Die Schweizer Bankenregulierung ist auf dem Holzweg

Die Höhe des Eigenkapitals dominiert die Diskussion um die künftige Regulierung. Diese Fixierung bindet viel Energie und lenkt ab von der zentralen Frage. Was müssen wir tun, damit die Schweizer Bankenlandschaft wieder diversifizierter und damit auch widerstandsfähiger wird?

Die Debatte um die künftige Regulierung von systemrelevanten Banken bzw. um die entsprechenden Anpassungen im Too-big-to-fail-Regelwerk (TBTF) verengt sich zunehmend auf einen Aspekt: Wie streng sollen die künftigen Eigenmittelanforderungen an UBS, Zürcher Kantonalbank (ZKB), Raiffeisen und Postfinance sein? Für die letzte Schweizer Grossbank ist speziell auch die Teilfrage der Eigenmittelunterlegung für ausländische Tochtergesellschaften im Stammhaus ein Knackpunkt.

Die Argumente liegen weitgehend auf dem Tisch – und sie haben sich seit der ersten derartigen Diskussion im Nachgang zur Finanzkrise 2008, als die TBTF-Regeln eingeführt wurden, nicht grundlegend verändert. Neu dazugekommen sind jedoch zusätzliche flankierende Instrumente wie eine staatliche Liquiditätssicherung (Public Liquidity Backstop) und die im PUK-Bericht zur Credit Suisse (CS) kondensierten jüngsten Erfahrungen (auf die alle gerne verzichtet hätten).

Die Fronten sind klar, die Gräben bezogen

Auf der einen Seite plädieren die Behörden – Bundesrat, Finanzmarktaufsicht Finma,  Schweizerische Nationalbank (SNB) – mit viel Nachdruck dafür, dass Vorsicht besser als Nachsicht ist. Mehr Eigenmittel bedeutet in dieser Lesart mehr Sicherheit, dass der Bund nach UBS 2008 und CS 2023 nicht zum dritten Mal eine Schweizer Bank retten muss.

Damit würde auch das Problem der impliziten Unterstützung der UBS durch die öffentliche Hand, welche die «Monsterbank» nicht abgelten muss und die somit eine Subvention darstellt, entschärft. Zudem legen ökonomische Analysen nahe, dass die Kosten des Haltens von zusätzlichem Eigenkapital für die Banken zwar nicht null, aber alles andere als exorbitant sind.

Sergio Ermotti in Jamie Dimons Fussstapfen?

Auf der anderen Seite stehen die Exponenten der Banken im Graben, zuvorderst natürlich der UBS. CEO Sergio Ermotti versucht, bisweilen auch mit der Wucht einer Dampfwalze, das in seiner Sicht Schlimmste für seine Bank und damit den Finanzplatz Schweiz abzuwenden, ein Engagement, das hoffentlich nicht auf Kosten seiner anderen wichtigen Aufgaben geht.

Seine Argumente: CS sei nicht an zu wenig Eigenkapital gescheitert, entscheidend sei die Bilanzqualität, die Schweiz stelle bereits weltweit die höchsten Anforderungen, und eine weitere Verschärfung untergrübe die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Er wagt sich (zu) weit aus der Deckung, vielleicht inspiriert von Jamie Dimon, dem langjährigen Chef der US-Bank J.P. Morgan und stimmgewaltigen Kritiker der dortigen Regulierung.

Sukkurs für die UBS von der Staatsbank

Ermotti bekommt Unterstützung auch von eher unerwarteter Seite. Urs Baumann, der als Chef der Zürcher Staatsinstituts dem Kanton und nicht den Aktionären verpflichtet ist, warnt ebenfalls klipp und klar davor, dass strengere Vorgaben zu einer Kreditverknappung führen und damit die Wirtschaft beeinträchtigen würden.

Wer schon seit der Finanzkrise dabei ist, erlebt bei dieser Debatte ab und zu ein Déjà-vu-Moment. Aber während die Regulatoren mehr oder weniger die bekannte Leier spielen, hat die Bankenlobby offenbar dazugelernt. Und im Fall CS haben die nach der Finanzkrise erhöhten Kapitalanforderungen tatsächlich herzlich wenig gebracht.

Aktienmarkt ignoriert ökonomische Betrachtung der Eigenkapitalkosten

Dagegen scheint das von der UBS gern bemühte Argument, dass die Aktionäre in einer Krise die erste Verteidigungslinie bilden, an Relevanz gewonnen zu haben. Auch wenn zwischen dem Aktienkurs an der Börse und dem Eigenkapital in der Bilanz kein direkter Zusammenhang besteht, spiegelt sich beispielsweise die weltweite Stärke und Dominanz der US-Banken in einer hohen Kapitalisierung am Aktienmarkt wider. Umgekehrt zeugt der Fall CS nicht von einem Versagen der Börse (welche die Grossbank schon lange vor dem Kollaps abstrafte), sondern von der Nonchalance spezifischer Grossaktionäre, die weitgehend passiv die Misswirtschaft jahrelang geschehen liessen.

