Es gibt Bestrebungen, das Bargeld abzuschaffen. Erste Schritte in diese Richtung sind das Einziehen grosser Geldscheine sowie Obergrenzen für Barzahlungen, wie der deutsche Ökonom Thorsten Polleit feststellt.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen renommierte Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Genfer Bank Pictet & Cie. Die Auswahl und Verantwortung der Beiträge liegt jedoch bei den Herausgebern von finews.ch Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Dieter Ruloff, Samuel Gerber, Werner Vogt, Claude Baumann, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Peter Hody und Robert Holzach.


Die Befürworter eines Bargeldverbots behaupten, dadurch liessen sich kriminellen Transaktionen – Geldwäsche, Terrorismus und Steuerhinterziehung – das Wasser abgraben. Mit derartigen Heilsversprechungen will man der Öffentlichkeit die Zustimmung für den Weg in die bargeldlose Gesellschaft abtrotzen. Einen überzeugenden Beweis für diese Behauptung, dass die Welt ohne Bargeld eine bessere sei, sucht man allerdings vergeblich.

Selbst wenn Unerwünschtes mit Bargeld finanziert wird, so muss man die Frage beantworten: Würde das Unerwünschte ohne Bargeld unterbleiben? Oder würden diejenigen, die das Unerwünschte heute tun, dann künftig zu anderen Mitteln und Wegen greifen, um an ihr Ziel zu gelangen?

«Soll man Alkohol verbieten, nur weil einige damit nicht recht umzugehen wissen?»

Angenommen man zieht die 500-Euro-Banknote aus dem Verkehr. Werden dann nicht die, die mit Bargeld bezahlen wollen, fünf 100-Euro-Banknoten verwenden? Oder zehn 50-Euro-Banknoten? Und was sind die Kosten, die der grossen Mehrheit aller unbescholtenen Menschen zugemutet werden, indem man ihnen das Bargeld wegnimmt? Und überhaupt: Soll man Alkohol verbieten, nur weil einige damit nicht recht umzugehen wissen?

Hinter dem Vorhaben, Bargeldzahlungen zu beschränken beziehungsweise das Bargeld nach und nach abzuschaffen, verbirgt sich etwas ganz anderes als Verbrechensbekämpfung. Der wahre Grund ist, dass die Staaten Negativzinsen einführen wollen. Auf diese Weise sollen die aus dem Ruder gelaufenen Schulden – allen voran Staats- und Bankschulden – entwertet werden.

Werden aber Negativzinsen auf Bankeinlagen erhoben, werden die Kunden über kurz oder lang versuchen, der Enteignung zu entgehen – zum Bespiel dadurch, dass sie ihre Guthaben in bar abheben. Um eben diesen verbliebenen Fluchtweg zu versperren, wollen die Befürworter der Bargeldabschaffung das Bargeld aus dem Verkehr ziehen.

«Der Bargeldentzug greift massiv in die Freiheitsrechte der Bürger ein»

Das Ganze wird übrigens von namhaften Ökonomen unterstützt mit der Behauptung, der «natürliche Zins» sei mittlerweile negativ geworden. Die Zentralbanken müssten daher den Zins unter die Nulllinie drücken, weil sich nur so Wachstum und Beschäftigung fördern liessen. Einer kritischen Auseinandersetzung hält jedoch die These, der gleichgewichtige Zins sei nunmehr negativ, nicht stand.

Ohne an dieser Stelle ins Detail gehen zu wollen, sei nur so viel gesagt: Es ist schlichtwegs denkunmöglich, dass der «natürliche Zins» negativ ist. Zwar können die Marktzinsen, in denen der «natürliche Zins» steckt, unter die Nulllinie fallen, nicht aber der «natürliche Zins» selbst. Die Politik der Negativzinsen ist auch keine wirtschaftliche Heilkur, sondern sie verursacht schwerwiegende wirtschaftliche Schäden.

