Die Modebranche produziert nach der Ölindustrie das zweitgrösste Volumen an Umweltverschmutzung. Die Welt des schönen Scheins, eine Umweltsünderin? Das fragt sich Karin M. Klossek auf finews.first.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.
Guram Gvasalia, der 2014 mit seinem Bruder das Modelabel Vetements gründete und gleichzeitig als Creative Director für Balenciaga arbeitet, nannte in einem Interview mit der «Financial Times» erstaunliche Zahlen: Im Schnitt würden lediglich 20 Prozent der jeweiligen Markenkleidung im Fachhandel zum regulären Preis verkauft. Der Rest werde zunächst reduziert und lande daraufhin im Outlet-Center.
Da auch dort viele Kleidungsstücke keinen Käufer fänden, landeten 30 Prozent aller Kleidungsstücke auf der Müllkippe. Welche Verschwendung von Arbeitskraft, Material, Energie und Transport.
«Es sind Geschäfte in Destinationen, für die man kein Flugticket geschenkt haben möchte»
Nun mag man argumentieren, dass die Preise mancher Kleidungsstücke hoch bis unerschwinglich sind und deshalb nur wenige Käufer finden. Wir alle lieben Exklusivität. Wenn es nur so wäre, denn Gvasalia spricht im gleichen Atemzug davon, dass nur ein Teil der jeweiligen Kollektion in den bekannten luxuriösen Flagship-Stores oder exklusiven Warenhäusern landet. Der Grossteil wird für den Zweitmarkt produziert, Geschäfte in Destinationen, für die man kein Flugticket geschenkt haben möchte. Auch werden für Outlet-Center spezifische Kollektionen produziert, die vom Markennamen profitieren sollen, aber mit der Marke ansonsten nichts zu tun haben.
Gvasalia räumt mit vielen Illusionen zur Modeindustrie auf und hat dies spektakulär mit Saks Fifth Avenue New York in Szene gesetzt. Die Schaufenster von Saks Fifth Avenue wurden über einige Wochen hinweg mit Kleidungsstücken des Hauses bestückt, die von Angestellten des Kaufhauses gespendet wurden, oder die sich nicht verkaufen liessen.
«PR-mässig ein fantastischer Coup – die Branche war in Aufruhr»
Während sonst die Saks Fifth Avenue Schaufenster eine Oase des guten Geschmacks sind, in dem luxuriöse Mode in kreativer Form perfekt inszeniert werden, glichen die Schaufenster bis Mitte August einem Kleiderhaufen, der aussah, als hätte man dort einige Altkleider-Container ausgekippt. Nach dem Ende der Aktion gingen die Kleidungsstücke an eine wohltätige Organisation.
PR-mässig ein fantastischer Coup. Die Branche war in Aufruhr und in nahezu allen Publikationen der Modeindustrie wurde umfangreich diskutiert, ob diese Aktion Kunst, eine politisches Statement oder einfach nur hässlich und unnötig sei. Kompliment – besser kann man keine Aufmerksamkeit für die eigene Marke in einem der wichtigsten Absatzmärkte erhalten.
Gvasalia liefert mit seinen Hinweisen auf die Jahr für Jahr in Kauf genommenen Überproduktion der Modeindustrie auch gleich die perfekten Argumente dafür, dass Vetements-Kleidungsstücke nur in sehr limitierten Mengen produziert werden, mit entsprechend hohem Preis und Exklusivität.
«Extrem niedrige Preise für Kleidung sind aus meiner Sicht ethisch nicht zu rechtfertigen»
Dennoch haben mich seine Argumente dazu gebracht, mein eigenes Einkaufsverhalten von Mode kritisch zu überdenken. Eigentlich war ich der Meinung, schon einigermassen vorbildlich zu sein. Bewahren und Qualität waren mir schon immer wichtig. Ich bin eine gute Kundin von Änderungsschneidereien und stolz darauf, einige Kleidungsstücke so strategisch gekauft zu haben, dass sie auch nach Jahren noch klassisch gut aussehen.
