Die Diskussion über Quantencomputer hat bereits den Mainstream und damit auch die Anleger erreicht. Dies sei ein Indiz dafür, dass technologische Entwicklungen heute sehr viel schneller ablaufen würden als noch vor 50 Jahren, schreibt Lars Jaeger auf finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen


Ein immer populärer werdender, sich nichtsdestotrotz noch immer nach Science Fiction anhörendes Wort ist der Begriff «Quantencomputer». Noch vor 10 bis 15 Jahren schien die Konstruktion eines solchen Computers als Zukunftstechnologie immer noch unnahbar in der Zukunft zu liegen. Die Diskussion darüber war auf ein kleines Expertenteam beschränkt oder eben Stoff für Science-Fiction.

Unterdessen hat die Diskussion über Quantencomputer den Mainstream, so auch Anleger, erreicht. Dahinter könnte eines der zahlreichen Beispiele stehen, dass eine solche technologische Entwicklung heute sehr viel schneller abläuft als noch vor 50 Jahren.

Den meisten Menschen ist allerdings noch völlig unklar, was ein Quantencomputer überhaupt ist. Alle heutigen Computer basieren prinzipiell noch vollständig auf der klassischen Physik, auf der so genannten Von-Neumann-Architektur aus den 1940er-Jahren. Darin werden die einzelnen Rechenschritte sequenziell – «Bit für Bit» – abgearbeitet. Die dabei auftretenden kleinstmögliche Informationseinheit (ein genanntes «binary digit», kurz Bit) nimmt dabei immer einen wohldefinierten Zustand von entweder 1 oder 0 an.

«Die Quantenwelt bietet noch mehr»

Dagegen verwenden Quantencomputer die Eigenschaften von Quantensystemen, die nicht auf klassischen Bits reduzierbar sind, sondern auf Quantenbits basieren, kurz Qubit. Diese können verschiedenen Zustände von Bits, also 0 und 1, sowie alle Werte dazwischen simultan annehmen. Sie können also «halb 1» und «halb 0» sein, sowie in jeder andere mögliche Kombination davon. Diese Möglichkeit liegt jenseits unserer klassischen (alltäglichen) Vorstellungswelt, nach der ein Zustand entweder das eine oder das andere ist: «Tertium non datur», ist jedoch sehr typisch für Quantensysteme. Die Physiker nennen solche vermischten Quantenzustände «Superpositionen».

Aber die Quantenwelt bietet noch mehr: So können sich verschiedene Quantenteilchen in so genannte verschränken Zuständen befinden. Auch das ist eine Eigenschaft, die es in unserer klassischen Welt nicht gibt. Es ist, als ob die Qubits mit einer unsichtbaren Feder aneinandergekoppelt sind und dann allesamt direkt, ohne jede explizite Krafteinwirkung, in Kontakt miteinander stehen. Jedes Quantenbit «weiss» sozusagen auch über jede beliebige Entfernung hinweg, was die anderen gerade treiben. Solche Verschränkungen waren in der frühen Quantenphysik Gegenstand heftiger Diskussionen. So hielt Albert Einstein Verschränkung für physikalisch unmöglich und nannte sie spöttisch «spukhafte Fernbeziehung».

«Quantencomputer sollen hier die Krönung darstellen»

Unterdessen wird diese umstrittene Quanteneigenschaft jedoch bereits vielfach technologisch ausgenutzt. Quantencomputer sollen hier die Krönung darstellen. Sie könnten auf mindestens fünf Feldern ganz neue, fantastischen Möglichkeiten eröffnen:

  • Kryptographie: Mit einem Quantencomputer liessen sich bestehende Verschlüsselungen aufheben, aber zugleich auch ganz neue einführen.
  • Lösung komplexer Optimierungsaufgaben: Während klassische Computer oft bereits bei wenigen Parametern aussteigen, könnten Quantencomputer komplexere Optimierungsprobleme vergleichsweise schnell lösen.
  • Bedeutende Anwendungen auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz: Die harten kombinatorischen Optimierungsprobleme für „tiefe neuronale Netze“ könnten von Quantencomputern weitaus schneller und besser gelöst werden können als heute.
  • Suche in grossen Datenbanken: Quantencomputer könnten die Zeit, in unsortierten Datenbanken nach Daten zu suchen, massiv verkürzen, bis dahin, dass ihre Zeit proportional der Wurzelfunktion der Dateigrösse ist, anstatt direkt proportional zu ihr zu sein, wie dies für klassische Suchmaschinen generisch der Fall ist.
  • Auffinden neuer chemischer Verbindungen: Während die vielen Alternativen für die Bestimmung der bestmöglichen, d.h. energetisch günstigsten Konfiguration von Elektronen in komplexen Molekülen durchzugehen für herkömmliche Computer zu schwierig ist, könnten Quantencomputer das Verhalten der beteiligten Elektronen direkt abbilden.

Einige Physiker glauben sogar, mit einem Quantencomputer jegliche Problemstellungen in der Natur berechnen und lösen zu können, vom Verhalten schwarzer Löcher, der Entwicklung des ganz frühen Universums, der Kollisionen hochenergetischer Elementartteilchen bis hin zum Phänomen der Supraleitung sowie nicht zuletzt die Modellierung der 100 Milliarden Neuronen und die noch einmal eintausend mal grösseren Anzahl ihrer Verbindungen in unserem Gehirn. Quantencomputer könnten ein Revolution sowohl in der Wissenschaft als auch in der Technologiewelt darstellen.

