Eine Mitte-Rechts-Koalition wird höchstwahrscheinlich die nächsten Wahlen in Italien gewinnen. Doch die Dynamik, die von diesem Verbund ausgeht, könnte einen unerwarteten Verlauf nehmen», schreibt Claude Baumann in seinem Beitrag für finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Die Umfragen lassen keinen Zweifel zu: Eine Mitte-Rechts-Koalition wird die italienischen Wahlen vom 25. September 2022 gewinnen. Die jüngsten Erhebungen, die das Marktforschungsinstitut Ipsos für den «Corriere della Sera» durchgeführt hat, sehen die konservative Koalition bei 46,6 Prozent gegenüber 27,2 Prozent für die linke Mitte.

Dabei ist davon auszugehen, dass die rechtskonservative Partei der Fratelli d'Italia (FdI) 25,1 Prozent der Stimmen holen wird, während die Lega 12,5 Prozent und Forza Italia 8 Prozent an Stimmen holen werden. Normalerweise sind solche Prozentsätze ein Garant für Regierbarkeit und Stabilität – zwei Eigenschaften, die besonders auch die Finanzmärkte schätzen.

Doch die Dynamik, die von dieser künftigen Koalition ausgehen wird, könnte auch einen unerwarteten Verlauf nehmen. Denn die drei Mitte-Rechts-Parteien sind sehr unterschiedlich zu diesen Wahlen gekommen.

«Es handelt sich um eine harte, aber korrekte Opposition»

Den geradlinigsten Weg schlug Giorgia Meloni, die Vorsitzende der FdI, ein, die ganz klar in Opposition zur bisherigen Regierung um Mario Draghi ging. Dabei handelt es sich um eine harte, aber korrekte Opposition, die so weit geht, dass Draghi und Meloni einen Dialog zu führen begannen. Das wiederum kann als ein Zeichen gegenseitigen Respekts gedeutet werden.

Matteo Salvini, Parteisekretär der Lega, sowie Silvio Berlusconi, Gründer von Forza Italia, hingegen nutzten die von der Fünf-Sterne-Bewegung ausgelöste Krise, um den Sturz von Draghis Regierung zu beschleunigen. Berlusconis Plan war, die Verhandlungen zwischen Maria Stella Gelmini, derzeit Ministerin in Draghis Regierung, und Carlo Calenda, Gründer und Vorsitzender der Partei Azione, zu blockieren, um die gemässigteren Kräfte der FI in die Aktionspartei einzubinden – was auch geschah. Salvini wiederum wollte die Ambitionen der gemässigteren Politiker der Lega um Minister Giancarlo Giorgetti, die eine neue, liberalere Ära einleiten wollten, ganz einfach unterdrücken.

«Ein historisches Problem der italienischen Rechten ist ihr Mangel an anerkannten Persönlichkeiten»

Vor diesem Hintergrund werden Berlusconi und Salvini versucht sein, ihre Regierungserfahrung zu nutzen, um ihre Popularität zu steigern, während Meloni ihre aufkeimenden Ambitionen als politische Allround-Führungskraft ausspielen will. Insofern ist es kaum ein Zufall, dass Meloni der EU beruhigende Botschaften über eine künftige Mässigung bei den öffentlichen Ausgaben zusendet, während ihre Verbündeten nur von einer Verschlechterung des Staatsetats sprechen.

Ein historisches Problem der italienischen Rechten ist ihr Mangel an anerkannten Persönlichkeiten. Tatsächlich ist es kein Geheimnis, dass Meloni verzweifelt versucht, glaubwürdige Kandidaten aus den Reihen der Zivilgesellschaft zu rekrutieren. Doch die Schwäche dieser Kandidaten ist, dass sie keine Politiker sind. Dies macht Meloni im Fall einer internen Krise höchst anfällig.

