Das Private Banking dürfe sich nicht mit einem standardisierten Angebot und Robo-Advisors zufriedengeben, warnt Michel Longhini von der Union Bancaire Privée in seinem exklusiven Essay für finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Mit der Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften 2017 an Richard Thaler, einem der Begründer der Verhaltensökonomie, ist dessen Konzept des «Nudge», einem Bestseller von 2008, wieder in die Schlagzeilen geraten. In diesem gemeinsam mit Cass Sunstein verfassten Buch zeigt Thaler auf, wie die Neigung der Menschen, irrationale Entscheidungen zu treffen – eine Folge der kognitiven Verzerrungen, denen die Individuen unterliegen –, durch den «Nudge»-Effekt ausgeschaltet werden kann.

Der «Nudge» nutzt diese Verzerrungen, um den Menschen in Entscheidungssituationen zu versetzen, in denen er «angestossen» wird, ein vorhersehbares Verhalten anzunehmen oder die «richtigen» Entscheidungen zu treffen. Thaler und Sunstein sprechen auch von «libertärem Paternalismus»: Paternalismus, weil der Mensch bei seinen Entscheidungen mit Wohlwollen begleitet werden muss und «libertär», weil keine Option ausgeschlossen werden darf, damit seine Entscheidungsfreiheit gewahrt bleibt.

«Nudges lassen sich leicht umsetzen, sind effizient und kosten wenig»

Diese Lehre lässt sich in verschiedenen Bereichen wie im Gesundheitswesen, in der Umwelt oder beim Sparen anwenden. Weil die Amerikaner nicht imstande waren, sich rechtzeitig ein Altersguthaben anzusparen, empfahlen Thaler und Sunstein beispielsweise den Behörden und Unternehmen, für die Angestellten standardmässig in die betrieblichen Vorsorgepläne einzuzahlen und nur den Personen, die das ausdrücklich nicht wünschten, die Möglichkeit zu geben, darauf zu verzichten. Da sich nur wenige enthielten, stieg die Sparquote der Angestellten dieser Unternehmen sprunghaft an.

«Nudges» lassen sich leicht umsetzen, sind effizient und kosten wenig, doch weil sie dem Menschen die Verantwortung abnehmen und Standards einführen, können sie mitunter auch abartige Auswirkungen haben.

Beim Angebot von Finanzprodukten und bei der Verwaltung von Spargeldern führte die Regulierungswelle nach der Krise von 2008, mit der die Transparenz und der Kundenschutz erhöht werden sollten, zu einer standardisierten Verwaltung und indirekt auch zu einem indexbasierten Management.

«Wenn der Kluge auf den Mond zeigt, schaut der Idiot leider auf den Finger»

Im Bestreben, die Risiken zu diversifizieren, um sie besser steuern zu können, wurden die angebotenen Produkte zur besseren Nachvollziehbarkeit der Performance an einen Index gekoppelt – dies zum Nachteil der aktiven Verwaltung. Die Finanzbranche hat – indem sie sich auf relative Bezugswerte beschränkte – einen der Hauptgründe für Investitionen aus den Augen verloren: Erspartes zu mehren, das hesst, eine positive absolute Performance zu erzielen. Mit anderen Worten: Geld zu verdienen.

«Wenn der Kluge auf den Mond zeigt, schaut der Idiot leider auf den Finger», sagte unlängst Dominique Fière, Manager bei Amiral Gestion. Bezogen auf die Finanzbranche heisst das: Das Augenmerk konzentrierte sich auf den Index, und das rationale Ziel, Geld zu verdienen, wurde vom Ziel, eine dem Index entsprechende Performance zu erreichen, verdrängt. Mit anderen Worten: Es fand ein Wechsel von einem System der absoluten Zahlen (Geld verdienen oder verlieren) zu einem System der relativen Zahlen (besser oder schlechter abschneiden als der Index, egal ob er steigt oder fällt) statt.

«Der Kunde soll sich in voller Transparenz für die sinnvollste Investition entscheiden»

Der Zweck der jüngsten Gesetzgebungen – sei es die Verstärkung der MiFID 2 in Europa oder die Einführung des Fidleg in der Schweiz – ist durchaus lobenswert: Der Kunde soll sich in voller Transparenz für die sinnvollste Investition entscheiden. Allerdings wird dadurch auch die Standardisierung gefördert, welche die Anleger dazu drängt, zum selben Zeitpunkt in dieselben Produkte zu investieren.