Die Märkte scheinen auch nicht viel von der erwähnten These der Ökonomen zu halten, dass sich die Kosten für das Halten von zusätzlichem Eigenkapital unter dem Strich im Rahmen halten. Natürlich braucht eine Bank Eigenkapital, aber wenn ein bestimmtes Mass überschritten ist, leidet in der Realität darunter der Aktienkurs, wissenschaftlich fundierte Theoreme hin oder her. Zumindest in dieser Beziehung ist es wohl besser, auf die Chefs kotierter Finanzinstitute zu hören, welche die Treiber ihres Aktienkurses auch aus ureigenstem Interesse ganz genau studiert haben dürften. Ihr Befund: Leverage, also Fremdkapital, ist grundsätzlich ein positiver Faktor.  

Nicht auf die Eigenkapitalfrage kaprizieren

Doch wie soll es nun weitergehen? Pressen wir die UBS in ein Korsett, mit dem Risiko, dass sie im internationalen Wettbewerb benachteiligt und damit geschwächt wird und schliesslich vielleicht sogar ausser Landes flieht? Oder verschärfen wir die Regeln nur symbolisch, im Vertrauen darauf, dass die UBS «too smart to fail» geworden ist, was nichts am TBTF-Grundproblem ändert?

Ein Vorschlag: Statt sich auf das Eigenkapital – oder auf die anderen vorgeschlagenen, meist weniger kontroversen TBTF-Massnahmen – zu kaprizieren, wäre es gut, wenn alle Akteure einen Schritt zurückträten, damit sie wieder das Ganze im Blick hätten.

Ziel: Ein pulsierender und diversifizierter Finanzplatz

Das Ziel muss ein pulsierender und breit abgestützter Schweizer Finanzplatz sein. Ja, die UBS ist für unser Land ein Klumpenrisiko, ihrer Grösse wegen, aber auch aufgrund ihrer internationaler Verflechtung und des damit verbundenen potenziellen hohen Bedarfs an Liquidität in Dollar, die auch eine SNB nicht selber produzieren kann. Sie ist aber genauso eine Klumpenchance. Statt die UBS zu verzwergen, sollten alle Akteure für ein Umfeld sorgen, in dem andere Banken zu ernsthaften Konkurrenten heranwachsen können. So verlöre die Grossbank ihre Dominanz allmählich auf natürliche Weise.

Eine Bankenlandschaft mit mehreren starken Akteuren, die sich auch gegenseitig anspornen und disziplinieren, hat viele Vorteile. Die Unternehmen und Haushalte kommen günstiger zu Finanzdienstleistungen, und die Innovation wird angetrieben. Aber auch gegenüber Turbulenzen wäre ein solches System widerstandsfähiger.

Selbstheilungskräfte der Branche stärken

Die Selbstheilungskräfte der Branche würden gestärkt, d.h., bei einer Krise einzelner Institute wären andere Banken in der Lage, eine Lösung zu arrangieren und damit die Systemstabilität zu sichern, ohne dass die Politik eingreifen müsste. Das ist nicht ganz so utopisch, wie es nach zwei staatlichen Rettungen von Schweizer Grossbanken klingen mag; historisch betrachtet handelt es sich nämlich sogar fast um den Regelfall.

Bund und Kantone hätten es durchaus in der Hand, dazu selber einen Beitrag zu leisten. Sie könnten z.B. die Postfinance und Kantonalbanken von staatlichen Fesseln befreien und in private Hände übergeben. Unrealistisch? Vielleicht, aber es schadet nicht, immer wieder daran zu erinnern, dass ökonomisch betrachtet nicht nur implizite sondern eben auch explizite staatliche Garantien eines der zugrundeliegenden Hauptprobleme im Finanzsystem sind, die eine – der Öffentlichkeit gegenüber schwer vermittelbare – Sonderbehandlung der Banken gegenüber anderen Branchen erzwingen. 

Die UBS als «Teil der Lösung» in einer Immobilienkrise?

Niemand kann sagen, wann die nächste Krise kommen wird und welche Bank davon betroffen sein wird. Die UBS ist zwar ein Klumpenrisiko für unser Land, aber beileibe nicht das einzige. Was geschieht, wenn beispielsweise der Schweizer Immobilienmarkt, seit 30 Jahren eine Einbahnstrasse, deutlich korrigiert? Nicht unbedingt wie im Lehrbuch wegen höherer Zinsen (die sind auf absehbare Zeit unwahrscheinlich), sondern weil der strukturelle Treiber der markanten Zuwanderung, die politisch zunehmend umstritten ist, ausfallen könnte?

Dann könnten viele Geschäftsmodelle – nicht nur, aber auch in der Finanzbranche –, die jahrzehntelang bestens funktioniert haben, unter ziemlichen Druck geraten. Je diversifizierter und diverser die Bankenlandschaft in einem solchen Fall wäre, desto grösser die Chancen, dass das Schweizer Finanzsystem nicht ins Wanken gerät. Spätestens in diesem Szenario wäre es zentral, einige starke Banken zu haben, deren Hauptsparte nicht das inländische Hypothekargeschäft ist.