Als erstes Element der verschärften TBTF-Regeln behandelt das Parlament die staatliche Liquiditätssicherung (PLB). Im Interview mit finews.ch nimmt Ökonom Dirk Niepelt Stellung zu brisanten Punkten in der Vorlage wie der Finanzierung. Er plädiert dabei für eine Gesamtsicht der impliziten Subventionierung von systemrelevanten Banken und ein kohärentes Paket von Ausgleichsmassnahmen.

Es war ein Versäumnis, das auch im PUK-Bericht zum Fall Credit Suisse (CS) harsch kritisiert worden war: Erst im März 2022 beschloss der Bundesrat, eine staatliche Liquiditätssicherung (Public Liquidity Backstop, PLB) gesetzlich zu verankern, und bis Mitte 2023 eine Vernehmlassungsvorlage dazu auszuarbeiten. Zu spät: Als die CS im März 2023 solche Mittel benötigte, weil sie sonst zahlungsunfähig geworden wäre, musste der Bundesrat zu Notrecht greifen.

Der PLB greift dann, wenn die Möglichkeiten einer Zentralbank, einer Bank ausserordentliche Liquiditätshilfe gegen Sicherheiten (Collateral) zu gewähren, ausgeschöpft sind. Nach wie vor stellt die Zentralbank die Mittel der Bank zur Verfügung. Kann die Bank den Kredit später nicht selber zurückzahlen, springt aber der Staat mit einer Garantie ein.

PLB als Ergänzung zum TBFT-Werkzeugkasten

Das Instrument, das auch andere Länder in den Werkzeugkasten aufgenommen haben, ist als Ergänzung zum nach der Finanzkrise 2008 erarbeiteten Regelwerk zur Lösung des Problems von systemrelevanten Banken zu verstehen – wofür auch die Bezeichnung Too-big-to-fail-Konzept (TBTF) gängig ist.

Demnächst will die Kommission für Abgaben und Abgaben (WAK) des Ständerats die Beratungen über die PLB-Vorlage wieder aufnehmen. Vor diesem Hintergrund haben die Professoren Cyril Monnet und Dirk Niepelt sowie der Doktorand Remo Taudien ein Diskussionspapier verfasst, das am Dienstag veröffentlicht wurde. Es beleuchtet die Chancen und Risiken eines PLB und quantifiziert die mit seiner Einführung verbundenen Finanzierungsvorteile und impliziten Subventionen für systemrelevante Banken.

Niepelt ist wie Monnet Wirtschaftsprofessor in Bern und hat u.a. von 2010 bis 2022 das Studienzentrum der Schweizerischen Nationalbank (SNB) in Gerzensee geleitet. finews.ch hat das Diskussionspapier gelesen und ihn mit kritischen Fragen konfrontiert.

Herr Niepelt, im ursprünglichen TBTF-Konzept war das Instrument eines PLB gar nicht vorgesehen. Es galt einfach der Grundsatz: Liquidität der Zentralbank nur gegen entsprechende Sicherheit (Collateral) Weshalb braucht es den PLB überhaupt?

Wenn eine Bank den Point of Non Viability (Anm. finews.ch: PONV, d.h. der Zeitpunkt, ab dem eine Bank sich nicht mehr aus eigener Kraft stabilisieren kann und somit eine Insolvenz droht) erreicht hat und man sie geordnet abwickeln will, bedarf es einer genügenden Liquiditätsausstattung. Die hat eine kriselnde Bank an diesem Punkt aber oft nicht mehr. Daher muss die SNB Liquidität bereitstellen, wenn sie einer geordneten Abwicklung nicht im Weg stehen will. Mit dem PLB (oder Notrecht mit demselben Effekt) wird das Ausfallrisiko, das mit der Liquiditätshilfe verbunden ist, von den Eignern der SNB (Bund und Kantonen) allein auf den Bund übertragen.

«Zentral ist, wie Fehlanreize bei Aktionären und Management im Vorfeld vermieden werden können, damit es gar nicht erst zu einer Krise kommt. Dies geht nur, wenn die Entscheidungsträger im Vorfeld finanzielle Konsequenzen für ihre Entscheide tragen müssen.»

Sie sprechen sich gegen eine Bepreisung der Liquiditätshilfe zum Zeitpunkt der Ausrichtung aus, weil dies «die Anreize von Aktionären und Management im Vorfeld einer Krise nur begrenzt beeinflusst». Bei der herkömmlichen ausserordentlichen Liquiditätshilfe erhebt die Zentralbank aber doch auch einen «Strafzins», was seit Walter Bagehot und damit seit dem 19. Jahrhundert breit akzeptiert ist. Weshalb machen Sie einen Unterschied?