Kritiker der FdI beschuldigen die Partei, von neofaschistischen Sympathisanten durchdrungen zu sein. Sicher ist, dass Meloni nie einen Weg gesucht hat, wie ihn Gianfranco Fini 1995 beschritt, als er die Alleanza Nazionale gründete, mit der er sich dem Kapitalismus, dem Atlantischen Bündnis und damit der EU zuwandte und alle Verbindungen zum Faschismus kappte.

«Ganz zu schweigen von den starken pro-russischen Neigungen Salvinis und Berlusconis»

Meloni hat rechtsextreme Kräfte ausserhalb ihrer Partei nie eindeutig verurteilt, und die Befürchtung, dass derlei Liaisons zu künftigen Peinlichkeiten führen könnten, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Ganz zu schweigen von den starken pro-russischen Neigungen Salvinis und Berlusconis, was unweigerlich zu Problemen führen wird.

Eine längere Periode mit hoher Inflation, hohen Zinsen und geringem Wachstum dürfte für einen hoch verschuldeten Staat wie Italien fatal werden. Draghi hat immer betont, dass es wichtig sei, das Bruttoinlandprodukt (BIP) zu steigern, um das Verhältnis zwischen Schulden und BIP akzeptabel zu machen. Sollte es der Draghi-Regierung noch gelingen, die Durchführungsdekrete für den ersten Teil ihres nationalen Reformprogramms zu verabschieden, wird die künftige Regierung der Versuchung widerstehen müssen, eine zu sehr auf Wohlstand ausgerichtete Politik zu betreiben, um die drohende Energiekrise zu bewältigen.

Wenn es den FdI gelingt, die von ihnen angestrebte Politik der Wiederbelebung der Infrastrukturen umzusetzen und Italien dank der Gaspipelines aus Nordafrika zu einer Energiedrehscheibe im Mittelmeerraum zu machen, könnte das italienische BIP tatsächlich genügend zulegen, so dass die Schulden tragbar würden.

«Europa kann sich heute eine Wiederholung der Griechenland-Krise nicht leisten»

Darüber hinaus wird die neue Regierung – wie andere Länder Europas auch – angesichts der massiv gestiegenen Rohstoffpreise eine Anpassung des Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza fordern. Dabei handelt es sich um den nationalen Plan für Aufbau und Resilienz, der darauf abzielt, die wirtschaftlichen und sozialen Schäden der Coronakrise in Italien abzufedern. Der Plan beinhaltet Investitionen und Reformen in verschiedenen Bereichen.

Der Lackmustest für die künftige Regierung wird der Spread zwischen italienischen und den deutschen Staatsanleihen (Btp respektive Bund) sein. Sofern dieser Spread dauerhaft in Richtung 450-500 Basispunkte ansteigt, wird dies der Todesstoss sein. Denn Europa kann sich heute eine Wiederholung der Griechenland-Krise nicht leisten – geschweige denn die Krise eines Schwergewichts wie Italien.

Carlo Calenda von der Partei Azione, die in der Rolle des «dritten Pols» in Italien kandidiert, lancierte bereits die Idee einer weiteren Koalitions-Regierung. Vorläufig scheint sein Plan aber erst Wunschdenken einer Partei zu sein, die derzeit im Rennen nicht vorne mithält. Doch im Fall eines Scheiterns der Mitte-Rechts-Regierung könnte eine Koalitions-Alternative die beste Medizin für Italien werden.

Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit dem italienischen Publizisten Giuseppe Wrzy entstanden.


Claude Baumann ist Gründer und CEO von finews.ch sowie von finews.asia in Singapur und finewsticino.ch im Tessin. Er arbeitete zuvor als Wirtschaftsredaktor für «Die Weltwoche» und «Finanz und Wirtschaft». Er war ebenfalls Mitgründer des Literaturverlags Nagel & Kimche und lancierte das Geschäftsreisemagazin «Arrivals». Darüber hinaus hat er mehrere Bücher über die Finanzbranche publiziert, zuletzt eine Biographie über Robert Holzach.


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