«Einige sprachen gar von einem «Sputnik-Moment» in der Informationstechnologie»

Vor weniger als zwei Jahren gab Google bekannt, dass seinen Ingenieuren die Konstruktion eines Quantencomputers gelungen sei, der zum ersten Mal ein Problem zu lösen vermochte, an dem sich jeder herkömmliche Computer die Zähne ausbeisst. Der entsprechende Computer-Chip Sycamore brauchte für eine spezielle Rechenaufgabe, für die der weltbeste Supercomputer 10'000 Jahre benötigt hätte, gerade einmal 200 Sekunden.

Es war auch die Firma Google gewesen, die bereits einige Jahre zuvor eine solchen Fähigkeit eines Quantencomputers, jedem existierenden klassischen Computer bei der Bewältigung bestimmter Aufgaben überlegen zu sein, einen Namen gegeben hatte: «quantum supremacy» (Quantenüberlegenheit). Der Moment einer solchen Quantenüberlegenheit schien also endlich gekommen zu sein. Einige sprachen gar von einem «Sputnik-Moment» in der Informationstechnologie. Dabei hatte es sich wohl eher noch um einen symbolischen Meilenstein gehandelt, ist das von Sycamore gelöste Problem doch noch eher von sehr spezieller und rein akademischer Natur. Doch ohne Zweifel stellte es einen sehr bedeutenden Fortschritt dar (der allerdings teils auch in Frage gestellt wurde: So zweifelte IBM gar an der Quantennatur dieser Rechenmaschine).

«Auch Jiuzhang war als Quantencomputer umstritten»

Im Dezember 2020 kommunizierte dann ein hauptsächlich an der University of Science and Technology of China in Hefei angesiedeltes Team in der Zeitschrift «Science», dass ein von ihnen entwickelter neuer Quantencomputer, dem sie den Namen «Jiuzhang» gegeben hatten, bis zu 10 Milliarden Mal schneller sei als Google’s Sycamore.

Dass diese Nachricht aus China kam, war nicht ganz so überraschend wie dies für alle war, die wenig mit der heutigen chinesischen Wissenschaft vertraut sind. Teils noch als Entwicklungsland und damit technologisch rückständig gesehen hat China unterdessen sehr stark in zukünftige Quantenrechner und andere Quantenprozesse investiert – sowie in Künstliche Intelligenz, Gentechnologie und eine Reihe anderer Spitzentechnologien. Die Regierung des kommunistischen Generalsekretärs Xi Jinping gibt über einige Jahre verteilt 10 Milliarden Dollar für das National Laboratory for Quantum Information Sciences des Landes aus.

Doch auch Jiuzhang war als Quantencomputer umstritten. Doch falls sowohl Sycamore als auch Jiuzhang ihre (immer noch sehr spezifischen) Probleme tatsächlich unvergleichbar schnell mit Quantentechnologien haben lösen können – und dies lässt sich nicht ohne weiteres mehr von der Hand weisen – so gäbe es bereits zwei Quantencomputer, die die angestrebte Quantenüberlegenheit erreicht haben.

«In diesen Tagen gab es eine weitere (geldstarke) Ankündigung»

Von hier aus könnten wir schon sehr bald zahlreiche weitere Versionen erwarten, die immer mehr Probleme immer schneller zu lösen vermögen. So hat Google dann vor wenigen Wochen auch verkünden lassen, dass sie bis 2029 einen breit einsetzbaren (nicht mehr auf exotische Randprobleme limitierten) mächtigen Quantencomputer gebaut haben wollen. Zu diesem Zweck wollen sie eine Millionen physikalische Qubits zusammenbringen, die in einem fehlerkorrigierenden Quantencomputer zusammenarbeiten (bei heutigen Quantencomputern liegt diese Zahl noch bei unter 100 Qubits).

Neben Google und dem chinesischen Forschungszentrum in Hefei gibt es noch zahlreiche weitere Entwicklungsstätten für Quantencomputer. Diese werden auch immer stärker von ihren jeweiligen Regierungen unterstützt. So verkündete Deutschland 2020, dass das Land milliardenschwere Investitionen in Quantencomputertechnologie tätigen wird. Und gerade in diesen Tagen gab es eine weitere (geldstarke) Ankündigung: Cambridge Quantum Computing, ein 2014 gegründetes britisches Unternehmen, gab bekannt, dass es sich mit der Quantenlösungssparte des US-Industrieriesen Honeywell zusammenschliessen wird, um einen neuen Quantencomputer zu bauen.

«Daraus könnte ein weiterer globaler Anführer werden»

Dieser Deal bringt Honeywells Expertise in (Quanten-)Hardware mit der von Cambridge Quantum in Software und Algorithmen zusammen. Daraus könnte ein (neben Google, IBM und den Chinesen) weiterer globaler Anführer in der Entwicklung von Quantenrechnern werden. Ohne den Glauben, dass bereits erste Durchbrüche für die Erstellung von Quantencomputern erreicht wurden, würde wohl kaum schon so viel Geld in die Branche fliessen.

Diese Summen werden sich vermutlich noch einmal multiplizieren, wenn weitere Fortschritte erreicht werden. Man könnte sich in die frühen 1970er Jahre zurückversetzt fühlen, bevor es kommerzielle Computer gab. Nur wird dieses Mal alles noch viel schneller ablaufen als damals.


Lars Jaeger ist ein schweizerisch-deutscher Autor zu den Themen Geschichte, Philosophie und Bedeutung der Wissenschaften und technologischen Entwicklung, sowie zu Hedgefonds, quantitatives Investieren und Risikomanagement.


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