Der Zins und die Risikoprämie, welche die SNB und der Bund für die Liquiditätshilfe und die Garantie verlangen, bestimmt, ob der Staat aufgrund der Liquiditätshilfe (im Durchschnitt) Verluste macht. Bei einem hohen Zins und einer hohen Risikoprämie ist dies weniger wahrscheinlich. Zentral ist jedoch etwas anderes, nämlich wie Fehlanreize bei Aktionären und Management im Vorfeld vermieden werden können, damit es gar nicht erst zu einer Krise kommt. Dies geht nur, wenn die Entscheidungsträger im Vorfeld finanzielle Konsequenzen für ihre Entscheide tragen müssen. Das tun sie dann, wenn die künstliche Verbilligung des Fremdkapitals korrigiert wird. Ein hoher Zins und eine hohe Risikoprämie für die Liquiditätshilfe zum Zeitpunkt der Krise können dies nicht leisten. Denn sie haben für die heutigen Aktionären keine Konsequenzen, schliesslich sind deren Aktien am PONV ohnehin wertlos.

In der Vorlage, die vom Bundesrat dem Parlament übermittelt worden ist, ist eine Versicherungsprämie als Ausgleich für die Option PLB vorgesehen. Damit orientiert sich der Bundesrat an ausländischen Vorbildern. Sie plädieren dagegen für einen ziemlich ambitionierten Ansatz, nämlich für eine Gesamtsicht der impliziten Subventionierung. Diese würde dann die Basis bilden, um Ausgleichsmassnahmen wie Gebühren, Lenkungssteuern aber auch schärfere Eigenkapitalvorschriften oder andere Instrumente koordiniert einzuführen. Ist Ihr Ansatz angesichts der politischen Realitäten nicht illusorisch, u.a. weil zu komplex?

Warum sollten sich die politischen Entscheidungsträger gegen eine Gesamtsicht sträuben? Sie ist einfacher und sinnvoller als die Summe vieler Einzelbetrachtungen.

«Staat und Private müssen sich angesichts der Risiken, die mit der Präsenz von Grossbanken verbunden sind, auf Worst-Case-Szenarien vorbereiten und dazu Puffer aufbauen.»

Berücksichtigen Sie eigentlich, dass die Existenz von systemrelevanten Banken auch volkswirtschaftlichen Nutzen für die Schweiz stiften kann?

Ja. Das tun Banken natürlich, und zwar in grossem Umfang. Alle aktiven Firmen stiften mit ihren verkauften Produkten Nutzen. Das heisst aber nicht, dass man sie subventionieren sollte. Es geht um das Verursacherprinzip. Ein Bäcker muss sein Mehl etc. voll bezahlen. Er bleibt im Geschäft, wenn sein Brot Mehrwert generiert. Das sollte bei allen Firmen so sein. Eine Grossbank trägt gemäss unseren Schätzungen derzeit nicht die vollen Finanzierungskosten. Das führt dazu, dass sie Entscheide trifft, die gesellschaftlich schädlich sind und Ressourcen vernichten.

Sie plädieren dafür, dass Staat und Privatsektor vorsorglich Puffer aufbauen sollten, um mit systemrelevanten Banken verbundene Krisen besser bewältigen zu können. Etwas überraschend halten Sie dabei fest: «Es gibt keinen Grund, warum systemrelevante Banken den Aufbau solcher Puffer finanzieren sollten.» Warum nicht? Gibt es hier kein Anreizproblem wie beim PLB oder anderen Formen der impliziten Subventionierung?

Man muss unterscheiden zwischen Effizienz und Verteilung. Effizienz erfordert, dass Grossbanken keine Ressourcen verschwenden. Dies leistet z.B. die «Versicherungsprämie» für implizit oder explizit in Aussicht gestellte Liquiditätshilfen, sofern diese Prämie nicht pauschal erhoben wird, sondern sich nach der Struktur der Passiven der Bank bemisst. Denn dann beeinflusst die Prämie das Entscheidungsverhalten. Alternativ können auch direkte Vorgaben zur Bilanzstruktur, z.B. Eigenkapitalvorgaben, dazu beitragen. Effizienz erfordert auch, dass sich Staat und Private angesichts der Risiken, die mit der Präsenz von Grossbanken verbunden sind, auf Worst-Case-Szenarien vorbereiten und dazu Puffer aufbauen. Ein völlig anderer Punkt betrifft die Verteilung der Lasten zwischen Steuerzahlern und Bankeigentümern. Das ist eine Frage der Fairness, nicht der Effizienz.