Der Bargeldentzug greift zudem massiv in die Freiheitsrechte der Bürger ein. Zieht der Staat das Bargeld aus dem Verkehr, hat der Bürger bei Zahlungen keine Wahlmöglichkeit mehr. Denn der Staat hält ja das Zwangsmonopol der Geldproduktion. Er lässt keinen Wettbewerb beim Geld zu. Folglich kann niemand ausser ihm dem Bargeldwunsch der Bürger entsprechen.

«Die Aussicht, jederzeit bespitzelt werden zu können, verletzt das Freiheitsrecht des Bürgers»

Zieht der Staat das Bargeld ein, müssen alle Transaktionen elektronisch abgewickelt werden. Dann ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis der Staat sieht, wer was wann kauft, und wer wann wohin reist. Der Bürger ist vollends gläsern – und seine finanzielle Privatsphäre ist «perdu». Allein schon die Aussicht, jederzeit bespitzelt werden zu können, verletzt das Freiheitsrecht des Bürgers.

Man sollte zudem nicht übersehen, dass das Bargeld zumindest mithilft, den Bürger vor einer ungehemmten Zudringlichkeit des Staates zu schützen. Hebt der Staat beispielsweise die Steuern zu stark an, haben die Bürger die Möglichkeit, sich dem Drangsal durch Bargeldzahlungen zumindest teilweise zu entziehen. Das weiss der Staat, und daher hält er sich etwas zurück.

Seine Hemmung wird er aber ablegen, sobald das Bargeld abgeschafft ist. Der Verweis auf Schweden und Dänemark, in denen doch die bargeldlose Gesellschaft so wunderbar funktioniert, entkräftet diese berechtigte Sorge nicht. Die Bürger dort können nämlich, wenn sie denn wollten, immer noch auf ausländisches Bargeld zurückgreifen.

«Das Vorhaben, das Bargeld abzuschaffen, steht für das Grundproblem unserer Zeit»

Die Erfahrungen mit den totalitären Regimen im 20. Jahrhundert sollten jeden Bürger mahnen, dem Staat immer mehr Kontrollmöglichkeiten und -rechte zuzusprechen. Mit einer Abschaffung des Bargeldes rückt eine Gesellschaft näher an George Orwells Dystopie «1984» heran, als viele derzeit vielleicht denken mögen.

Das Vorhaben, das Bargeld abzuschaffen – nach und nach, mittels mehr oder weniger kleinen Schritten –, steht für das Grundproblem unserer Zeit: Der Staat – wenn er erst einmal zum territorialen Zwangsmonopolisten, zum obersten Richter für alle Konflikte mutiert ist – zerstört immer mehr Freiheiten der Bürger und Unternehmer.

Genau das ist die Quintessenz des Bestrebens, das Bargeld abzuschaffen: Dem Staat wohnt das ununterdrückbare Streben nach Ausdehnung inne. Der Staat als Zwangsmonopolist ist zügellos und lässt sich nicht zähmen. Selbst aus einem Minimalstaat wird früher oder später ein Maximalstaat, wie es der Ökonom und Philosoph Hans-Hermann Hoppe auf den Punkt bringt.

Das Ringen um den Erhalt des Bargeldes hat aber vielleicht doch noch etwas Gutes: Es lenkt den Blick auf die Notwendigkeit, den Staat – so wie wir ihn heute kennen – zu entmachten, ganz einfach dadurch, dass sein Handeln den gleichen Rechtsgrundsätzen unterworfen wird, die auch für jeden Bürger gelten. Dann wäre sein Zwangsmonopol der Geldproduktion zu Ende, und der Bürger bräuchte sich nicht mehr zu sorgen, dass ihm das Bargeld ungewollt genommen wird.


Der 49-jährige Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt beim Goldhändler Degussa und Autor mehrerer Wirtschaftsbücher. Er ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth. Der gebürtige Deutsche präsidiert zudem das Ludwig von Mises Institut in Deutschland.