Die Too-big-to-fail-Regeln seien dazu da, bei einer Bank rasch Verluste auszugleichen und sie ausreichend mit neuem Eigenkapital auszustatten, sagt Andreas Ita zu finews.ch. Die Credit Suisse habe aber etwas ganz anderes gebraucht, so der ehemalige Grossbanker und Geschäftsführer der Beratungsfirma Orbit36.
Herr Ita, Sie haben sich bei der Beratungsfirma Orbit36 eingehend mit der Pleite der Silicon Valley Bank auseinandergesetzt. Die Schockwellen, die nun von der kalifornischen Bank ausgehen, haben mit zum Kurssturz bei der Credit Suisse und zur Stützaktion der Schweizerischen Nationalbank beigetragen. Droht eine neue Bankenkrise?
Meiner Meinung nach handelt es bei der Silicon Valley Bank um einen isolierten, krassen Einzelfall, bei dem eine grössere Bank ihre Zinsrisiken nicht im Griff hatte. Dies hätte sich so aufgrund der Regulierung in der Schweiz und auch in der EU nicht ereignen können. Marktteilnehmer und nicht zuletzt andere Geldhäuser stellen sich aber derzeit dennoch zwei Fragen: Welche Banken haben unbekannte Risiken in ihren Büchern, und wo drohen potenzielle Gegenpartei-Risiken?
Wir erleben also eher eine Vertrauenskrise?
So lassen sich die starken Kursrückgänge in Bankaktien weltweit und die momentanen Verwerfungen bei der Credit Suisse durchaus erklären. Schwindet das Vertrauen, kann das grundsätzlich jede Bank in die Knie zwingen.
«Grosse Investmentbanken sind darauf angewiesen, ihre Handelsbücher täglich zu refinanzieren»
Dass die Europäische Zentralbank gemäss Medienberichten die Geldinstitute im Euroraum angehalten hat, ihre Positionen gegenüber der Credit Suisse offenzulegen, sandte ein problematisches Signal in den Interbankenmarkt. Ein allgemeiner Vertrauensverlust in diesem für die kurzfristige Refinanzierung einer Bank wichtigen Markt kann auch für andere Institute extrem gefährlich sein und zu Liquiditätsengpässen führen – verdächtigt werden natürlich am ehesten Banken, die schon als angeschlagen wahrgenommen werden.
Eine solche Vertrauenskrise zwischen Banken erlebten wir zuletzt bei Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020. Damals mussten die Notenbanken massiv eingreifen. Steht die nächste Liquiditätskrise ins Haus?
Es liegt jedenfalls etwas schwer Fassbares in der Luft. Man muss verstehen, dass gerade grosse Investmentbanken darauf angewiesen sind, ihre Handelsbücher täglich zu refinanzieren. Halten sich andere Banken aber plötzlich mit ihren Ausleihungen zurück, kann das für die betroffenen Institute quasi über Nacht schwerwiegende Folgen haben. Ihnen können innert Kürze zweistellige Milliardenbeträge im Funding fehlen.
Ist das der Credit Suisse am Mittwoch passiert?
Das ist denkbar infolge der vielen negative Medienberichte und falls die Europäische Zentralbank durch ihre Anfrage an die europäischen Banken tatsächlich noch zusätzliches Misstrauen im Interbankenmarkt geschürt hat.
André Helfenstein, der Schweiz-Chef der Credit Suisse, sagte vergangenen Mittwoch: Der Kursverlauf werde zuweilen 1:1 mit der Sicherheit einer Bank gleichgesetzt. Trifft dies zu, drohen bei der Grossbank nach dem gestrigen Kurssturz noch mehr Kundenvermögen abzufliessen?
Aus meiner Erfahrung im Banken-Treasury kann ich sagen, dass die Abflüsse von Spargeldern und Vermögen von Private-Banking-Kunden oft nicht unmittelbar erfolgen. Richtig schwierig wird es wie gesagt, wenn plötzlich die kurzfristige Refinanzierung im Interbankenmarkt nicht mehr möglich ist. Der Aktienkurs kann dabei durchaus als Vertrauenssignal gewertet werden.