Für die Wegwerfmentalität von Kleidung habe ich absolut nichts übrig. Und extrem niedrige Preise für Kleidung sind aus meiner Sicht ethisch nicht zu rechtfertigen. Oft sind die Sicherheitsstandards und Arbeitsbedingungen, unter denen diese Kleidungsstücke in bitterarmen Ländern hergestellt werden, ebenso niedrig.
Sehe ich mir meine Bilder von schönen Momenten der letzten Jahre an, entdecke ich immer wieder die gleichen Lieblingskleidungstücke an mir, obwohl mein Kleiderschrank ein Vielfaches an Auswahl bereit gehalten hätte. Sehe ich die Sorgenfalten auf der Stirn der Expertin in meiner Kleiderreinigung, die das Reinigungslabel eines neuen Kleidungsstücks von mir studiert, weiss ich schon, dass ich aufgrund der Kombination von Kunstfasern keine lange Freude an diesem Stück haben werde.
«Clothing Detox lautet meine Devise»
Meine Reinigungskosten werden jedoch explodieren, da diese Kunststoff-Schönheiten in der Regel einen übermässig hohen Reinigungsaufwand verursachen, bevor die Stoffe dann doch relativ schnell unansehnlich werden – trotz ihres hohen Preises. «Clothing Detox» lautet meine Devise:
1. Weniger ist mehr
Lieber einige Lieblingsstücke als ein übervoller Kleiderschrank. Da ich das Argument «Wurde es im letzten Jahr nicht getragen, weg damit» für arrogant und verschwenderisch halte, reduziere ich den Bestand über die Zeit – hauptsächlich durch weniger Einkäufe.
2. Die Stoffqualität ist entscheidend
Nur ein sehr hoher Anteil an Wolle oder reine Seide lassen das Kleidungsstück über Jahre hinweg die Form und Farbe behalten. Dann ist auch ein höherer Preis gerechtfertigt. Reine Plastikkombinationen hingegen, wenn sie auch noch so hip aussehen, kommen nicht mehr in meinen Schrank.
3. Keine «Event-Käufe» mehr
Trage ich einen sehr wichtigen oder besonders schönen Termin in meinem Kalender ein, ging bislang mein nächster Click oft in eines meiner Lieblings-Modeportale. Dort finde in der Regel genau das ideale Kleid, den perfekten Mantel oder den optimalen Rock für diesen Anlass. Sehe ich in einem Laden ein ansprechendes Kleidungsstück, hat meine Kreativität kein Problem, einen möglichen Event dafür zu ersinnen und ich erhalte dafür in der Regel sofort eine Bestätigung. «Buy the dress, the event will come», versicherte mir eine Verkäuferin in der Londoner Bond Street. Bisher getragen: noch nie.
4. Perfekt oder gar nicht
Viel zu viele Kleidungsstücke in meinem Schrank sehen perfekt aus, aber passen leider nicht. Der häufigste Grund: Sales. Ist doch kein Problem, mal wieder konsequent abzunehmen, dann passt das perfekt. Oder: Eigentlich ist es zu gross, aber da lässt sich bestimmt etwas machen. Der reduzierte Preis wirkt so verführerisch, dass die Erfahrung oder Vernunft ebenso rasant reduziert werden.
5. Kuratieren kann man auch den Kleiderschrank
Einige der Kleidungsstücke in meinem Kleidungsschrank, die nie zu Favoriten geworden sind, hatte ich in Eile mit grossem Zeitdruck gekauft. Wie viel Zeit wendet man hingegen auf, um Kunst zu kaufen, die in den eigenen vier Wänden hängen soll? Da nimmt man sich Zeit, wählt aus, wägt ab und überlegt kritisch, wie die Kunst im restlichen Kontext aussehen wird. Ab sofort werde ich zum Kurator meines Kleidungsschrankes und schätze die wenigen perfekten Stücke darin umso mehr.
Karin M. Klossek arbeitete in Frankfurt, Auckland, Sydney und London im Bereich Mode, Financial Services und Gesundheit mit dem Schwerpunkt auf strategischer Markenführung. Im vergangenen Jahr hat sie zusammen mit Maike Siever die Lifestyle-Website GloriousMe.Net lanciert.
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