«Pandemie-Gewinner» habe gute Chancen das «Unwort» das Jahres zu werden, findet Michael Bornhäusser. Darum wolle man als Venture-Capital-Investor eigentlich nicht dazugehören. Doch im Corona-Jahr 2020 sei alles ein bisschen anders, schreibt er in seinem Essay für finews.first.
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Wenn man allerdings in digitale Innovationen investiert, ist man im Coronajahr 2020 schon ziemlich nahe dran. Wenn man dann auch noch in den boomenden Sektor Esports investiert, dann könnten böse Zungen behaupten, man wolle mit der Pandemie Geld verdienen. Ich muss zugeben, leider ist das nicht ganz falsch.
Bulb Capital hat etwas mehr als fünf Millionen Dollar in «NRG ESPORTS», eine der weltweit führenden Esports-Organisationen, investiert – das mitten im der Corona-Pandemie. Wie kam es dazu?
Kontaktbeschränkungen, Homeoffice, Lockdowns, Fernunterricht, Bars und Clubs geschlossen. Bereits im April war klar, es gibt einen digitalen Push in der Gesellschaft und das weltweit. Das klang nach Chance und einer der Bulb Investmentschwerpunkte, sind nun eben digitale Medien, welche in der aktuellen Pandemie in Sachen Wachstum eine tragende Rolle spielen.
«Da kam einiges zusammen»
Mein Partner, Dominik Joos, und ich, haben also im April unser Netzwerk in USA und England aktiviert und angefragt, wer im Bereich digitale Medien auf Kapitalsuche ist. Da kam einiges zusammen: Newsportale, Anlegerinformationen, Streaming-Services, etc.
Was uns am meisten überzeugt hat, war der Bereich Esports. Zwar gab es im Lockdown keine grossen Esports-Events und Gaming-Messen mehr, aber die User-Zahlen explodierten, und die grossen Esports-Organisationen entwickelten sich von einer mehr oder weniger Gamer-dominierten Underground-Community zu professionell geführten Medienunternehmen mit globaler Reichweite.
Esports ist bereits seit 2019 ein Riesengeschäft mit einem Umsatz von 1,09 Milliarden Dollar allein 2019. Für das Pandemie-Jahr 2020 erwarten Fachleute eine Steigerung von knapp 50 Prozent auf rund 1,5 Milliarden Dollar. Und Goldman Sachs prognostiziert für 2022 weiteres Wachstum sowie einen Umsatz von 2,5 Milliarden Dollar.
«League of Legends, Fortnite, RocketLeague, Overwatch, Counterstrike und Call of Duty die wahren Abräumer»
Im laufenden Jahr haben sich die weltweiten User-Zahlen auf knapp 500 Millionen entwickelt – das entspricht einer Steigerung von 11,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das klingt erst mal nicht nach dramatischem Wachstum. Doch wenn man die tägliche Nutzung betrachtet, beträgt die Steigerung fast 70 Prozent von 1,8 Millionen auf 3,6 Millionen. Auch die Anzahl Stunden, welche die User Esports konsumieren, haben sich sprunghaft entwickelt, und zwar von 3,6 Milliarden 2019 auf 4,9 Milliarden im laufenden Jahr.
Die Streams der Gamer, Turniere und Trainings werden auf den Plattformen Twitch und Youtube übertragen, und die Umsätze der Werbung, die ausgespielt wird, teilen sich die Plattformen und die Anbieter, also die Esports-Organisationen und Turnier-Betreiber. Daraus lässt sich unschwer folgern: Je mehr Stunden die User die Streams anschauen, desto höher die Werbeumsätze auf den Plattformen.
Nun könnte man in unseren Breitengraden glauben, dass Esports Games wie FIFA21, Formel 1, etc. die Zuschauermagnete sind. Dem ist aber nicht so. Global sind die Esports-Ligen und -Turniere von League of Legends, Fortnite, RocketLeague, Overwatch, Counterstrike und Call of Duty die wahren Abräumer – und zwar mit einem gemeinsamen User-Anteil von rund 40 Prozent. Zum Vergleich: Fifa21 hat einen Zuschaueranteil von lediglich 3 Prozent.
«Prominente Sportler, Pop-, und Filmstars als Investoren und Botschafter gehören hier zum guten Ton»
Im Bereich der Teams hat wohl die grösste Entwicklung der vergangenen Jahre im Esports-Bereich stattgefunden. Bis vor wenigen Jahren bestanden Esports-Teams aus Organisationen um einen Top-Gamer herum, der auch die Firma mehr oder weniger führte und mit Einnahmen aus Preisgeldern, ein bisschen Werbung von den Streaming-Plattformen und einigen Sponsoren ganz gut verdiente, so hat sich das inzwischen drastisch verändert.