«Jede Notenbank hält Liquidity Facilities bereit»
Es kann aber auch zu einem ungerechtfertigten Selbstläufer werden. Wenn ich als Aktionär denke, dass andere das Vertrauen in die Bank verlieren könnten – egal ob berechtigt oder nicht – und dadurch möglicherweise einen Konkurs herbeiführen, dann ist es schon rational, wenn ich meine Anteile in dieser Erwartung ebenfalls verkaufe. Denn bei einem Konkurs bleibt den Aktionären, im Gegensatz zu den Bankkunden, meist nichts mehr übrig. Diese Spirale kann dann aber auch zu übertriebenen Reaktionen und unnötiger Verunsicherung führen, so wie wir es gestern erlebt haben.
Die Schweizerische Nationalbank hat der Credit Suisse nun kurzfristig 50 Milliarden Franken Liquidität zur Verfügung gestellt. Reicht dies zur Stabilisierung?
Es ist davon auszugehen, dass der Betrag den Bedürfnissen der Bank in einem solchen Moment entsprochen hat. Jede Notenbank hält so genannte Liquidity Facilities bereit, mit der sie Banken bei einem Liquiditätsengpass beispringen kann. Das ist ein durchaus übliches Instrument und sollte nicht mit einer Staatshilfe gleichgesetzt werden. Solche Fazilitäten setzen voraus, dass die jeweilige Bank noch solvent ist. Das Institut muss der Notenbank zudem Aktiven hoher Qualität, etwa Wertpapiere, als Sicherheit abtreten. Somit drohen dem Steuerzahler keine Verluste aus solchen Geschäften.
Dennoch wird die Credit Suisse nun mit Milliarden gestützt. Führt das nicht die Too-big-to-fail-Regulierung ad absurdum? Diese sieht ja gerade vor, dass auch systemrelevante Banken untergehen können, wenn sie sich in diese Lage manövriert haben.
Ich glaube nicht, dass Too-big-to-fail die richtige Antwort auf die momentanen Schwierigkeiten der Credit Suisse gewesen wäre. Denn der Bank mangelt es ja nicht an Kapital – sie ist mit einer Quote des harten Eigenkapitals von mehr als 14 Prozent mehr als ausreichend kapitalisiert und hat, soweit wir es wissen, keinen grossen Verlust erlitten.
«Die Credit Suisse benötigte die Milliarden wohl auch als vorbeugende Massnahme»
Genau dafür sind aber die Too-big-to-fail-Instrumente da: Um bei einer Bank rasch Verluste auszugleichen und sie ausreichend mit neuem Eigenkapital auszustatten oder im äussersten Fall die geordnete Abwicklung einer Bank ohne Schaden für den Steuerzahler zu ermöglichen. Sowohl CS als auch UBS halten insgesamt je rund 100 Milliarden Franken an Kapital, das im Ernstfall zur Deckung von Verlusten zur Verfügung stände. Zur Liquidität eines Instituts trägt dieses Kapital jedoch wie gesagt nichts bei, weil es einen anderen Zweck hat.
Wozu brauchte die Credit Suisse also das Geld?
Die Credit Suisse benötigte die Milliarden von der Notenbank zum Teil wohl auch als vorbeugende Massnahme, um auch grössere Mittelabflüsse im Notfall stemmen zu können und dadurch panikgetriebene Abflüsse vermeiden zu können.
Andreas Ita ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Firma Orbit36, die Banken und Versicherungen bei der strategischen Planung sowie dem Risiko- und Kapitalmanagement berät. Der Schweizer Banker begann seine Karriere im Handel mit Aktienderivaten und arbeitete insgesamt 22 Jahre bei der UBS. Zuletzt leitete er bei der Schweizer Bank bis Mitte 2019 den Bereich Group Economic Performance and Capital Optimization. Er promovierte in Banking und Finance an der Universität Zürich.