstruktur aufgewiesen. Dies gilt allerdings auch für ganz viele andere Banken. Im Übrigen wird die fehlende Orientierung am Shareholder-Value der alten Struktur auch an der «New Credit Suisse» sichtbar: Die nun reifende Aussicht auf eine verselbstständigte Investmentbanking-Einheit wird von den Aktionären und anderen Geschäftseinheiten eher achselzuckend und mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis genommen.

«Man hätte alles davon viel früher und aus einer Position der Stärke machen können»

Keine Rede mehr von wegfallenden Synergien bei der Bedienung von Grosskunden. Ein spätes, enttarnendes Geständnis der Investmentbanker – sie sind und waren immer eine sehr selbständige Bank in der Bank. Dass gerade die Investmentbanker, die missionarischen Prediger des Shareholder-Values, die Steuerung der Bank nach diesem Prinzip untergraben haben, ist ein sündhafter Verrat an den «biblischen» Grundsätzen der Investmentwelt.

Die strategischen Schritte, welche die CS am 27. Oktober 2022 angekündigt hat, sind eine regelrechte Offenbarung der eigenen Verfehlungen. All die nun nach intensivem und monatelangem Ringen entwickelten Pläne haben eines gemeinsam: Man hätte alles davon viel früher und aus einer Position der Stärke machen können. Zu einem früheren Zeitpunkt sehr wahrscheinlich sogar mit einem echten Mehrwert für die Aktionäre. Aber erst unter extremem Druck hat sich die Bank zu den Massnahmen durchringen können, die strategisch eigentlich schon lange vorher gefordert wurden.

Hier kann aus Managementsicht für jeden Banker das Gedankenexperiment lohnend sein, sich in einer Krisensituation zu überlegen, was ultimativ notwendig werden würde, wenn eine Situation komplett eskaliert. Dies kann zur Erkenntnis verhelfen, welche unvermeidbare Entscheidungen früh und damit zumindest noch aus einer relativen Position der Stärke zu tätigen sind. Der Druck wurde offensichtlich in dem Moment unerträglich gross, als das internationale Private Banking und das Schweizer Geschäft in den Reputationsstrudel mithineingerissen wurden und sich konkret bedroht sahen.

«Die aktuelle Lage der Credit Suisse ist ein Sanierungsfall»

Ein Unternehmen nach einem Prinzip zu strukturieren, so dass nicht notwendige Geschäftseinheiten das Kerngeschäft bedrohen, entspricht der Missachtung einfacher, strategischer Grundsätze. Es scheint eine Trivialität zu sein, aber interessanterweise haben sich beide Schweizer Grossbanken genau durch die Missachtung solcher Trivialitäten in extreme Notlagen gebracht: In beiden Fällen waren es Verluste in nicht Kerngeschäften, welche die Bank ins Strudeln brachten.

Vor allem bei der CS ist zudem die Zeitdimension besonders hervorzuheben. Ein langes, mehr oder weniger tatenloses Zusehen, wie die Bank in immer grössere Schieflage schlittert, prägte die Ereignisse der vergangenen Jahre. Je länger beim gerade so sensiblen Bankgeschäft der Niedergang dauert, desto mehr verliert das Management die Handlungsfähigkeit. So ist die aktuelle Lage der CS schonungslos als das zu bezeichnen, was sie heute ist: ein Sanierungsfall. Die Kapitalerhöhung unter dermassen ungünstigen Bedingungen ist der Preis für den Verlust der unternehmerischen Handlungsfähigkeit.

Die wohl wichtigste Lehre für alle Bankmanager mit Führungsverantwortung ist diejenige, dass der Sanierungsfall CS nicht einfach durch äussere, unglückliche Umstände entstanden ist, die unerwartet und plötzlich über das Unternehmen hereingebrochen sind. Nein, es ist ganz genau das Gegenteil: Eine sich über einen längeren Zeitraum erstreckende Serie von negativen Ereignissen, aus denen immer wieder falsche oder zumindest nicht die wesentlichen Konklusionen gezogen wurden. Mit anderen Worten: eine Serie von Managementfehlern auf Geschäftsleitungsebene und strategischen Fehlbewertungen des Verwaltungsrates.

«Das ist die essenziellste Lehre, die jeder Banker aus dem CS-Fall mitnehmen sollte»

Das ist in einer Leseart bedrohlich, weil die Ereignisse rund um die CS jedes Unternehmen und alle seine Entscheidungsträger ereilen kann. In einer anderen Leseart ist es aber auch beruhigend, die Management-Fehler zu erkennen, denn es zeigt spiegelbildlich auf, dass die Bank heute ganz anders dastehen könnte, wenn wichtige Entscheidungen früher oder anders getroffen worden wären.

Das ist die essenziellste Lehre, die jeder Banker aus dem CS-Fall mitnehmen sollte. Manager mit Führungsverantwortung können sehr viel bewegen, wenn sie ihre Aufgaben an anerkannten Führungsprinzipien ausrichten und in schwierigen Momenten umsichtig, mutig und konsequent agieren. Das ist ja nicht zuletzt die «Raison d'étre» des Managers, der wahre sinnstiftende Treiber seiner Berufswahl.


Teodoro D. Cocca ist seit 2006 Professor für Asset und Wealth Management an der Johannes Kepler Universität Linz. Davor war er einige Jahre bei der Citibank sowohl im Investment- als auch im Private Banking tätig, forschte an der Stern School of Business in New York und lehrte am Swiss Banking Institute in Zürich. Zudem ist der Schweizer mit italienischen Wurzeln assoziierter Professor für Private Banking am Swiss Finance Institute (SFI) in Zürich und beratend für Finanzunternehmen und Behörden im In- und Ausland tätig.


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