Die Finanzrepression ist die einfachste Lösung, die Staatsverschuldung zu senken. Doch sie hat zusehends mehr negative Folgen, wie Gérard Piasko in seinem Essay auf finews.first warnt.
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Um den Konjunktureinbruch zu kompensieren, den die Coronakrise ausgelöst hat, haben die wichtigsten Länder dieser Welt enorme Fiskalstimulierungen beschlossen, was wiederum zu einer massiven Erhöhung der Budgetdefizite und Staatsschulden führt.
Um die dadurch steigenden Schulden zu finanzieren, und um die absturzgefährdeten Finanzmärkte zu stützen, tätigen die Zentralbanken seit Monaten gigantische Kaufprogramme für Staatsanleihen. Diese Massnahmen zielen auf eine Monetarisierung respektive Finanzierung der massiv steigenden Staatschulden ab. Historisch lässt sich eine hohe Staatsverschuldung, gemessen in Prozent des Bruttoinlandprodukts, reduzieren durch:
a) staatliche Sparprogramme,
b) überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum während einer längeren Zeit,
c) hohe Inflation oder
d) weiter verstärkte Finanzrepression, das heisst durch forciert tief gehaltene Obligationenrenditen respektive lange Zinsen.
Variante e) wäre eine Schuldenrestrukturierung mit partiellem Zahlungsausfall. Sie erscheint genauso wenig wünschenswert wie eine zu hohe Inflation.
Auch a), also die Wiederaufnahme staatlicher Sparprogramme, und b), über längere Zeit historisch überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum, erscheinen in den kommenden Quartalen kaum realistisch. Nach der letzten Finanzkrise wurde in Europa die Option Sparprogramme versucht, zeigte aber kaum Erfolg.
«Die Finanzrepression hat zushends mehr negative Folgen»
Die Vermeidung eines Budgetdefizits wiederum wird gar nicht mehr angestrebt, nicht einmal mehr in Deutschland und schon gar nicht in den USA, so kurz vor den Wahlen. Staatliche Sparprogramme bedeuten meist weniger Staatsausgaben für Sozialhilfe oder sogar Steuererhöhungen. Sie sind sowohl politisch unbeliebt wie auch wirtschaftlich von den Regierungen unerwünscht.
Daher ist die Finanzrepression wieder die einfachste Lösung für die Regierungen. Doch sie hat zusehends mehr negative Folgen. Die innenpolitischen Unruhen in den USA vom vergangenen Juni haben nicht nur mit Polizeigewalt gegen Afroamerikaner, sondern auch mit steigender sozialen Ungleichheit zu tun, die durch die Finanzrepression verstärkt würde.
«Auch die Gelder vieler Pensionskassen leiden unter Finanzrepression»
Die soziale Ungleichheit verstärkt sich darum, weil die breite Bevölkerungsmasse der Sparer gerade in den USA nicht die finanziellen Mittel hat, um in hohem Masse Aktienrisiken einzugehen, gleichzeitig aber auf den Sparguthaben keinen Einkommenszuwachs mehr erhält und vielleicht noch in der gegenwärtigen Rezession arbeitslos wird.
Auch die Gelder vieler Pensionskassen leiden unter Finanzrepression über künstlich von den Zentralbanken tief gehaltene Obligationenrenditen. Andererseits profitieren prozentual kleinere Teile der Bevölkerung, welche hauptsächlich Aktienbesitzer sind, von der neuen monetären Stimulierung der Aktienmärkte durch die enorme Liquiditätsflutung überdurchschnittlich.
«Woher kommt eigentlich die Finanzrepression?»
Die Antwort auf die Finanzrepression kann also ein strategisch-langfristig höherer Aktienanteil sein, allerdings verfügt eine Mehrheit der Bevölkerung meist nicht über die Mittel, um die Volatilität von Aktien tragen zu können.
Woher kommt eigentlich die Finanzrepression? Sie entsteht durch die Kaufprogramme der Zentralbanken respektive die neue staatliche Nachfrage und durch die Regulierung der Banken und Versicherungen, welche mehr Nachfrage für Regierungsobligationen beziehungsweise für Staatschulden bedeutet. In einer freien Marktwirtschaft entstehen die Marktzinsen frei über die Märkte, in Zeiten der Finanzrepression aber werden die langen Zinsen respektive Obligationenrenditen über die Nachfrage der Zentralbanken und der regulierten Banken/Versicherungen künstlich nach unten gedrückt, was eine «Repression» darstellt.
«Ähnliches erleben wir seit der Finanzkrise 2008 und jetzt erneut mit der Corona-Krise»
Historisch gab es schon einmal eine Finanzrepression. Weil die USA, nach dem Zweiten Weltkrieg wegen der Kriegsfinanzierung eine massive Erhöhung der Staatsverschuldung erlebten, wurden im Bretton Woods-Abkommen die Kapitalmärkte reguliert, um künstlich tiefe Zinsen zu bekommen. Das bedeutete, dass ab 1945 für Jahrzehnte die langen Zinsen tiefer gehalten wurden als sie in einer freien Marktwirtschaft gewesen wären.
Ähnliches erleben wir seit der Finanzkrise 2008 und jetzt erneut mit der Corona-Krise: künstlich tief gehaltene Zinsen respektive Obligationenrenditen, um die Finanzierung der Staatsschulden zu erleichtern.
«Eine ausgewogenere Anlageaufteilung inklusive nicht zu geringem Aktienanteil macht mehr Sinn»
Fazit: Die Finanzrepression hat Folgen, negative für die soziale Ungleichheit, sofern die finanziellen Mittel nicht für Aktieninvestitionen reichen und negative für Befürworter einer völlig freien Marktwirtschaft. Eine Konklusion ist aber auch, dass eine ausgewogenere Anlageaufteilung inklusive nicht zu geringem Aktienanteil mehr Sinn macht als ein zu hoher Anteil an kaum mehr rentierenden Staatsanleihen.
Gérard Piasko ist seit Anfang 2018 Chief Investment Officer (CIO) der Zürcher Privatbank Maerki Baumann. Er verantwortet die Anlagestrategie des Hauses sowie die Anlagekommunikation gegenüber der Kundschaft. Er war während vieler Jahre als CIO im Private Banking der Bank Julius Bär, der Bank Sal. Oppenheim (Schweiz) und zuletzt der Deutsche Bank (Schweiz) tätig. Er hat Ökonomie und Rechtswissenschaften an der Universität Zürich studiert sowie ein Nachdiplom-Studium an der Columbia University in New York absolviert.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Rolf Banz, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Marionna Wegenstein, Armin Jans, Nicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio Quirighetti, Claire Shaw, Peter Fanconi, Alex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Michael Bornhäusser, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Peter Hody, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Lamara von Albertini, Andreas Britt, Gilles Prince, Darren Williams, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Stéphane Monier, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Gérard Piasko, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Teodoro Cocca, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Marionna Wegenstein, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Brigitte Kaps, Thomas Stucki, Teodoro Cocca, Neil Shearing, Claude Baumann, Guy de Blonay, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Fabrizio Pagani, Niels Lan Doky, Michael Welti, Karin M. Klossek, Ralph Ebert, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Beat Wittmann, Bernardo Brunschwiler, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Didier Saint-Georges, Lars Jaeger, Peter Hody, Raphaël Surber und Santosh Brivio.