Heute sind es grosse Teams, genannt Orgs, die in verschiedenen Ligen mit spezifischen Teams spielen. Sie verfügen über ein professionelles Management mit Marketing, Content-Produktion, Filmstudios, Training-Facilities, Werbeverkaufsabteilungen, und – was besonders wichtig ist – sie werden mehrheitlich von Venture-Capital-Investoren und Family Offices sowie von strategischen Partnern aus der eigenen «Industrie» (Hersteller von Spiele-Soft- und Hardware) finanziert.
Prominente Sportler, Pop-, und Filmstars als Investoren und Botschafter gehören hier zum guten Ton. Insofern entwickelt sich diese Branche von einem Sportmanagement-Geschäft zu einem Medien-Business mit eigenen Content-Kanälen sowie Game- und Community-Events, Brand Building und entsprechenden Partnerschaften sowie dem Talentmanagement und dessen Vermarktung.
«NRG stellt das Weltmeister-Team in der Rocket League und hat das erfolgreichste Team in Call of Duty»
Die führenden Esports-Organisationen investieren auch erfolgreich in die eigene Medienmarke. Es ist daher gut möglich, dass der nächste «Disney» in der Esports-Branche spielt – falls Disney den Brand nicht schon vorher übernimmt.
NRG ESPORTS ist eine der weltweit fünf grössten Esports-Organisationen und hat Mannschaften in sechs verschiedenen Games und Ligen. NRG stellt das Weltmeister-Team in der Rocket League, ist Liga-Champion bei Overwatch und hat das erfolgreichste Team in Call of Duty. Das Unternehmen hat mit ADER eine eigene Vermarktungs- und Talent Management Firma, betreibt zwei Community-Center in Los Angeles und New Jersey, veranstaltet eigene Turniere und Events. Eine breite Basis von Werbepartnern und Sponsoren unterstützt die verschiedenen Teams.
«Da werden wir sicher einige Übernahmen sehen»
NRG ESPORTS dürfte von allen grossen Organisationen das erfahrenste Management an Bord haben. Andy Miller, Gründer und CEO, war vor der Lancierung von NRG ESPORTS langjähriger Unternehmer im Mobile Advertising und hat seine Firma an Apple verkauft, wo er als Head Mobile Advertising direkt Steve Jobs unterstellt war. NRG ESPORTS hat aktuell mehr als 16 Millionen Follower, die auf Plattformen wie Twitch monatlich mehr als 22 Millionen Stunden lang Streams der diversen Mannschaften von NRG anschauen.
Als Venture-Capital-Investor geht es darum, den Zeitraum und die mögliche Bewertung bei einem Ausstieg (Exit) zu prognostizieren. Dabei gibt es in den nächsten drei Jahren vor allem zwei Entwicklungen: Die grossen Esports-Organisationen mit einer starken Marke und professionellem Management werden sich weiter von den kleineren Orgs absetzen und zu wichtigsten Medienmarken werden. Zweitens wird es zu einer Konsolidierung der Branche durch Übernahmen und Fusionen geben.
Schulterschlüsse von asiatischen und amerikanischen Esports-Firmen würden ganz klar Sinn machen, und natürlich sind es auch hier die Grossen, welche die Kleinen übernehmen. Für die Disneys und Viacoms dieser Welt stellt dieser Bereich eine logische Erweiterung ihrer Reichweite dar, speziell in einem jungen und dynamischen Segment mit hohen Wachstumsraten. Da werden wir sicher schon bald einige Übernahmen sehen.
Kommt hinzu, dass die Entwicklung dieser Branche durch die Corona-Pandemie ganz klar beschleunigt wurde. Ein starkes Wachstum hätte es auch ohne Krise gegeben, doch es wäre sicherlich weniger dynamisch ausgefallen.
Michael Bornhäusser ist Chairman and Managing Partner der 2019 gegründeten Schweizer Venture-Capital-Firma Bulb Capital. Zuvor leitete er den Private-Equity- und Produktebereich der Schweizer Privatbank Sallfort. In den 1990er-Jahren betätigte er sich als Unternehmer in der IT-Branche, unter anderem als Mitgründer der Firma Pixelpark, die 1999 an die Börse ging. Seit dem Start im Jahr 2012 hat Bulb rund 180 Millionen Dollar bei 16 Finanzierungsrunden in 13 Startups in den USA, England und Lateinamerika investiert und sieben erfolgreiche Exits erzielt.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Rolf Banz, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Marionna Wegenstein, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Lamara von Albertini, Andreas Britt, Gilles Prince, Darren Williams, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Stéphane Monier, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Teodoro Cocca, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Marionna Wegenstein, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Brigitte Kaps, Thomas Stucki, Teodoro Cocca, Neil Shearing, Claude Baumann, Guy de Blonay, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Fabrizio Pagani, Niels Lan Doky, Karin M. Klossek, Ralph Ebert, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Beat Wittmann, Bernardo Brunschwiler, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Didier Saint-Georges, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Gérard Piasko, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Lars Jaeger, Andrew Isbester, Florin Baeriswyl, Michael Bornhäusser, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Michael Welti, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler und Hui Zhang.